Private Konkurrenz - Der NDR in den 1980er-Jahren
"Lieber NDR, Du mußt jetzt ganz tapfer sein. Ab Juli gibt’s R.SH" steht auf dem Werbeplakat von 1986. Illustriert ist es mit einem Boxhandschuh, der wie ein Schachtelteufel aus einer Kiste springt und den NDR aus dem Bild zu knuffen scheint. Die Werbekampagne von Radio Schleswig-Holstein (R.SH), dem ersten privaten Programmanbieter im NDR Sendegebiet, steht symptomatisch für die schwierigen 1980er-Jahre des Norddeutschen Rundfunks.
Dabei schien es zu Beginn des Jahrzehnts so, als sei die schlimmste Zeit überstanden: Eine Kompromisslösung verhinderte die drohende Zersplitterung der Rundfunkanstalt nach Schleswig-Holsteins Kündigung des NDR Staatsvertrags. Im neuen Staatsvertrag, der am 20. August 1980 unterzeichnet wurde, einigten sich der NDR und die drei Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen unter anderem auf eine intensivere Regionalisierung der Programmangebote. So war das Fortbestehen des NDR als Drei-Länder-Anstalt auch für die kommenden Jahre gesichert.
Wer wird neuer Intendant?
Neben der existenziellen Bedrohung des NDR durch die Staatsvertragskündigung kämpfte die Rundfunkanstalt zu Beginn der 80er-Jahre auch noch mit einem anderen Problem. Martin Neuffer, seit 1974 Intendant beim NDR, schied Anfang 1980 - nach Ende seines Vertrages - aus dem Amt aus. Der Verwaltungsrat konnte sich zunächst nicht auf einen Nachfolger einigen. Am 8. März 1980 übernahm daher Günter Pipke, dienstältester Direktor des NDR, kommissarisch den Intendanten-Posten. Am 31. Mai entschied der Verwaltungsrat dann, Friedrich Wilhelm Räuker den Posten des Intendanten zu übergeben. In den Jahren zuvor hatte sich Räuker als Programmdirektor beim NDR bewährt. Nun lag es an ihm, den NDR auf die Herausforderungen der Zukunft einzustellen.
Private Konkurrenz für den NDR - ein altes Thema
Räuker erkannte bald, dass sich das medienpolitische System in der Bundesrepublik im Wandel befand. Im Vorwort des NDR Geschäftsberichts 1981 schrieb er: Innerhalb des NDR "sollte indes niemand verkennen, daß angesichts der von äußerst unterschiedlichen rundfunkpolitischen Entwicklungen der kommenden Jahre ihre eigentliche Stunde der Bewährung wohl noch bevorsteht". Mit der "Stunde der Bewährung" spielte Räuker auf den drohenden Verlust der Monopolstellung des NDR auf dem norddeutschen Rundfunkmarkt an.
Ganz neu war Räukers Erkenntnis allerdings nicht: Schon in den fünfziger Jahren war in der Bundesrepublik darüber diskutiert worden, den Weg für private Rundfunkanbieter freizumachen. Die Initiative scheiterte allerdings auch in den folgenden Jahrzehnten immer wieder an hohen finanziellen Hürden und technisch bedingten Engpässen. Erst zu Beginn der achtziger Jahre kam der Umschwung. Dafür sorgte zum einen die wachsende Verbreitung von Satelliten- und Kabelfernsehen, zum anderen wurde durch den Regierungswechsel von der SPD zur CDU der Markt für private Anbieter geöffnet. Während der ehemalige Kanzler Helmut Schmidt mit dem Start des privaten Rundfunks eine "Spirale der Programmverflachung" prophezeite, feierte der neue Kanzler Helmut Kohl die Veränderung in der Medienlandschaft als "Jahrhundert-Ereignis".
Zeit der Veränderung
Die Verantwortlichen im NDR erkannten zwar, dass Bewegung in die Medienlandschaft kam, wussten aber noch nicht, wann genau mit dem Start der privaten Konkurrenz zu rechnen war. Im Geschäftsbericht von 1982 schrieb Räuker noch: "Auch wenn die rundfunkpolitische Umorientierung und die sie fördernde technologische Entwicklungen bis heute – und wohl noch auf absehbare Zeit – keinen fundamentalen Umbruch herbeiführen konnten und können, müssen die [...] Verantwortlichen davon ausgehen, daß die bisherigen programmlichen und wirtschaftlichen Praktiken [...] einem gründlichen Überdenken zu unterziehen sind."
Mit dieser Aussage sollte Räuker sowohl falsch als auch richtig liegen. Knapp ein Jahr später, am 1. Januar 1984 und somit in "absehbarer Zeit", nahm das Privatfernsehen seinen Sendebetrieb über die Kabelleitungen auf. Tags darauf sendete RTLplus aus Luxemburg nach Deutschland. Das Fernsehpublikum im Norden erreichten die privaten Anbieter noch nicht: Das Projekt Kabelfernsehen startete in Ludwigshafen, München und Berlin, RTLplus empfingen rund 300.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen.
- Teil 1: Wer wird neuer Intendant?
- Teil 2: Ein langer Prozess