Die "Spiegel"-Affäre
Für spezielle Brisanz sorgten schließlich zwei weitere Elemente: Zum einen die Bilder einer erfolglos verlaufenden Hausdurchsuchung bei "Spiegel"-Verlagsleiter Hans-Detlev Becker, die ein "Panorama"-Mitarbeiter begleitet hatte, zum anderen die Ausschnitte aus einer Podiumsdiskussion im Audimax der Universität Hamburg. Hier debattierten Journalistengrößen wie Henri Nannen, Eugen Kogon und Axel Eggebrecht über die Rechtmäßigkeit der Vorgänge und übten deutliche Kritik am Vorgehen der Regierung.
Nicht genug damit. Die in den verschiedenen Filmelementen zum Ausdruck kommende Kritik wurde durch die Moderationen des "Panorama"-Redakteurs Gert von Paczensky unterstützt. Dieser hatte das Magazin gemeinsam mit seinem NDR-Kollegen Rüdiger Proske im Juni 1961 ins Leben gerufen und sich in den bis dahin ausgestrahlten Sendungen als meinungsfreudiger politischer Journalist profiliert.
"... adieu Rechtsstaat, adieu Demokratie"
Aber selbst für das schon Ärger gewohnte Team um Proske und von Paczensky war die Ausgabe zur "Spiegel"-Affäre ein heißes Eisen. Entsprechend nervös war man daher auch während der Sendung im NDR Studio. Gert von Paczensky schrieb Jahre später in seiner Publikation "… über Fernsehen": "Wir produzierten und zeichneten einzelne Teilstücke noch auf, als der Anfang schon über den Sender ging; ich hatte ein Stückwerk aus vielen kleinen Einzelheiten zusammengesetzt, und in einer Ecke des Studios hatte ich zwei ungewohnte Redakteure sitzen: Der Intendant und der Justitiar des Senders lasen mein Manuskript genau so hastig durch, wie ich es schrieb, und sie milderten auch manche meiner Formulierungen."
Doch trotz dieser Maßnahme sorgte die "Panorama"-Sendung für jede Menge Zündstoff. Das lag vor allem daran, dass von Paczensky den gegen den "Spiegel" gerichteten Vorwurf des Landesverrats in den Mittelpunkt der Sendung stellte. Damit erreichte die Kritik an der Vorgehensweise der Regierung und speziell an der Person des Verteidigungsministers Strauß ein neues Niveau. Diese Zielsetzung der Sendung verdeutlichte auch die Warnung des prominenten Journalisten Sebastian Haffner am Ende der Sendung: "Wenn die deutsche Öffentlichkeit sich das gefallen lässt, wenn sie nicht nachhaltig auf Aufklärung dringt, dann adieu Pressefreiheit, adieu Rechtsstaat, adieu Demokratie."
Kampf um "Panorama"
"Panorama" brachte auf den Punkt, was viele Bundesbürger bisher nur hinter vorgehaltener Hand zu äußern gewagt hatten. Entsprechend heftig fielen daher die Reaktionen der Regierungskoalition und von Teilen der Presse aus. NDR Intendant Gerhard Schröder verteidigte seine "Panorama"-Redakteure und ließ die Proteste zunächst ins Leere laufen.
Doch die CDU machte ihren Einfluss in den Gremien der Rundfunksender republikweit geltend und so kam es zu einem offenen Streit der ARD-Intendanten entlang der Parteilinien. Während sich Intendanten wie Gerhard Schröder oder Walter Steigner vom SFB auf die Seite von "Panorama" stellten, forderten ihre CDU-freundlichen Kollegen scharfe Auflagen für die Sendung. Der Intendant des SR, Franz Mai, drohte sogar mit einem Ausstrahlungsboykott von "Panorama", wenn der NDR diese Art des Journalismus nicht unterbinden würde.
Angriff auf die Pressefreiheit
Inzwischen hatte sich die öffentliche Meinung jedoch grundlegend gewandelt. Nach "Panorama" übte das Fernsehmagazin "Report" aus München ebenfalls Kritik am Vorgehen gegen den "Spiegel". Bald änderte sich auch die bis dahin noch vage gebliebene Haltung der Tagespresse, denn immer mehr Widersprüche und Lücken in der Argumentation der Regierung traten auf. Nahezu alle Zeitungen verurteilten nun die staatliche Vorgehensweise gegen den "Spiegel". Die Print-Journalisten hatten inzwischen begriffen, dass es nicht mehr nur um die Verhaftung der "Spiegel"-Redakteure, sondern vielmehr um einen staatlichen Angriff auf die deutsche Pressefreiheit ging.
Die massive Kritik in den Medien setzte die Bundesregierung zunehmend unter Druck. Immer deutlicher wurden die öffentlichen Anschuldigungen gegen ein fragwürdiges Zusammenspiel von Regierung und Justiz im Vorgehen gegen den "Spiegel". Am 30. November 1962 trat Franz Josef Strauß als Verteidigungsminister zurück.
Recherchieren, aufdecken, nachfragen
Strauß ging, "Panorama" blieb. Der NDR begegnete den konservativen Parteivertretern in den Rundfunkgremien und ihrer Kritik an der Sendung mit der Zusicherung, die Redaktion personell zu verstärken und jede Ausgabe vor ihrer Ausstrahlung von der Intendanz abnehmen zu lassen.
Als meinungsstarkes politisches Magazin sorgte "Panorama" aber auch in den folgenden Jahren mit seinem Dreiklang aus Recherchieren, Aufdecken und Nachfragen für Kontroversen. Das ist bis heute so geblieben. Sendungen wie die zur "Spiegel"-Affäre haben sicherlich mit dazu beigetragen, das politische Bewusstsein der deutschen Bevölkerung zu schärfen.
- Teil 1: "Bedingt abwehrbereit"
- Teil 2: Deutliche Kritik an der Regierung