Ein bisschen NDR, ein bisschen Anarchie
Am 4.4.1994 ist Mark Zuckerberg neun Jahre alt. Er lebt mit seinen Eltern in einem kleinen Ort vor New York. An diesem Tag geht in Norddeutschland N-JOY, damals N-Joy Radio, auf Sendung, das junge Programm des NDR. Bis zum Start von Mark Zuckerbergs sozialem Netzwerk Facebook sollen noch zehn Jahre vergehen. E-Mails sind ein Tool für Spezialisten. Und so stehen im April 1994 neben einer Bandmaschine auch noch Faxgeräte in der Redaktion des neuen NDR Programms.
Eine bunte Truppe geht auf Sendung
Eine bunte Truppe von jungen Kreativen unter der Leitung von Wellenchef Torsten Engel und Musikchef Henry Gross machte sich auf den Weg, die Idee eines Jugendprogramms in die Tat umzusetzen. Ich war damals der jüngste Mitarbeiter und erinnere mich an eine euphorische, aufgekratzte Stimmung, als am 4.4.1994 um kurz vor 16.44 Uhr der Countdown zum Sendestart begann.
Kaum waren wir auf Sendung, spuckten die Faxgeräte ununterbrochen Grüße, Musik- und gute Wünsche aus allen Teilen Deutschlands aus und hörten damit tagelang nicht mehr auf. Von einer Minute auf die andere war aus einem Konzept ein Radioprogramm geworden, und von der ersten Sekunde an hatten wir die Menschen, für die wir das alles machten: Hörerinnen und Hörer.
Spaß bei der Arbeit, auch wenn es mal etwas länger ging
Am zweiten Sendetag war ich als Gewinnspiel-Reporter unterwegs, und das Gewinnspiel funktionierte so: Ich gab ungefähre Hinweise, wo ich mich gerade im großen Sendegebiet des NDR befand, und die Hörerinnen und Hörer mussten mich finden. Wir waren uns gar nicht sicher, ob das klappen würde, aber: Es dauerte keine halbe Stunde, bis die Leute, die N-Joy Radio noch nicht einmal 24 Stunden kannten, mich in Schwerin entdeckt hatten. Ich fuhr zurück ins Funkhaus, da ich in der ersten Woche die Nachtsendung moderierte.
Lange Schichten waren kein Problem für uns, denn wir hatten das Gefühl, bei etwas ganz Besonderem dabei zu sein. Ein neuer Sender, neue Hörerinnen und Hörer, ein neues Team. Alles war aufregend. Wer das Programm eingeschaltet hatte, konnte förmlich spüren, wie viel Spaß die Macherinnen und Macher bei der Arbeit hatten, die ihnen gar nicht wie Arbeit vorkam.
Statt Kantine: "Lasagne-Fred" und die "Schramme"
N-Joy Radio hat den NDR verändert. Dabei sendete das Programm anfangs gar nicht von einem der Hamburger NDR Standorte am Rothenbaum oder in Lokstedt. Das junge Team residierte in einem kleinen, runden Pavillon neben dem Winterhuder Fährhaus an der Bebelallee. Mittags ging es nicht in die Kantine, sondern zum "Lasagne-Fred", abends nach dem Dienst nicht nach Hause, sondern in die Kneipe "Schramme". Ausflüge in die Rothenbaumchaussee waren eher selten. Ganz bewusst wollte der NDR der neuen Redaktion im wörtlichen Sinn Raum für Kreativität und neue Ideen geben.
Genervte Nachbarn, erstaunte Korrespondenten
Die Akustik in dem an einen großen Glaskasten erinnernden Rundbau musste jedem Techniker ein Graus sein. Wenn im Sommer die Fenster des Studios geöffnet waren, hörte man selbst während der Nachrichten im Hintergrund Krankenwagen oder hupende Autos. Auf der anderen Seite beschwerten sich die Nachbarn im eher gediegenen Stadtteil, wenn im Produktionsstudio bei geöffnetem Fenster morgens um 5 Uhr die Musikanlage zum Wachwerden laut aufgedreht wurde.
Ein bisschen NDR, ein bisschen Anarchie - das Modell funktionierte. N-Joy Radio spielte andere Musik, stellte aber auch andere Fragen: So mancher Korrespondent wirkte leicht überfahren, wenn er im Vorbereitungsgespräch die Ansage "Wir duzen uns, ist ja Jugendradio" bekam, die nicht als Frage missverstanden werden sollte.
Anlaufstelle für Stars und Newcomer
Unzählige Anekdoten pflastern den Weg von 20 Jahren N-JOY. NSync mit Justin Timberlake mussten das Gebäude durch das Küchenfenster betreten, weil Fan-Massen den Eingang versperrten. Die Band "Scooter" war bekannt für ihre Liebe zum deutschen Schlager und intonierte regelmäßig auf Aftershow-Partys den Klassiker "Im Wagen vor mir". Ich hatte ein Erlebnis mit Robbie Williams, der wegen einer unangenehmen Frage zu seinen damaligen Popstar-Eskapaden unter dem Protest seiner Managerin das Studio verließ.
Überhaupt: Musik. Natürlich gehörte und gehört Musik zur DNA des Programms. "Wir sind Helden" weihten 2004 das neue Studio in der Rothenbaumchaussee ein, James Blunt spielte als unbekannter Newcomer im Foyer von Haus 12, dem sogenannten "Radiohaus", Tocotronic lieferten eine sehr laute Show im Rolf-Liebermann-Studio des NDR ab. Sarah Connor spielte das erste N-JOY Geheimkonzert in Bückeburg, Jan Delay das größte N-JOY the Beach-Festival vor mehr als 40.000 Menschen in St. Peter-Ording.
- Teil 1: Eine bunte Truppe geht auf Sendung
- Teil 2: Miosga, Thadeusz, Zervakis: Start bei N-JOY