Die "Spiegel"-Affäre
"So nicht!" titelte die "Bild"-Zeitung am 5. November 1962. Für das Springer-Blatt war klar: Das am Vortag vom NDR ausgestrahlte Polit-Magazin "Panorama" sei ein "heimtückischer Angriff auf die junge deutsche Demokratie" und ein "Betrug an Millionen deutscher Zuschauer". Auch die "Süddeutsche Zeitung" zum Beispiel wusste von einem "Handgreiflichen Skandal" zu berichten.
Was war passiert? "Panorama" hatte die sogenannte "Spiegel"-Affäre aufgegriffen und kritisch beleuchtet. Das sorgte auf der politischen Ebene für ein heftiges Beben: Bereits am Morgen hatte Regierungssprecher Karl-Günther von Hase auf der Bundespressekonferenz der "Panorama"-Redaktion unterstellt, eine verzerrte Berichterstattung zu betreiben. Weitere Proteste der CDU Niedersachsen und des Pressedienstes der CDU/CSU folgten. Die Auseinandersetzung zwischen Politikern, Fernsehjournalisten und Zeitungsmachern bekam eine neue Qualität.
"Bedingt abwehrbereit"
Den Hintergrund dieses Streits bildeten die Vorgänge um das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Herbst 1962. Auslöser war ein Artikel des Redakteurs Conrad Ahlers. Unter dem Titel "Bedingt abwehrbereit" berichtete er von einer NATO-Untersuchung, aus der deutlich werde, dass die Bundeswehr nur mithilfe westlicher Atomraketen in der Lage sei, einen Angriff des Warschauer Pakts auf die Bundesrepublik abzuwehren.
Auf das Bekanntwerden eines solchen Politikums mitten im "Kalten Krieg" reagierte das Bundesverteidigungsministerium alarmiert. Bereits einen Tag nach der Veröffentlichung des Artikels erstattete der Würzburger Staatsrechtler und Oberst der Reserve August Freiherr von der Heydte Strafanzeige wegen Landesverrats gegen den "Spiegel". Der amtierende Verteidigungsminister Franz Josef Strauß beauftragte sofort die Bundesanwaltschaft mit der Ermittlung.
Durchsuchungen und Verhaftungen
Am 23. Oktober 1962 erließ der zuständige Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof die von Strauß angestrebten Haft- und Durchsuchungsanordnungen. Sie führten zur Besetzung der "Spiegel"-Redaktion und zur Verhaftung unter anderem der beiden Redaktionsleiter Claus Jacobi und Johannes K. Engel sowie von Conrad Ahlers, der zu der Zeit im Spanien-Urlaub war. Der leitende Redakteur Rudolf Augstein stellte sich einen Tag später.
Das Vorgehen der Polizei und die juristischen Ermittlungen gegen ein Pressehaus sorgten für großes Aufsehen. Erstmals seit 1945 war die Regierung derart heftig gegen ein publizistisches Organ vorgegangen. Dennoch verhielt sich die Tagespresse zunächst abwartend. Zwar war man sich darin einig, die Verhaftungen als solche zu verurteilen, den Vorwurf des Landesverrats mochten viele Tageszeitungen jedoch nicht ohne weiteres zurückweisen. Es schien, als würden der von der Regierung eingeschlagene harte Kurs gegen den "Spiegel" und der damit verbundene Angriff auf die journalistische Freiheit in der Bundesrepublik stillschweigend geduldet werden.
Redaktion hinterfragt "Landesverrat"
Mit der "Panorama"-Sendung vom 4. November 1962 änderte sich diese Situation schlagartig. Erstmals wagte sich ein Magazin an die uneingeschränkte Aufklärung der Verhaftungsaktionen. Die "Panorama"-Journalisten hinterfragten äußerst kritisch den von der Regierung vorgebrachten Vorwurf des Landesverrats. Dabei gab sich die monothematische Magazinsendung auf den ersten Blick keineswegs reißerisch oder skandalös. Doch die knapp 45 Minuten lange "Panorama"-Sendung war geschickt "gebaut", wie die Fernsehmacher sagen würden.
In der Redaktion beleuchtete man das Thema mithilfe unterschiedlicher journalistischer Formen. Einen Schwerpunkt der Sendung bildeten die Interviews mit Angehörigen der verhafteten "Spiegel"-Redakteure. Daneben gab es einen kurzen Überblick über die Reaktionen der in- und ausländischen Presse auf die bundesrepublikanischen Ereignisse. Hinzu kam schließlich ein pointiert geschnittenes Stimmungsbild aus Meinungsäußerungen der Bevölkerung. Sogar die "Bild"-Journalisten mussten anerkennen, dass diese Sendung "außerordentlich gekonnt und raffiniert gemacht" sei.
- Teil 1: "Bedingt abwehrbereit"
- Teil 2: Deutliche Kritik an der Regierung