Mit dem "Taxi nach Leipzig"
Doch auf dem Weg zum Sendestart gab es noch Schwierigkeiten zu überwinden. Am 3. August 1970 trafen sich die Vertreter der Fernsehspielabteilungen erneut in Köln, um die zukünftigen Beiträge der einzelnen Sendeanstalten zur "Tatort"-Serie zu verhandeln.
Es hatte sich nämlich gezeigt, dass es "Komplikationen bei der Vorbereitung der 'Tatort'-Serie" gab. Alle Sendeanstalten für die Ausstrahlung eines gemeinsamen Formats unter einen Hut zu bekommen, gestaltete sich für die Beteiligten schwieriger als vermutet. Vieles gab es zu bedenken. Etwa die Frage, die der Rowohlt Verlag aufwarf: Sollten die Autoren nicht zusätzlich honoriert werden, wenn Kommissar-Figuren unter den Sendeanstalten gleichsam "ausgeliehen" werden, sprich: wenn sie Gastauftritte haben? Im Protokoll hielt man fest: "Es wird mit allen 'Tatort'-Autoren vereinbart, dass ihre Kommissare ohne zusätzliches Honorar bei anderen Sendern als Nebenfiguren erscheinen dürfen."
Ebenso galt es zu klären, dass nicht ein und derselbe Darsteller zunächst einen Haupttäter und kurz darauf einen Kriminalbeamten spielen könne. Außerdem musste ein gemeinsamer "Tatort"-Vorspann entwickelt werden. Alle Sender wurden verpflichtet, diesen zu übernehmen, und sich gleichzeitig entsprechend einem Kostenschlüssel an den stattlichen Herstellungskosten von 40.000 DM zu beteiligen.
Das "Tatort"-Team löste im August 1970 nicht nur diese Probleme. "Um Pannen der sich abzeichnenden Art auszuschalten", beschlossen die Fernsehspielmacher, eine "Tatort-Clearing-Stelle" einzurichten. Diese sollte alle Skripte, Besetzungs- und Budgetlisten sammeln und verwalten. Als Projektmanager erkoren die "Tatort"-Planer Gunther Witte vom WDR.
Dank an den NDR
Am 14. Oktober 1970 war Pressetermin. Fernsehspiel-Koordinator Horst Jaedicke stellte beim NDR in Hamburg den "Tatort" der Öffentlichkeit vor: "Die erste 'Tatort‘-Sendung ist am Sonntag, dem 29. November, im Programm. Sie wird vom NDR ausgestrahlt und hier finden Sie auch die Erklärung, warum die Pressekonferenz in Hamburg stattfindet. Dank an den Norddeutschen Rundfunk im doppelten Sinne."
In seinen Ausführungen "Ein paar Gedanken zu 'Tatort‘" sprach Jaedicke die Schwierigkeiten an, die im Vorfeld bewältigt worden waren. So ging er auf die Fragen von Urheberrechten ein, indem er erklärte: "Selbstverständlich hat jeder Autor ein Recht auf die von ihm erfundenen Figuren (…). Aber gerade das macht den Reiz unserer 'Tatort‘-Reihe aus: das Verzahnen von Handlungen und Charakteren (…)". Zum Thema Persönlichkeitsrechte, wie sie im Fall des "Mannheimer Morgens" aufgetaucht waren, führte er aus: "Die Stoffe, die unsere 'Tatort‘-Reihe zugrunde liegen, sind dokumentarisch und fiktiv. Das Dokumentarische ist in der Regel so verändert, dass sich niemand daran erinnert fühlen muss, wenn er nicht will. Und das Fiktive ist so realistisch, dass es gewesen sein könnte, auch wenn es gar nicht war."
23,4 Millionen Zuschauer sehen "Taxi nach Leipzig"
Ebenso dokumentarisch-fiktiv war das "Taxi nach Leipzig" aufgebaut. Der Film erzählt einen erdachten Kriminalfall vor dem realen deutsch-deutschen Hintergrund des Kalten Krieges. Der Hamburger Hauptkommissar Paul Trimmel ermittelt im Transitbereich. Wie konnte ein vermeintlich in Hamburg aufgewachsenes Kind tot in Leipzig aufgefunden werden? 23,4 Millionen Fernsehzuschauer verfolgten, wie Trimmel auf eigene Faust nach Leipzig fuhr, um die Mutter des toten Jungen zur Rede zu stellen.
Die grenzübergreifende Ermittlung kam bei einigen Kritikern gut an. Wohlwollend bemerkte "Der Tagesspiegel" aus West-Berlin: "Der kriminalistische Aspekt des Films besaß Glaubwürdigkeit, die Ermittlungen erschienen sinnvoll." Das Urteil des "Kölner Stadtanzeiger" war sogar "durchweg positiv". Begeistert notierte man hier, wie die ARD die politischen Konflikte, "die eigentliche Hürde dieses ersten 'Tatorts‘ (…) mit Bravour" meisterte. Und das "Hamburger Abendblatt" lobte: "Formal war dieser Krimi so sauber gemacht, wie man es sich nur wünschen kann."
Wie man sich täuschen kann
Doch längst nicht alle Pressestimmen fanden so positive Worte. Die kritischen Töne überwogen. "Die Zeit" monierte die "sorgfältig aufgebauten (…) Stereotype" der Ost-West-Geschichte. Ähnlich die "Stuttgarter Zeitung", die bemängelte, dass der Film "so ziemlich alle Klischees aufwärme, die existieren". Süffisant äußerte sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", indem sie die ARD-Parole der "kriminalistischen Hausmannskost" genüsslich aufgriff: "Im ganzen bietet der Anfang der Serie mehr eine Variante von Bekanntem als etwas Neues. Stutzig macht auch, dass einem vorsorglich ‚kriminalistische Hausmannskost‘ versprochen wird." Für die "Frankfurter Rundschau" klang dies noch geradezu milde. Sie fand "Taxi nach Leipzig" schlichtweg "unrealistisch und streckenweise tödlich langweilig" und kam zu dem Schluss: "Seit Sonntagabend steht es 1:0 für den 'Kommissar‘".
Damit formulierte der Kritiker zwar ein Fazit, das die ARD Programmverantwortlichen besonders hart getroffen haben dürfte. Aber er sollte nicht Recht behalten. Denn der "Tatort" machte das Rennen. "Der Kommissar" hielt sich bis 1976 im Programm des ZDF, die ARD-Ermittler aus den verschiedenen deutschsprachigen Regionen gehen bis heute erfolgreich auf Verbrecherjagd.
- Teil 1: "Der Kommissar" - neues Zugpferd im ZDF-Programm
- Teil 2: Die föderale Antwort
- Teil 3: Aufklärungsbedarf