Tierquälerei im Reitsport - "Unser Sport ist ernsthaft in Gefahr"

Stand: 21.02.2024 10:55 Uhr

Namhafte Reiter fordern nach dem Fall Cesar Parra endlich ein härteres Durchgreifen. Einige sehen sogar die olympische Zukunft der Dressur in Gefahr. Eine Ausbilderin schlägt vor, zu deren Schutz auch die geschundenen Pferde zu sperren.

von Andreas Bellinger

Es sind bedrückende und kaum zu ertragende Video-Aufnahmen von Pferden, die offensichtlich gequält, ausgepeitscht und geprügelt werden. Bilder, die fassungslos machen und die Reitsportszene tief erschüttern. Sie stammen aus einem Stall in Florida, der dem für die USA startenden Kolumbianer Cesar Parra gehört. "Ich bin richtig geschockt. Das hat mit ausbilden gar nichts zu tun", sagt Dressur-Mannschafts-Olympiasieger Hubertus Schmidt, der für derlei Gewaltexzesse nur eine Beschreibung hat: "Das ist vergewaltigen." Und es schreit nach Konsequenzen, wie der Ausbilder und Präsident des Reit- und Fahrverbandes im NDR Sportclub fordert.

Brandbrief an Weltverband: Das Ende der Dressur?

Der inzwischen vom Weltverband suspendierte Cesar Parra ist nicht irgendwer, er hat 2004 an den Olympischen Spielen in Athen teilgenommen. Nur Wochen nach dem Skandal um tierquälerische Methoden beim dänischen Dressurreiter und Pferdehändler Andreas Helgstrand lassen die neuerlichen Vorwürfe die Reitsportszene schockiert zurück. Einige sehen sogar die olympische Zukunft ihres Sports gefährdet. In einem Brandbrief an die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) schreibt eine Gruppe besorgter Reiterinnen und Reiter, zu der auch die siebenfache Olympiasiegerin Isabell Werth gehört: "Unser Sport ist ernsthaft in Gefahr."

Die jüngsten Skandale und der "existenzgefährdend schlechte Ruf könne", so zitiert die "Süddeutsche Zeitung" aus dem Schreiben, "das Ende der Dressur und Paradressur als olympische Disziplinen und das Ende seiner olympischen Zukunft bedeuten. Wenn wir nicht aufpassen." Die FEI müsse "Zähne zeigen, die zubeißen können".

Ingrid Klimke: "Abartig und so grausam"

"So was Brutales wie in dem Stall in Florida habe ich noch nie gesehen", sagt Dressur- und Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke. Die Olympiasiegerin ringt am Rande des Reitturniers in Neumünster nach Worten für das Abscheuliche, das sie nie für möglich gehalten habe. "Es ist abartig, es ist schrecklich - es muss gehandelt werden, auf jeden Fall. Dass die schwarzen Schafe und alle, die es tun, wissen, dass das verfolgt wird", sagt sie. Aber niemand sollte meinen, dass es dieses Problem hierzulande nicht gibt.

Strafanzeige gegen zwei Niedersachsen

Auf den geposteten Videos aus dem Parra-Stall sollen auch zwei Niedersachsen zu sehen sein, die jedoch bestreiten, mit Absicht ein Pferd gequält zu haben. "Wir haben gegen die beiden Deutschen, die mutmaßlich beteiligt waren, Strafanzeige erstattet, die zuständige Landwirtschafts-Kammer informiert und beantragt, dass diese überprüft, ob deren Betrieb weiter ein Ausbildungsbetrieb für Pferdewirte sein kann", sagt der Generalsekretär der Reiterlichen Vereinigung (FN), Sönke Lauterbach, dem NDR. Außerdem habe die FN "bei uns einen sogenannten Sperrvermerk gesetzt, dass beide keine Jahres-Turnierlizenz bekommen können, ohne dass das durch unsere Verbandsgerichte läuft".

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Ein Reiter und seine Reitstiefel in einem Steigbügel. © picture alliance/dpa | Friso Gentsch

Tierquälerei im Reitsport? Anzeige gegen zwei Niedersachsen

Die beiden Personen sollen in den Fall Cesar Parra verwickelt sein. Der amerikanische Dressurreiter hat offenbar seine Pferde misshandelt. mehr

Hausverbot in Warendorf

Ein Ausschlussverfahren für die persönliche Mitgliedschaft laufe ebenso. Auch wurde "ein Hausverbot ausgesprochen für unsere Reitanlage, für unsere Zentrale, und damit auch für alle Veranstaltungen bei uns in Warendorf". Damit bleiben beide beispielsweise vom Bundes-Championat ausgeschlossen, einer der wichtigsten Vermarktungsveranstaltungen für den Pferdehandel. Überdies habe Lauterbach Kontakt zu seinen amerikanischen Kollegen aufgenommen, um informiert zu werden, sollten weitere Deutsche auf Videos zu sehen sein, die Tierquälerei dokumentieren.

Reiter fordern abschreckende Strafen

Es ist einiges im Fluss, obschon sich Ingrid Klimke durchaus mehr wünschen würde. Nicht nur, dass die Schuldigen verurteilt werden "und mal ein richtiges Exempel gesetzt wird, damit keiner sich das mehr traut. Es ist schon wichtig, dass härter durchgegriffen wird - das wollen auf jeden Fall alle". Aber warum gibt es überhaupt Menschen im Reitsport, die Pferde im wahrsten Sinne des Wortes bis aufs Blut quälen? Ist es der erhoffte Profit durch mehr Spektakel, exaltierte Bewegungen und dadurch größere Erfolgs-Chancen?

Dressur-Ausbilderin Gerhardt: Marionetten-Tango

"Jede spektakuläre Bewegung ist komplett abzulehnen, weil sie lang- und kurzfristig Sehnen, Bänder, Gelenke, Knochen eines Pferdes verschleißt", sagt Kerstin Gerhardt. Sie ist Dressurausbilderin und Bereiterin der FN und setzt sich vehement für eine harmonische Zusammenarbeit zwischen Pferd und Reiter ein. "Das, was wir auf den Turnieren heute sehen, ist Marionetten-Tango. Zirkus und Lektionen, die nichts mehr mit Harmonie, mit Leichtigkeit und der Freude zwischen Reiter und Pferd zu tun haben."

Sollten auch Pferde gesperrt werden?

Pferde als Renditeobjekte? Die Tiere werden mit brutalen Methoden fit und wettbewerbsfähig gemacht, um das Geld, das sie gekostet haben, möglichst schnell wieder einzuspielen. Gerhardt hat eine Idee, wie man dem entgegenwirken könnte: "Nicht nur Reiterinnen und Reiter sperren, sondern auch die Pferde." Eine Art Schutzhaft für die Tiere. "Alle Pferde dieses Stalls sperren; zwei Jahre dürfen sie nicht verkauft werden. Damit täten wir ihnen mal so richtig weh."

Auch Hubertus Schmidt denkt vermeintlich praktisch: "Wir sollten häufiger und unangemeldet in die Ställe gehen." So einfach aber ist das nicht, gibt FN-Generalsekretär Lauterbach zu bedenken: "Wir dürfen in einen geschützten Raum, also auch auf eine private Anlage gar nicht so einfach gehen. Genauso wie in eine Wohnung dürfen wir das nur, wenn die Menschen damit einverstanden sind. So ist das aus gutem Grund in einem Rechtsstaat."

Verbandsverfahren muss FN-Ausschluss klären

Andere Mittel und Wege müssten im Vordergrund stehen, so Lauterbach. Prävention vor allem: "Ausbildung, Schulung, das Werteverständnis der Menschen weiterentwickeln. An öffentlichen Stellen, wie beispielsweise beim Turnier in Neumünster, wo wir Zugriff haben, da können wir natürlich immer aktiv sein. Und deshalb haben wir hier Stewards und Richter im Einsatz, die darauf achten, dass alles in Ordnung ist."

In gewisser Weise sind der FN die Hände gebunden, weil rechtsstaatliche Prinzipien das Handeln bestimmen. "Deswegen haben wir die betreffenden Personen nicht sofort ausgeschlossen. Dafür gibt es ein Verbandsverfahren, wo jetzt unser Schieds- und Ehrengericht prüft, ob sie ausgeschlossen werden können." Auch wenn die Bilder die Vorwürfe zu belegen scheinen, haben möglicherweise Beteiligte das Recht, angehört zu werden.

Gerhardt desillusioniert: "Nächster Fall wird kommen"

Ingrid Klimke ist froh, von ihrem Vater, dem vielfachen Olympiasieger Reiner Klimke, eine klassische Grundausbildung mitbekommen zu haben, in der sich immer der Mensch hinterfragen muss: "Die Pferde wollen was lernen, sie wollen immer alles richtig machen. Es liegt an uns Reitern und Ausbildern, den Pferden mit ganz viel Geduld genau zu erklären, was wir von ihnen wollen."

Kerstin Gerhardt glaubt indes trotz aller Strafen und Verfahren nicht an die Einsicht derer, die vermutlich aus purem Profitdenken Tiere quälen. "Der nächste Fall wird kommen", sagt sie fast desillusioniert. "Es wird Zeit zu handeln, sonst kommt der Reitsport nicht raus aus den negativen Schlagzeilen" - und schaufelt sich womöglich sein olympisches Grab.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 18.02.2024 | 15:20 Uhr

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