Vor 70 Jahren: Hörspiel "Draußen vor der Tür"
Der junge Schriftsteller Wolfgang Borchert schrieb das Stück "Draußen vor der Tür" im Hamburger Kältewinter 1946/47. Der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) sendete es erstmalig am 13. Februar 1947. Schon kurze Zeit später eroberte das Werk die Spielpläne der deutschen Hörspielabteilungen und entwickelte sich im Laufe der Zeit zum Klassiker. Zusammen mit der Bühnenversion, die im November 1947 in den Hamburger Kammerspielen ihre Premiere feierte, bildet das Kriegsheimkehrer-Stück ein herausragendes literarisches Ereignis der Nachkriegszeit.
24 Jahre alt war Wolfgang Borchert bei Kriegsende: ein ehemaliger Soldat, ein todkranker Heimkehrer aus dem Krieg, ein junger Mann, der davon träumte, als Schauspieler und Kabarettist aufzutreten. 1946 wurde die Literaturszene seiner Heimatstadt Hamburg auf ihn aufmerksam. "Wolfgang Borchert ist ein junger Hamburger Schauspieler, der im Folgenden eine Episode aus seiner Leidenszeit als politischer Häftling erzählt", lautete die knappe redaktionelle Einleitung der "Hamburger Freien Presse", als Borcherts erste Veröffentlichung, die Erzählung "Die Hundeblume", am 30. April und 4. Mai 1946 in zwei Teilen erschien.
"Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will"
In literarischen Kreisen horchte man auf. Der Autor, am 20. Mai 1921 im Hamburger Stadtteil Eppendorf geboren, Sohn der niederdeutschen Mundartschriftstellerin Hertha Borchert und des Volksschullehrers Fritz Borchert, hatte sich im Sommer 1945, gleich nach der Kapitulation, in die Hansestadt durchschlagen können. Nur wenige Auftritte waren dem Schwerkranken als Schauspielschüler vergönnt, die gerade begonnene Regieassistenz musste er wieder abbrechen: Nach mehreren Verhaftungen durch die Gestapo war Borcherts Gesundheit zerrüttet. Ans Bett gefesselt schrieb er zu Hause fieberhaft Gedichte und kurze Erzählungen, schließlich "Draußen vor der Tür", einen dramatischen Text, den er untertitelte: "Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will".
Auf der Suche nach "Zeitstücken"
Die resignierende Einschätzung des Autors sollte sich nicht bewahrheiten. Im Gegenteil. Denn die Dramaturgen der Hörspielabteilungen der Rundfunksender in den vier Besatzungszonen suchten nach "Zeitstücken", die die Erfahrungen von Krieg und Nachkriegszeit, die Fragen nach Schuld und Verantwortung, die Hoffnung auf Überleben und Neubeginn thematisierten. Dabei waren sie nicht immer erfolgreich, oft mussten sie auf bewährte Texte von Schriftstellern aus den 1920er und 1930er Jahren zurückgreifen. Denn allzu oft blieb die literarische Qualität der neuen Stücke hinter den überwältigenden Erfahrungen von Hunger, Kälte, Schutt und Elend zurück.
Verarbeitete Erinnerungen
Doch in Hamburg war man nicht nur besonders umtriebig, sondern hatte oft auch ein Quäntchen Glück. Die Dramaturgen und Regisseure in der Hörspielabteilung an der Rothenbaumchaussee, darunter Otto Kurth, Ludwig Cremer, Gustav Burmester, Fritz Schröder-Jahn oder Günther Schnabel, konnten bereits seit Herbst 1945 eindrucksvolle Akzente im Hörspielprogramm setzen.
So verarbeitete der im Sender als Producer angestellte ehemalige Wehrmachtsoffizier Volker Starke seine Kriegserlebnisse in dem Hörspiel "Der Held" und die medienerfahrene Schriftstellerin Erika von Zobelitz schrieb unter dem Pseudonym Renate Uhl im Auftrag der Hörspielabteilung das Stück "Wer ist ohne Schuld?". Der Hamburger Autor Eberhard von Wiese schilderte in "Akazienallee 4" nach dem Vorbild von Thomas Manns Familiensaga "Die Buddenbrooks" die Verfallsgeschichte einer hanseatischen Kaufmannsfamilie. An deren Ende siegten neuer Lebensmut und Aufbauwille. Noch heute finden sich diese und viele andere Texteals Regietyposkripte in der Hörspielabteilung des NDR.
Ein Autor wird entdeckt
Die Hamburger Hörspielmitarbeiter waren ständig auf der Suche nach neuen talentierten Autorinnen und Autoren. Wöchentlich boten sie mitunter bis zu drei Hörspielproduktionen im NWDR-Programm an. Als ihnen wiederum der Zufall zu Hilfe kam, griffen sie zu. Gleich mehrere Personen wollen das berühmte Manuskript in die Hörspielabteilung vermittelt haben. Mit größter Wahrscheinlichkeit war Ruth Malchow die Überbringerin des Borchert-Typoskriptes um den Kriegsheimkehrer Beckmann.
Malchow war Gründerin der Hamburger "Kleinen Komödie" und arbeitete als freie Mitarbeiterin am Sender in der Rothenbaumchaussee. Aus der kurzen Zeit der gemeinsamen Theaterarbeit mit Wolfgang war ein freundschaftlicher Kontakt zur Familie Borchert entstanden. Bei einem Krankenbesuch gab Wolfgang ihr im Herbst 1946 ein Typoskript mit, obwohl er selbst diesen Text noch als unfertig ansah. Malchow, begeistert von der Lektüre, zeigte die Seiten dem Dramaturgen Günther Schnabel. Dieser machte seinen Bruder Ernst darauf aufmerksam, der seit 1. November 1946 als Chefdramaturg die Hörspielabteilung des NWDR leitete.
- Teil 1: "Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will"
- Teil 2: "Auf dieses Stück haben wir gewartet …"