Zum Siegen verdammt? Kampf um Aufmerksamkeit neben König Fußball
Fußball hat medial weiter ein Aufmerksamkeitsmonopol. Andere Sportarten wie der Basketball müssen kämpfen, auch wenn der WM-Triumph von Dennis Schröder und Co. einen Boom ausgelöst hat. Bleibt die Vielfalt des Sports auf der Strecke?
Überragend - und damit sind nicht allein die langen Kerls unter den Körben gemeint. Die deutschen Basketballer haben zuletzt bei der WM die als unbesiegbar geltenden US-Profis aus der NBA im Halbfinale geschlagen, den Titel gegen Serbien geholt und einen schlafenden Riesen wachgeküsst. Die Nische, die der marktbeherrschende Fußball lässt, scheint etwas größer geworden zu sein.
Aber ist der Aufschwung nachhaltig - auch angesichts anderer Erfolge im Handball, Hockey und Eishockey? "Fußball ist ein Selbstläufer", stellt der Medienwissenschaftler Christoph Bertling im NDR Interview nüchtern fest. "Andere Sportarten haben dagegen eine Art Aufmerksamkeitsdefizit."
Bertling: Basketball hat großes Potenzial
Doch der Experte von der Deutschen Sporthochschule in Köln attestiert dem "sympathischen Basketball" zugleich ein großes Potenzial. Star-Potenzial gar, wenn man Spieler wie Dennis Schröder, die Wagner-Brüder aus der NBA oder die anderen in europäischen Top-Ligen auflaufenden Hünen betrachtet. "Aber", so Bertling, "sie sind jetzt zum Siegen verdammt, damit immer wieder Aufmerksamkeit generiert werden kann."
Der Fußball scheint derlei Sorgen nicht zu kennen; selbst wenn desolate Leistungen und wachsender Zuschauer-Frust kürzlich im Sturz des Bundestrainers gipfelten. Die mediale Übermacht des Fußballs mit einem Anteil von 75 Prozent der Sportberichterstattung scheint unerschütterlich zu sein - selbst wenn zeitgleich deutsche Sportgeschichte bei der Basketball-WM geschrieben wird. Bertling: "Die Flick-Entlassung während des WM-Finals war natürlich ungünstig für die Aufmerksamkeit der Basketballer, die man generieren will und muss."
Wagner genervt von Flick-Fragen
Ignorant bis arrogant für die einen - unfair, unbedacht und unangemessen ohne Zweifel. Die Kritik am Deutschen Fußball-Bund (DFB) hallte durchs Land, letztlich spiegelte die thematische Vermengung in den Medien aber lediglich eine bisweilen bedauerliche Haltung wider. Moritz Wagner beschrieb es im Gespräch mit der "Zeit" so: "Ich war genervt davon, dass ich nach der Landung in Frankfurt Hansi-Flick-Fragen beantworten musste, obwohl wir gerade die WM gewonnen haben."
Rasta-Chef: Basketball-Boom macht auch Probleme
Ein anderes Bild zeigte sich derweil beim ersten Saisonspiel des Erstliga-Aufsteigers Rasta Vechta im BBL-Pokal gegen Liga-Konkurrent Rostock Seawolves, das der Außenseiter aus der niedersächsischen Provinz mit 84:76 gewann. Kurz vor dem Start der Bundesliga, in der die Baskets Oldenburg zum Kreis der Jäger von Meister Ulm zählen und aus norddeutscher Sicht ebenfalls die Hamburg Towers, die BG Göttingen und die Löwen Braunschweig dabei sind, feierten 3.000 begeisterte Zuschauer in der wie immer rappelvollen Halle ihr Team. Aber zugleich auch den gewaltigen Schub, die die Weltmeister ihrer Sportart gegeben haben.
"Wir merken den Boom. Die Nachfrage nach einer Möglichkeit zu spielen, ist noch mal größer geworden", stellt Vechtas Clubchef Stefan Niemeyer fest und erzählt, wie der Club auf den Run reagiert hat: "Wir haben uns gerade eine Lagerhalle angemietet, in der wir einen zusätzlichen Basketball-Court installiert haben, weil wir mit unseren Plätzen nicht mehr hinkommen."
US-Star Bradley: Standort Deutschland wird attraktiver
Probleme, die auch in Rostock bekannt sind. "Wir haben nicht genug Hallenzeiten und Trainer, da wünschen wir uns, dass die Politik mehr hinter uns steht", sagt Seawolves-Pressesprecher Thomas Käckenmeister. Ohne organisatorische Hilfe von Ländern, Städten und Gemeinden ist der Mangel nicht zu beheben, zumal einige Sporthallen in bedauerlichem Zustand sind; andere wiederum sportfern genutzt werden müssen.
Dabei trägt vor allem auch die Förderung und beispielhafte Nachwuchsarbeit der Vereine zum Erfolg bei. "Ich glaube, dass jetzt viele Jugendspieler weiter an sich arbeiten und vielleicht auch den Sprung schaffen", so der 2,10 Meter große Center Johann Grünloh, der selbst erst 18 Jahre alt ist und sein erstes Pflichtspiel in Rastas erster Mannschaft absolvierte. "Das ganze Land wacht gerade auf, wenn es um Basketball geht", beschreibt Rostocks Starspieler Matt Bradley aus den USA die WM-Euphorie. "Für Spieler wie mich wird es attraktiver, hier eine Karriere zu starten."
Ex-Nationalspieler Günther: "Es fehlt an Kapazitäten"
Da aber beißt sich die Katze mitunter in den Schwanz: Die Erfolge bringen - wie einst im Tennis nach Boris Beckers Wimbledonsieg oder im Golf durch Bernhard Langer - viele, insbesondere Kinder, auf den Geschmack. Mangels Möglichkeit und Angebot der Vereine können sie die Sportart aber nicht ausüben. Die ohnehin langen Wartelisten der Clubs sind nach der Basketball-WM noch länger geworden, ohne dass mehr Kinder in der Halle wären, meint Ex-Nationalspieler Per Günther im NDR Sportclub. "Es fehlt an Kapazitäten. Das werden die Vereine nicht alleine lösen können."
"Wer nicht quasi von Natur aus eine Monopolstellung hat wie der Fußball, muss darum kämpfen, möglichst präsent zu sein, damit er bekannt wird." Handball-Boss Andreas Michelmann
Sein siebenjähriger Sohn spiele beim Eimsbütteler TV in Hamburg. Aber auch in dem großen und vergleichsweise wohlhabenden ETV habe sich an der misslichen Situation nichts geändert, so der TV-Experte, der für den aktuellen deutschen Meister Ulm 500 Bundesligaspiele absolviert hat. "Training mit 30 Kindern in der Halle, wenn sie denn irgendwo in der Stadt zur Verfügung steht, ist in einer Gruppe nicht möglich."
"Es gibt Fußball, Fußball, Fußball"
Überdies bekommt das Streben der Nischensportler um nachhaltige Präsenz in den Medien einen weiteren Dämpfer, weil es laut Bertling in der Realität noch immer und wohl auch weiterhin heißt: "Es gibt Fußball, Fußball, Fußball - und dann ganz lange nichts." Und dahinter drängeln sich alle anderen. "Natürlich gibt es den Kampf um Aufmerksamkeit", sagt Handball-Boss Andreas Michelmann. Wer nicht quasi von Natur aus eine Monopolstellung habe wie der Fußball, "muss darum kämpfen, möglichst präsent zu sein, damit er bekannt wird".
Handball-Boss: Kritik an ARD und ZDF
Wenn aber der Fußball allein drei Viertel der Sportberichterstattung ausmacht - und der Präsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB) rechnet damit hat, "dass Fußball heute mehr eine Volksbewegung ist als reine Sportart", zielen seine Wünsche, die ganze Vielfalt der Sportarten zu präsentieren, womöglich ins Leere: "Da finde ich, müssten die Öffentlich-Rechtlichen sich auch mal an die eigene Nase fassen", sagt Michelmann.
Bertling sieht das nicht so, hält die Kritik, dass fast nur noch Fußball gezeigt werde, für überzogen. Und verweist auf die Relevanz: 7,3 Millionen DFB-Mitgliedern stehen 213.000 Organisierte im Deutschen Basketball-Bund (DBB) gegenüber.
TV-Experte Günther: Sportgeschichte verpasst
"König Fußball wird sich weiter so entwickeln. Aber: Ich glaube auch, dass es genug Freiräume und Möglichkeiten gibt für andere Sportarten", so Bertling, der gleichwohl anmerkt: "Wenn eine Sportart bei der ARD oder dem ZDF läuft, sagen viele Leute: Boah, das hat eine besondere Relevanz." Auch deshalb standen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Kritik, als die Basketballer anfingen, bei der WM nachdrücklich für Furore zu sorgen.
"Schade, dass das Halbfinale gegen die USA nicht gezeigt wurde", sagt Günther, der bei der WM als Experte für einen Bezahlsender unterwegs war. "Das war Sportgeschichte, da hätte ich gedacht, dass das Interesse der Öffentlich-Rechtlichen groß genug sein muss - und auch der Auftrag da ist, es den Menschen zu zeigen. Diese Entscheidung habe ich nicht verstanden."