Vor 70 Jahren: Hörspiel "Draußen vor der Tür"
Die Legende will, dass Ernst Schnabel noch am selben Abend in die Wohnung Borcherts gefahren sei, um eine Hörspielfassung und -ausstrahlung zu besprechen. Sicherlich stimmt es, dass der Chefdramaturg sofort den besonderen Glücksfall eines Zeitstückes erkannte, geschrieben von einem Autor der sogenannten "jungen Generation". "Auf dieses Stück haben wir gewartet oder vielmehr genauer: auf diesen Autor", schrieb Schnabel euphorisch in der Programmzeitschrift "Hör Zu!". Seine Hörspielankündigung schloss mit den Worten: "Wir sind stolz, mit unserer Hörspielsendung der Öffentlichkeit zum ersten Male auch eine größere Arbeit von ihm übergeben zu können, von der wir uns eine breite und erschütternde Wirkung erwarten". Diese blieb dann tatsächlich nicht aus.
Durchbruch für Hans Quest
Am 13. Februar 1947 sendete der Nordwestdeutsche Rundfunk Borcherts Geschichte vom Kriegsheimkehrer Beckmann. Der mit seiner Gasmaskenbrille unheimlich wirkende Landser schleppt sich von Station zu Station. Immer wieder scheitert er, wird zurückgewiesen, ausgelacht. Für den von der fernen Front im Osten zurückkehrenden Soldaten ist kein Platz mehr. Die Nachkriegsgesellschaft verweigert ihm die Integration. Beckmann ist 'draußen vor der Tür'. Borchert lässt seine Figur mit deren Alter Ego - dem "Anderen" - räsonieren, Beckmann klagt Gott und die Welt an, er heult, schimpft, schreit und stößt seine unbequemen Fragen hervor.
Für Hans Quest, Anfang 30, Schauspieler an den Kammerspielen und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, war die Rolle des zwischen zornigem Aufbegehren und resignierender Trostsuche schwankenden Beckmann der künstlerische Durchbruch. Quests Interpretation der Rolle und die Regie von Ludwig Cremer schufen die bis heute bekannte Hörspielfassung. Ohne besonderen Musik- und Geräuscheinsatz konzentriert sie sich ganz auf die sprachliche Kraft des Textes und betont den großen moralischen Impuls der Beckmannschen Fragen.
Ein Drama, das polarisierte
Das zeitgenössische Publikum war getroffen. Es war eine ungeheure Herausforderung, als Beckmanns Schlussfrage "Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner Antwort? Gibt keiner Antwort? Gibt denn keiner - keiner - Antwort?" sich in ihrer Verzweiflung steigerte und langsam mit immer größerem Hall ausgeblendet wurde.
Während die Hörspielkritiker damals abwägend urteilten, ging beim Sender eine Flut von Hörerbriefen ein. Im Wolfgang-Borchert-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg sind etwa 150 dieser Zuschriften erhalten.
Liest man diese eindrucksvollen Dokumente aus den Nachkriegsmonaten fallen zwei Positionen auf. Zum einen beschwerten sich schon damals Hörerinnen und Hörer vehement über die wiederholte Thematisierung von Krieg und Schuld, von Nachkriegselend und Arbeitslosigkeit. Rundfunk, so schrieben sie den Programmmachern, sei dazu da, Trost und Ablenkung zu bieten. Mit lästigen Fragen möge man sie abends verschonen. Strikt verwahrten sie sich gegen jegliche "Injektion Nihilismus", von der Schnabel in seinem Vorwort zur Sendung gesprochen hatte.
Zum anderen überraschen Briefe der jungen Männer. Als junge Kriegsheimkehrer identifizieren sie sich mit der Figur des Beckmann. "Du bist einer von uns", schrieben sie immer wieder voller Leidenschaft. In Beckmann sahen sie ihre aktuelle Situation widergespiegelt und sie übertrugen Beckmanns Fragen und Anklagen auf den Autor: Wolfgang Borchert galt ihnen fortan als Autor, der ihrer Generation, der Generation der Kriegsheimkehrer, eine Stimme verlieh.
Erfolgreiches Bühnenstück
Der Erfolg des Hörspiels war damit vorgezeichnet. Es wurde nach seiner Ursendung wiederholt, von anderen deutschen Rundfunkanstalten übernommen oder neu produziert, später von ausländischen Sendern übersetzt und in vielen Landessprachen inszeniert. Seinen erfolgreichen Weg auf die Bühne trat "Draußen vor der Tür" am 21. November 1947 an, als das Stück - einen Tag nach dem frühen Tod Wolfang Borcherts in einem Schweizer Sanatorium - Premiere an den Hamburger Kammerspielen hatte. 1949 kam der Spielfilm "Liebe 47" von Regisseur Wolfgang Liebeneiner in die Kinos, der auf Borcherts Manuskript basierte. Der echte "Klassiker" war und blieb jedoch das Hörspiel in der Funkfassung von 1947.
- Teil 1: "Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will"
- Teil 2: "Auf dieses Stück haben wir gewartet …"