1945 bis 1947: Der NWDR unter britischer Kontrolle
Der erste Sender in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Radio Hamburg. Das britische Militär beschlagnahmte das unzerstört gebliebene Funkhaus im Stadtteil Harvestehude am 4. Mai 1945 um 10 Uhr vormittags. Um 19 Uhr desselben Tages wurde der Sendebetrieb wieder aufgenommen.
Die britische Nationalhymne erklang und eine zweisprachig verlesene Stationsansage verkündete: "Here is Radio Hamburg, a Station of the Allied Military Government / Hier ist Radio Hamburg, ein Sender der alliierten Militärregierung". Dies signalisierte den Neubeginn des Rundfunkbetriebs in der britischen Zone, einem Sendegebiet, das die heutigen Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein sowie die Freie und Hansestadt Hamburg umfasste.
Nachrichten und Übernahmen
An ein eigenes Programm war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken. Proklamationen der Militärregierung, Hinweise für die Bevölkerung sowie Nachrichten in mehreren Sprachen für die "Displaced Persons" entstanden in der Rothenbaumchaussee. Unter "Displaced Persons" verstand man Menschen, die sich kriegsbedingt außerhalb ihrer Heimat aufhielten und ohne Hilfe nicht nach Hause zurückkehren bzw. sich nicht in einem anderen Land ansiedeln konnten. Ansonsten übernahm Radio Hamburg weitgehend die Programme von Radio Luxemburg und vom deutschsprachigen Dienst der BBC. Eine weiterreichende Aufgabe hatten die Planungen der Briten bis dahin nicht vorgesehen.
Ein eigener "Home Service" für Norddeutschland
Die ersten Monate waren noch geprägt von diesem Planungsrückstand. Zwar untersagten die gemeinsam mit den USA entwickelten Gesetze jegliche Aktivität von Deutschen im Bereich der Medien, doch gleichzeitig war man auf eine kontrollierte schrittweise Zulassung von deutschem Personal angewiesen. Die Weichenstellung für einen eigenen deutschen Sender wurde am 20. November 1945 vollzogen. In London legte man fest, dass es auf der einen Seite den "German Service" der BBC geben sollte, auf der anderen Seite jedoch einen eigenen "Home Service" in Deutschland.
Für den Nordwestdeutschen Rundfunk, den Sender für die britische Besatzungszone, bedeutete dies den Ausbau zu einer Institution, die mehr und mehr von deutschem Personal getragen werden konnte. Diese Institution sollte kulturelle, bildende und unterhaltende Programme ebenso anbieten wie informierende Sendungen, die objektiv waren und der öffentlichen Meinungsbildung dienten.
Einüben in die Demokratie
Diese Ziele umzusetzen, war die Aufgabe zweier "Broadcasting Control Units" in der "Public Relations/Information Services Control Group" der britischen Militärregierung. Vor allem waren es einige wenige Kontrolloffiziere wie Walter Everitt, Ralph Posten und Alexander Maass im Funkhaus Hamburg oder Horace Saunders-Jacobs und Edward Rothe im Funkhaus Köln, die als militärische Angestellte oder Zivilisten mit militärischem Rang die Auswahl von geeigneten deutschen Mitarbeitern trafen und den Aufbau der einzelnen Programmangebote entscheidend beförderten.
Die Offiziere in britischer Uniform prüften und wählten deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, die das Wort- und Musikprogramm sowie die informierenden, bildenden, Kultur vermittelnden und unterhaltenden Sendungen gestalten sollten. Dabei erwiesen sich die "Controllers" oft weniger als strenge Überwacher denn als väterliche Freunde und Helfer. Das sich auf diese Weise sehr bald schon ausdifferenzierende Programmangebot war Ergebnis dieses Zusammenspiels. In den entstehenden Abteilungen und Redaktionen herrschte Aufbruchsstimmung. Der Dirigent Hans Schmidt-Isserstedt baute mit dem Sinfonieorchester des NWDR einen bedeutenden Klangkörper auf, und der Schriftsteller Ernst Schnabel führte das Hörspiel zu ersten bemerkenswerten Produktionen. Es entstanden Zielgruppenprogramme für Schüler, Frauen, Landwirte und die Jugend.
Die publizistische Kraft - Vorbild BBC
Erfahrene journalistische Mitarbeiter wie Peter von Zahn und Axel Eggebrecht klärten auf und diskutierten. Sie begründeten Sendereihen mit Titeln wie "Sind wir auf dem richtigen Wege?" und berichteten vom Bergen-Belsen-Prozess in Lüneburg. Hinzu kamen die jüngeren Mitarbeiter, die voller Elan an die Programmarbeit gingen. Die Vertreter der "jungen Generation", der so genannten "Frontsoldaten-" und "Flakhelfer-Generation", machten sich die angloamerikanischen, westeuropäischen Demokratie-Vorstellungen zu eigen und übernahmen das Leitbild der öffentlich-rechtlichen BBC als einer der Gesellschaft dienenden publizistischen Kraft.
Hier begannen langjährige Karrieren
Viele in den Nachkriegsmonaten angestellte Mitarbeiter, geboren in den 20er-Jahren, starteten bemerkenswerte Karrieren. Zu ihnen gehörten Jürgen Roland, Claus-Hinrich Castorff, Carsten Diercks, Hans-Joachim Werbke, Wolfgang Jäger, Günther Isenbügel und - als jüngster - Gerd Ruge, der zu den Absolventen des ersten Nachwuchskurses der im Januar 1947 errichteten NWDR-Rundfunkschule gehörte. Auch mehrere Frauen behaupteten sich in der Männerdomäne des Journalismus, darunter Helga Norden, Hilde Stallmach, Helga Boddin, Ursula Klamroth sowie Julia Nusseck, die bald schon den Wirtschaftsfunk in Hamburg leiten sollte.
- Teil 1: Nachrichten und Übernahmen
- Teil 2: Der Chefarchitekt der NWDR: Hugh C. Greene