Apps, Abgaben, Umdenken - wie Familienarbeit gerechter werden kann
Noch immer ist Familienarbeit oft Frauensache und wird kaum wertgeschätzt. Kleine Lösungen lassen sich im Privaten umsetzen, aber es braucht auch strukturelle Änderungen.
"Das bisschen Haushalt…" macht sich eben nicht von allein. Wer macht eigentlich was Zuhause? Nahezu alle Paare und Familien dürften über diese Frage schon einmal diskutiert oder sogar gestritten haben. Dabei geht es nicht nur um die offensichtlichen Dinge wie Kochen, Einkaufen, Wäsche waschen. Es geht auch um all die unsichtbaren Aufgaben, die im Alltag mitgedacht werden wollen: Wann ist der Elternabend in der Kita? Was wünscht sich die Patentante zum Geburtstag? Sind die Tickets für die Zugfahrt in den Urlaub schon gebucht? Noch immer übernehmen vor allem Frauen das meiste dieser sogenannten "Care-Arbeit" im Haushalt - und zwar unbezahlt. Ein Lösungsansatz: Bewusstsein schaffen und das Thema aus der Drama-Ecke holen. Eine App für's Smartphone setzt genau hier an.
App als Stoppuhr für Familienarbeit
Lisa und Flo aus Hamburg sind Eltern eines dreieinhalb-jährigen Sohnes. Flo arbeitet Vollzeit als Servicetechniker. Lisa jobbt 25 Stunden die Woche. Die Grafikdesignerin orientiert sich beruflich um, damit sie künftig in Teilzeit arbeiten kann. Nachmittags kümmert sich Lisa um Sohn Finn: "Oft sieht man am Abend nicht mehr, was man den ganzen Tag so gemacht hat: Aufäumen, Essen kochen, Einkaufen." Genau das will die App "Who cares" ändern. Sie zeichnet in Echtzeit auf, welche Aufgaben man im Haushalt und in der Familie erledigt. Also eine Art Stoppuhr für die Care-Arbeit, erklärt Sophie Obinger, eine der beiden Entwicklerinnen: "Die verschiedenen Funktionen werden durch Bilder angezeigt. Die Symbole für Putzen, Kochen, Waschen sind sehr einfach zu verstehen. Aber es gibt auch die Funktion für emotionale Arbeit." Die App macht also auch die Tätigkeiten sichtbar, die nebenbei oder im Hintergrund erledigt werden. Zudem errechnet sie auf der Basis des Mindestlohns den Wert der unbezahlten Tätigkeiten. Nutzerinnen und Nutzer können auf diese Weise nachvollziehen, wie viel sie verdienen würden, wenn ihre unbezahlte Care-Arbeit entlohnt würde. Der Gedanke dahinter: Care-Arbeit ist Arbeit – und sie hat einen Wert.
Care-Arbeit wird oft unbemerkt erledigt
Lisa und Flo haben die App drei Tage getestet. Lisa musste sich bemühen, bei jeder Tätigkeiten die App-Erfassung zu starten. Sie wollte ihrem Partner Flo aber unbedingt zeigen, was sie alles leistet: "An einem Tag komme ich auf 108 Euro Mindestlohn. Und ich merke, dass ich nicht um 14 Uhr Feierabend habe, sondern dann, wenn ich die Augen zumache und ins Bett gehe." Auch Flo hat die App nochmal bewusster gezeigt, welche Aufgaben er trotz seines Vollzeit-Jobs Zuhause übernimmt. Für ihn ist das eine gute Motivation: "Es wäre gut, wenn man Stunden nachtragen könnte. Oft vergisst man, in der App auf Play zu drücken."
Familien-Management wird sichtbar
Entwicklerin Sophie Obinger spricht von einem Aha-Effekt bei vielen Nutzerinnen und Nutzern: "Das Feedback einer Nutzerin war, dass sie durch die App gemerkt hat, wie viele Tätigkeiten sie eigentlich gleichzeitig macht. Da spielt dann auch der Bereich "Mental Load" eine Rolle. Das betrifft das ganze Haushalts- und Familienmanagement. Aber natürlich werden auch konkrete Tätigkeiten wie Kochen, Waschen, Putzen teilweise gleichzeitig gemacht." Für "Who Cares" haben die Macherinnen einen Zuschuss der Rosa-Luxemburg-Stiftung bekommen. Alle Aufzeichnungen über die Care-Arbeit, bleiben übrigens nur auf dem Handy. Auf die Daten greift also niemand zu.
Sozial-Ökologischer Wandel durch Care-Abgabe
Im Privaten kann eine App durchaus mehr Bewusstsein für die Leistung und Belastung einer Partnerin oder eines Partners schaffen - und der Start in eine Diskussion über eine gerechtere Aufgabenverteilung sein. Am grundsätzlichen Problem, ändert sie aber nichts: Frauen verbringen in Deutschland täglich viereinhalb Stunden mit Care-Arbeit – Männer jedoch nur zweidreiviertel Stunden. Expertinnen und Experten halten strukturelle Änderungen für nötig. Ein - sicherlich umstrittener Vorschlag - ist zum Beispiel eine Care-Abgabe für Unternehmen. Firmen könnte damit einen finanziellen Beitrag zur Care-Arbeit leisten, von der sie bisher wie selbstverständlich profitieren. Die Wirtschaft funktioniere ja nur, weil ständig jemand putzt, kocht und Kinder großzieht, findet Uta Meier-Gräwe. Die Soziologin und Haushaltsökonomin hat an den ersten beiden Gleichstellungsberichten der Bundesregierung mitgearbeitet. "Naturressourcen und Care-Ressourcen sind bisher völlig ungerechtfertigterweise unentgeltlich abgegriffen worden", erklärt sie. Die Care-Abgabe verfolge einen ähnlich Ansatz wie die ökologische Steuerreform. Nach Ansicht von Uta Meier-Gräwe ist es Zeit für einen sozial-ökologischen Umbau unseres Wirtschaftssystems.
Neue Arbeitszeitmodelle und weg vom Ehegattensplitting
Die ungerechte Aufgabenverteilung daheim und die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern sind für Sandra Nix Teile des gleichen Problems. Die Vorsitzende des Business and Professional Women Club Hamburg kritisiert etwa das Ehegattensplitting. Das fördere das alte Rollenmodell, in dem der Mann arbeitet und die Frau sich um Haushalt und Kinder kümmert. Sandra Nix organisiert in Hamburg Aktionen rund um den Equal Pay Day. Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, das Gender Pay Gap, liegt in Deutschland immer noch bei rund 18 Prozent. Im Schnitt bekommt eine Frau 18,62 Euro brutto in der Stunde, Männer dagegen 22,78 Euro. Andere Expertinnen und Experten sehen die Lösung für eine gerechtere Verteilung der Care-Arbeit in neuen Arbeitszeitmodellen. Die klassische 40 Stunden Woche sei grundsätzlich in Frage zu stellen. Wenn beide Eltern arbeiten, würden auch 32 Stunden reichen, findet Soziologin Jutta Allmendinger. Frauen würden auf diese Art aus der Teilzeit-Falle kommen, und Männer hätten mehr Zeit für die Familie.