Nach emotionalem Sportjahr - Kerber genießt "das ganz normale Leben"
Angelique Kerber hat nach den Olympischen Spielen in Paris im Sommer ihre Karriere beendet. Das Leben als Mama gefällt ihr - sie hat mehr Zeit für Familie und Normalität. Aber auch das deutsche Damen-Tennis braucht die 36-Jährige.
Loszulassen ist manchmal gar nicht so einfach. Doch Angelique Kerber ist sich ihrer Sache sicher - und beginnt ein halbes Jahr nach ihrem emotionalen Rücktritt von der großen Tennis-Bühne, mehr und mehr die neue Freiheit mit der Familie zu genießen. Der Schlusspunkt bei den Olympischen Spielen in Paris, das letzte Viertelfinale auf dem roten Sand in Roland Garros, bleiben unvergessen für die ehemalige deutsche Vorzeigespielerin, die nun noch mehr Zeit mit ihrer fast zweijährigen Tochter Liana verbringen will: "Das ist für mich das Wichtigste. Kinder werden so schnell groß."
Endlich: "Das ganz normale Leben"
Statt sich mit hartem Training für die neue Saison zu trimmen, genießt sie nach all den Jahren auf der Profi-Tour die Weihnachtszeit ohne Reue und schlechtes Gewissen, kann sogar den Jahreswechsel daheim und nicht "down under" in Australien feiern, wo traditionell die Tennis-Saison beginnt. "Das ganz normale Leben eben", sagt sie im Gespräch mit dem NDR: "Einfach mal einen Kaffee trinken, spazieren gehen. Bewusst zu leben - nicht immer in Hektik. Den Alltag spüren, nicht mehr jede Woche irgendwo hinfliegen zu müssen und im Hotel zu leben."
Beraterin - neue Aufgabe beim DTB
Ganz gelingen will der Müßiggang gleichwohl nicht immer. "Ich glaube, dafür brauche ich noch ein bisschen", verrät die Olympia-Zweite von 2016. Der erste berufliche Schritt ins Leben nach dem Tennis ist kurz vor Weihnachten dann auch überraschend schnell mit dem Deutschen Tennis Bund (DTB) eingetütet worden. Als Beraterin wird die beste deutsche Spielerin seit Steffi Graf das Elite-Team der Damen beim Billie Jean King Cup unterstützen und vor allem die Nachwuchsspielerinnen. Denn: Es gebe Nachholbedarf, sagt Kerber. Angedacht sei eine Aufgabe als Mentorin, die Einzelgespräche führe und individuell coache oder auch in der Gruppe.
Aufschlag Kerber für den Nachwuchs
Aus erster Hand lernen, könnte das Motto sein. Aufschlag Kerber: "Das, was ich gelernt habe, und was ich als Mensch geworden bin, bin ich durch den Sport geworden. Durch die Rückschläge, aber auch durch die Erfolge." Ein Glücksgriff für das deutsche Damen-Tennis - und das Trainer-Team, das Angelique Kerber während ihrer Karriere selbst gecoacht hat: Rainer Schüttler, der Teamkapitän im Billie Jean King Cup, ebenso wie Torben Beltz, den der DTB jüngst als Chef-Bundestrainer Damen verpflichtet hat.
Das gelegentliche Fremdeln mit der neuen Lebensphase dürfte für Kerber damit Anfang des neuen Jahres schon wieder vorbei sein. Mediale Aufgaben inklusive, denen sich die dreimalige Grand-Slam-Siegerin nach dem Rücktritt im Sommer eigentlich nur noch für ein paar Monate stellen wollte. Im Urlaub mit dem Töchterchen auf den Malediven zum Beispiel, wo sie Sonne, Meer und ein bisschen (Show-)Tennis genießen konnte.
Sportlerwahl: Laudatorin für Darja Varfolomeev
Dass ihr die medialen Notwendigkeiten mittlerweile leicht von der Hand gehen, zeigte sie unlängst als Laudatorin für die "Sportlerin des Jahres", Darja Varfolomeev. Die Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik zu ehren, war ihr ein sichtliches Vergnügen - was in früheren Jahren nicht immer so gewesen wäre. Die Party danach könne ruhig ein bisschen länger werden, scherzte die zweimalige "Sportlerin des Jahres" (2016 und 2018) und fügte lächelnd hinzu: "Ich bin ja nicht mehr in der Vorbereitung auf die neue Saison."
Olympia weckt emotionale Erinnerungen
So bleibt ihr auch Zeit für eine Retrospektive auf 22 Jahre Tennis-Zirkus, speziell auf die Rückkehr nach ihrer Schwangerschaft und den Schlusspunkt bei Olympia. Nach der Baby-Pause "habe ich wirklich von null angefangen", erinnert sich die am 18. Januar 1988 in Bremen geborene Kielerin mit familiären Wurzeln im polnischen Puszczykowo, wo sie wie gewohnt die Feiertage verbringt, an so manchen Rückschlag auf dem Weg zurück ins Tennis-Rampenlicht: "Wenn ich im Wald laufen war, hab' ich echt gedacht: Okay, keine Chance zurückzukommen."
Kerbers Markenzeichen: Wille und Disziplin
Weit gefehlt: Es wurde ein weiteres persönliches Erfolgsjahr, gespickt mit allerlei Emotionen: "Am Ende bei Olympia so aufzuhören, hätte ich mir nicht besser vorstellen können." Überhaupt nach der Schwangerschaft als Mama noch einmal zurückzukommen, sei etwas ganz Besonderes gewesen. "Ich wollte noch einmal alles geben. Dieser Wille, den ich natürlich in mir habe, und die Disziplin haben mir geholfen, Schritt für Schritt wieder in Form zu kommen."
Tatsächlich hat die 36-Jährige ein weltweites Publikum noch einmal begeistert und wie immer "ihr Herz auf dem Platz gelassen". Nur dass diesmal die Gefühle nach der denkbar knappen Viertelfinal-Niederlage gegen die spätere Olympiasiegerin Zheng Qinwen aus China auf und neben dem Platz überschwappten. "Ich glaube", beschreibt es Kerber im NDR Interview, "man hat gesehen, dass ich bis zum Ende gekämpft habe - und irgendwie meine ganze Karriere auf dem Platz gelassen habe."
In Paris schloss sich der Kreis
Es sei nochmal eine schöne Phase ihrer Laufbahn gewesen - vor allem, weil "Liana immer mit mir gereist ist". Bewusst habe sie sich die Zeit genommen, über alles, was da kommen sollte, nachzudenken. Doch still und heimlich - und immer heftiger - reifte der Entschluss, Adieu zu sagen. Zwei, drei Wochen vor Olympia habe sie schließlich genau gespürt, dass dort, wo sie 2007 ihr erstes Einzel bei einem Grand-Slam- Turnier gespielt hat, auch der "Schlusspfiff" ertönen sollte. "Das vorher anzukündigen, war mir extrem wichtig", beschreibt sie ihre Motivation, "mit den Fans dieses Highlight erleben zu wollen. Und ja, es war sehr emotional." In Roland Garros schloss sich der Kreis.
Kerber: "Irgendwann geht jede Reise zu Ende"
Dass sie nicht aufhören musste, weil sie den Anforderungen nicht mehr genügt, ist für "Angie", wie sie allenthalben genannt wird, ein weiterer wichtiger Mosaikstein auf dem selbst gewählten Weg in die Tennis-Rente. "Am Ende habe ich noch einmal gezeigt: Ich kann mithalten mit den Topspielerinnen", so die 14-malige Siegerin auf der Profi-Tour, die 34 Wochen die Nummer eins der Tennis-Szene war. "Natürlich ist man ein bisschen traurig, wenn es dann tatsächlich vorbei ist. Aber irgendwann geht jede Reise zu Ende."