Tennis-Profi Korpatsch: Spätes Glück einer "vergessenen Aufsteigerin"
Die Hamburgerin Tamara Korpatsch hat allen Widerständen getrotzt und ohne Hilfe des Verbandes sowie der Tennis-Lobby ihren ersten "richtigen" Titel gewonnen. Der beschwerliche Aufstieg im Familien-Team hat Spuren hinterlassen - aber nun locken die Australian Open und Olympia.
Sie zählt bestimmt nicht zu den Lautsprechern der Branche. Das Scheinwerferlicht überlässt sie anderen. Mag sein, dass dies ein Grund dafür ist, dass der eher stille und bodenständige Familienmensch Tamara Korpatsch lange unter dem Radar geblieben ist.
Erst der Erfolg bei den Transylvania Open im rumänischen Cluj-Napoca, ihrem ersten und nach eigener Einschätzung "richtigen" Turniersieg auf der weltweiten WTA-Tour, hat sie für eine Weile aus ihrer beschaulichen Ruhe ins Rampenlicht katapultiert. Die 28-Jährige hat die Aufmerksamkeit nicht unbedingt gesucht, aber irgendwie doch auch ein bisschen vermisst, wie sie beim Besuch im NDR Sportclub offenbart.
Viel Talent - aber keine großen Worte
"Man muss immer an sich glauben, sein Selbstvertrauen behalten und nie aufgeben", sagt Korpatsch. Auch zehn verlorene Spiele in Serie hätten sie nie entmutigt, sondern ihren Ehrgeiz nur noch stärker geweckt. "Ich habe weitergemacht, weitergemacht und weitergemacht."
Und nun stand sie in Transsilvanien zum ersten Mal allein vor all den Zuschauern und sollte ihren Titelgewinn wortreich beschreiben. "Hallo", sagte sie, als die Aufregung ein wenig verflogen war, und fügte sogleich an, dass ihr größtes Talent sicher nicht die freie Rede sei.
Familie als starker Rückhalt
"Erst als ich begonnen habe zu reden, habe ich realisiert, was geschehen ist - und wurde emotional", erinnert sich die Hamburgerin bei ihrem Heimspiel im Sportclub und lacht fast ein bisschen verlegen. Natürlich dachte sie sofort an die Eltern und ihren Bruder Richie, der immer zur Stelle ist als Trainingspartner. "Wenn ich meine Familie nicht hätte, wäre ich gar nicht beim Tennis."
Vielleicht wäre sie Goldschmiedin geworden, meint sie - und schickt ein dickes Dankeschön an Thomas Korpatsch ("Er ist zu 80 Prozent mein Trainer und zu 20 Prozent mein Vater") sowie Mutter Birgit, die für das Bespannen der Schläger verantwortlich ist.
Korpatsch fehlt beim Billie-Jean-King-Cup
"Der Turniersieg in Rumänien wird ihr noch mehr Selbstvertrauen geben", prophezeit Rainer Schüttler im Gespräch mit dem NDR. Doch für die Finals im Billie-Jean-King-Cup Mitte November in Sevilla hat der Kapitän des deutschen Teams andere nominiert. "Wir werden mit der Mannschaft aus Kroatien und Stuttgart auflaufen." Also mit Tatjana Maria, Anna-Lena Friedsam, Laura Siegemund, Eva Lys und Jule Niemeier. "Dieses Team hat gemeinsam die Finals erreicht", so der einstige Weltklassespieler. "Sie haben es sich verdient, dass sie in dieser Aufstellung antreten."
Enttäuschung über Nicht-Nominierung
Bei Tamara Korpatsch schwingt Enttäuschung mit, wenn sie über den Teamwettbewerb spricht. "Leider war ich noch nie nominiert - und als ich gefragt wurde, ob ich in Kroatien für die verletzte Tatjana Maria einspringen kann, ging es bei mir nicht", sagt sie.
Eine Absage, die Damen-Bundestrainerin Barbara Rittner im NDR noch immer "enttäuschend" nennt. "Dabei", so Korpatsch, "habe ich erklärt, warum ich aus gesundheitlichen Gründen eine Pause brauche." Schlechte Lungenwerte seien der Anlass für ihre Absage gewesen.
Ein Problem, das sie seit einer verschleppten Grippe oder auch einer unentdeckten Corona-Infektion im Jahr 2019 immer wieder mal plagt. "Das wurde damals auch verstanden", ergänzt sie sichtlich angefasst. "Ich weiß nicht, warum man das jetzt als Ausrede sucht. Mit unter 80 Prozent Lungenfunktion kann man nicht Tennis spielen."
Fußverletzung sorgt für Zwangspause
Die "vergessene Aufsteigerin", wie sie einst vom "Tennis Magazin" durchaus treffend genannt wurde, wird auch das nicht aus der Bahn werfen. Zumal sie wegen einer Fußverletzung in Sevilla ohnehin nicht hätte spielen können. Schüttler: "Ich hoffe sehr, dass ihre Verletzung schnell verheilt und sie bald wieder spielen kann."
Die nächsten Turniere in Bratislava, Andorra und Angers hat sie schon abgeschrieben. In Limoges Mitte Dezember könnte sie ihr Comeback feiern - gut möglich aber auch, dass das Tennisjahr für sie beendet ist.
An Rückschläge gewöhnt
Ein Wermutstropfen? Vielleicht, aber Tamara Korpatsch hat sich an Rückschläge über die Jahre gewöhnt. Ohne besondere Unterstützung durch den Deutschen Tennis Bund (DTB) ist sie ihren Weg gegangen, trainiert und gefördert von ihrem Vater, der ihr als Autodidakt schon im zarten Alter von fünf Jahren auf dem Parkplatz die Bälle auf den kleinen Schläger geworfen hat. Unterstützer, Sponsoren oder Wildcards als Starthilfe für die Deutsche Meisterin von 2017? Fehlanzeige.
Jeden Euro dreimal umgedreht
"Es hat mich sehr verletzt, dass immer andere bevorzugt wurden, die auch nicht besser waren als ich", sagt sie, ohne Namen zu nennen. Die gleichaltrige Carina Witthöft wäre vielleicht ein Beispiel, die gleichfalls im Club an der Alster neben dem Rothenbaum-Stadion an der Hamburger Hallerstraße gespielt hat.
Während das große Talent aus Wentorf vor den Toren der Hansestadt gepriesen und gefördert wurde, musste das Familienunternehmen Korpatsch mehr oder minder jeden Euro in die Karriere der talentierten Tochter stecken. Witthöft hatte vor vier Jahren genug vom Tennis-Zirkus - und brachte im August Sohn Casper Carlo zur Welt.
Karrierestart: Übernachtungen im Auto, Zelt oder Wohnwagen
Der beschwerliche und kostspielige Weg in die höheren Sphären der Weltrangliste konnte Tamara Korpatsch und ihre Familie nicht aufhalten. Die meist spärlichen Prämien, die sie für Einsätze in Ligaspielen bekam, wurden sofort in Turnierreisen investiert. "Am Anfang konnten wir uns das eigentlich gar nicht leisten", erzählt sie. "Ab und zu haben wir im Auto, Wohnwagen oder sogar im Zelt geschlafen, weil Hotels zu teuer waren. Eine harte Zeit."
Australian Open fest gebucht
Ihre Eltern begleiteten sie beharrlich. 2015 feierte Korpatsch dann in Brünn den ersten von elf Titeln bei einem der vergleichsweise kleineren ITF-Turniere, für den sie ein Preisgeld von umgerechnet knapp 9.500 Euro bekam. Aktuell weist die WTA für sie aus zwölf Profijahren ein Preisgeld von umgerechnet 1.167.320 Euro aus.
"Reich bin ich nicht. Das wäre ich vielleicht, wenn ich die Australian Open gewinne", sagt sie und lacht herzhaft. Ein Traum gewiss, wenn auch eher unwahrscheinlich wie das im jugendlichen Überschwang einst ausgegeben Ziel: Platz eins der Weltrangliste. Sicher hat sie nach ihrem Turniersieg und momentan Ranglistenposition 71 aber einen Startplatz beim Grand-Slam-Turnier in Melbourne.
Gute Karten für Olympia in Paris
Gute Karten hat sie überdies im Kampf um das Ticket für die Olympischen Spiele in Paris, für die sich die 56 bestnotierten Spielerinnen der Tennis-Welt direkt qualifizieren, von denen allerdings maximal vier aus einem Land kommen dürfen. Laut WTA rangiert Korpatsch im "Olympia-Race" mit den in Rumänien hinzugewonnenen 280 Punkten aktuell auf Ranglistenposition-29. Und wäre als deutsche Nummer eins für das olympische Tennisturnier qualifiziert.