Vom Kellerkind zur Institution: Die "Tagesschau"
Die Rückkehr Eisenhowers aus Korea, das Richtfest für die Fernsehstudios in Hamburg-Lokstedt, eine Eisrevue und das Fußballspiel Deutschland gegen Jugoslawien - das waren die Themen der ersten "Tagesschau" am 26. Dezember 1952.
Angefangen hatte alles bereits ein Jahr zuvor. Im Herbst 1951 schloss der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) einen Vertrag mit der Neuen Deutschen Wochenschau: Aus dem Filmmaterial der "Wochenschau" sollte ein Redakteur mit zwei Cutterinnen eine Aktualitätenschau für das geplante Fernsehprogramm produzieren. Ihre Arbeitsstelle: der "Wochenschau"-Keller in der Hamburger Heilwigstraße.
Mit den Filmrollen in die U-Bahn
Zunächst wurde geübt. Am 4. Januar 1952 startete der "Fernseh-Filmbericht", im August bekam er den Namen "Tagesschau" - und am 26. Dezember 1952, einen Tag nach dem Programmstart des NWDR-Fernsehens, lief die erste offizielle "Tagesschau"-Ausgabe über den Bildschirm. Nur knapp 1.000 Leute konnten damals das Programm empfangen. Fernsehen war vielen suspekt, auch den meisten Journalisten. Die wenigsten ahnten, was in dem neuen Medium steckte. Für Radio-Leute war es einfach unseriös, die Brauereibesitzer befürchteten sinkende Bierumsätze in den Gaststätten und meinten, ein TV-Programm dürfe es an höchstens zwei Abenden der Woche geben.
Die "Tagesschau" kam anfangs dreimal wöchentlich. Martin S. Svoboda, der erste und zunächst einzige Redakteur der Sendung, sichtete die "Wochenschau"-Filme im Keller und schrieb die Texte auf seiner privaten kleinen Reiseschreibmaschine, wie es in seinem Arbeitsvertrag festgeschrieben war. Für eine "Tagesschau"-Sendung erhielt er 40 Mark Honorar. Wenn das Material fertig geschnitten war, nahm Svoboda die Filmrollen, setzte sich in die U-Bahn und fuhr zum Heiligengeistfeld: Aus dem dortigen Weltkriegs-Bunker wurde gesendet.
"Tagesschau"-Thema war damals alles, was das "Wochenschau"-Material hergab: Schiffsunglücke, Staatsbesuche, Modenschauen - ein buntes Sammelsurium. 1955 wurde die Redaktion nach Hamburg-Lokstedt verlegt, wo der NDR zwischenzeitlich die ersten Fernsehgebäude errichtet hatte. Der Vertrag mit der "Wochenschau" lief aus, jetzt schickten Agenturen ihre Filmbilder, und im Oktober 1958 begann der Nachrichtenaustausch der Eurovision und damit die magnetische Bildaufzeichnung.
"Mister Tagesschau"
Bis Ende der 50er-Jahre bestand die "Tagesschau" nur aus Filmbildern, ab März 1959 lieferte der Hörfunk einen fünfminütigen Wortnachrichtenblock dazu. Der erste Nachrichtensprecher war Karl-Heinz Köpcke. Zunächst standen die Wortnachrichten am Anfang der Sendung. Im Dezember 1960 fing man dann mit der noch heute gültigen Mischung von Wort- und Filmnachrichten an. Die "Tagesschau" erhielt eine eigene Redaktion, die neue Fernschreibzentrale spuckte die Texte aller großen Nachrichtenagenturen aus - und Karl-Heinz Köpcke wurde "Mister Tagesschau", die Glaubwürdigkeit in Person, den viele sogar für den Regierungssprecher hielten.
Die Sendung war schnell eine Institution. "Für Millionen deutscher Staatsbürger ist die 'Tagesschau' des Deutschen Fernsehens zu einer selbstverständlichen Gewohnheit geworden", schrieb der damalige ARD-Vorsitzende Hans Bausch zum zehnjährigen Jubiläum 1962. "Keine Sendung des Deutschen Fernsehens und keine Sendereihe hat eine so beständig hohe Zuschauerquote aufzuweisen wie dieser tägliche Fernseh-Nachrichtendienst." Und weiter: "Das im Ausbau befindliche Fernseh-Korrespondentennetz der ARD wird bald die Film- und Bildmaterialien der großen internationalen Agenturen ergänzen."
Die Welt im Wohnzimmer
Erste Auslandskorrespondenten lieferten schon Ende der 50er-Jahre Berichte nach Hamburg, Hans Wilhelm Vahlefeld etwa, der auf eigene Faust nach Asien gefahren und mit der Filmkamera unterwegs war. Wenn er selbst im Bild sein wollte, stellte er sie auf ein Stativ, machte mit einem Bleistift in der Hand als Mikrofon-Ersatz seinen Aufsager, sprach abends im Hotel die Sätze noch einmal auf ein Tonband, schickte alles nach Hamburg und konnte nur hoffen, dass die "Tagesschau"-Cutterinnen Bild und Ton schon irgendwie synchron zogen. Hans Walter Berg in Indien, Peter von Zahn in Washington - ARD-Korrespondenten prägten das Auslandsbild der Deutschen, und sie alle arbeiteten auch für die "Tagesschau".
Im Inland entstand das Studio Bonn, die einzelnen ARD-Anstalten lieferten immer mehr Berichte zu. 1961 kam die Spätausgabe als zweite Sendung des Tages und von nun an gab es auch sonntags eine "Tagesschau". Das einstige Kellerkind setzte mittlerweile Maßstäbe. Der Ausbau ging kontinuierlich voran, behutsam entwickelte die Redaktion die Sendung weiter. Der Vorspann und das Design wechselten mehrmals, im März 1970 wurde die "Tagesschau" farbig - die Solidität der Information blieb.
Neue Köpfe, neue Sendungen, neue Technik
Im Januar 1978 ging die erste "Tagesthemen"-Sendung über den Bildschirm: vertiefende Hintergrundinformationen am späten Abend - eine Sendung, auf die nicht nur Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll "scharf" war. Hanns Joachim Friedrichs, seit Oktober 1985 einer der beiden Moderatoren derr Sendung, war bald "Mister Tagesthemen" und, ebenso wie Karl-Heinz Köpcke, ein Markenzeichen für journalistische Qualität.
Ein Erbe, das verpflichtet. Heute produziert ARD-aktuell 24 Stunden täglich Sendungen, ist zur Nachrichtenfabrik geworden. Etwa 120 Redakteure arbeiten im Schichtdienst rund um die Uhr: für die "Tagesschau", die "Tagesthemen" und das "Nachtmagazin" - für die klassischen TV-Formate. Aber auch für neue sogenannte Ausspielwege: das Internet mit dem Angebot von tagesschau.de, der App für den schnellen Zugriff unterwegs sowie für tagesschau24, den Nachrichtenkanal für die digitale ARD-Welt und Grundlage für den Live-Stream in der Netzwelt. Was würde wohl der erste "Tagesschau"-Redakteur Martin Svoboda dazu sagen?
"Tagesschau" für alle
Zum Beispiel das Jahr 2011: Fukushima, Euro-Krise, Arabischer Frühling - so viel News waren selten, ein Jahr der Sonderanstrengungen für ARD-aktuell. Extra-Ausgaben der "Tagesschau" im Stundenformat, Live-Schalten rund um den Globus, Hintergrundbeiträge zur Sicherheit von Atomkraftwerken oder der Schlagkraft von Gaddafis Truppen und das alles möglichst schnell und möglichst präzise recherchiert. Das Tempo, der Output, das Arbeiten hat sich verändert. Immer am Puls der Zeit, spannend, aufregend, auch anstrengend, klar.
Nachrichten in Echtzeit, diesem Anspruch im Internet-Zeitalter muss sich auch ARD-aktuell stellen. "Neue Deutsche Wochenschau", 16-mm-Film, magnetische Bildaufzeichnung. Begriffe aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit. Und heute? Live-Einspielung, Open-Publish, FAQ, "Tagesschau in 100 Sekunden". Die Technik wird sich weiter ändern, der Anspruch der Redaktion aber bleibt gleich: Informationssuchende bestens zu bedienen. Egal wo.