Hockey-Sportdirektor Schultze: "Sind hinter der Weltspitze"
Seit dem 1. November ist Martin Schultze Sportdirektor des Deutschen Hockey-Bundes (DHB). Wie der 50-Jährige die angestaubten Strukturen des Verbandes modernisieren möchte und welchen Verbesserungsbedarf er in den Nationalteams sieht, sagte er im NDR Interview.
Martin Schultze, Sie sind gerade erst Sportdirektor im DHB geworden. Die Hallenhockey-EM in Hamburg ist direkt das erste große Heimturnier. Was versprechen Sie sich von dem Event?
Schultze: Ich wünsche mir sehr, dass wir Samstag und Sonntag mit einer deutschen Mannschaft jeweils im Finale die Halle zum Beben bekommen. Das ist die Wunschvorstellung. Natürlich nimmt man immer gerne Titel mit, aber wichtiger wäre mir sogar, dass wir hier Begeisterung entfachen können und ein richtig gutes Turnier spielen.
Was erwarten Sie von den beiden deutschen Teams?
Schultze: Wir wollen zweimal Gold holen, wobei es für die Damen mit der Ukraine und den Niederlanden schon nicht ganz einfach wird. Gerade die Ukrainerinnen haben sich knapp vier Wochen lang hier in Hamburg vorbereitet. Bei den Herren wird es auch kein Selbstläufer, die haben Österreich und Belgien vor der Brust.
Nächstes Jahr findet die Feldhockey-EM in Mönchengladbach statt, 2024 sind die Olympischen Spiele in Paris. Laut DHB will man "erfolgreich abschneiden". Bei Frauen wie Männern liegt mit dem Europameistertitel auf dem Feld 2013 der letzte Triumph aber neun Jahre zurück. Woran liegt das?
Schultze: Wir sind hinter der Weltspitze momentan. Es gibt bei beiden Teams meiner Meinung nach unterschiedliche Gründe dafür. Bei den Herren ist es vor allem eine Disziplinfrage. Wir haben den kompletten Staff erneuert und arbeiten mit Mentaltrainern daran, dass wir dort mehr Konstanz in die Leistung bekommen. Aber ich bin jetzt für die Feld-Weltmeisterschaft der Herren (13. - 29.01.2023 in Indien, d.Red.) sehr optimistisch, dass wir da wieder eine Medaille holen. Die Athletik ist bei beiden Mannschaften ein großes Thema, das wir unbedingt verbessern müssen.
Andere Länder setzen zunehmend auf professionellere Strukturen. Ist Hockey als Profisport in Deutschland derzeit überhaupt vorstellbar?
Schultze: So professionell werden wir nie sein. Australien hat beispielsweise gerade verkündet, dass sie für 135 Millionen Dollar ein neues "High Performance Centre" in Perth bauen. Das werden wir nie erreichen. Wir müssen mit anderen Mitteln Wege finden, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Bei Ihrem Antritt haben Sie gesagt, Sie möchten die "bereits geschaffenen Rahmenbedingungen weiter ausbauen". Welche meinen Sie damit und wie soll das geschehen?
Schultze: Mein Vorgänger Christoph Menke-Salz hat hervorragende Arbeit geleistet, was die Aufstellung der Personalien betrifft. Sowohl bei den "Honamas" als auch bei den "Danas" sind wir richtig gut aufgestellt. Wir haben in Ausstattung investiert, um die Athletik und Trainingssteuerung weiter zu verbessern, sodass wir die kleinen, aber entscheidenden Schritte machen können in diesen Bereichen. Daneben wollen wir die Rahmenbedingungen der Sportlerinnen und Sportler verbessern. Es wird immer schwieriger, den Sport und Ausbildung zu kombinieren, die Pro League hat das nicht einfacher gemacht.
Wie soll das funktionieren?
Schultze: Es geht vor allem darum, ein Netzwerk zu schaffen. Einige Vereine sind schon sehr gut aufgestellt, es gibt aber leider noch viele weiße Flecken, wo das nicht der Fall ist. Es geht hauptsächlich darum, Menschen aus der Wirtschaft zu finden, die finanziell unterstützen. Damit gehen sie zwei, drei Jahre in Vorleistung und bieten den Sportlern damit die Rahmenbedingungen, um Sport und Ausbildung zu verbinden. Im Anschluss zahlt der Sportler es durch sein Wirken im Unternehmen zurück. Wir haben die besten Möglichkeiten bei uns im Hockey, das müssen wir noch viel besser nutzen und ausbauen.
Was muss sich beim Deutschen Hockey-Bund verändern?
Schultze: Es wurde zuletzt schon viel angestoßen. Wir haben in der Geschäftsstelle einen großen Personalwechsel gehabt. Es sind viele junge Leute, die mit viel Engagement und Elan an die Aufgaben herangehen. Wir müssen unsere eigenen Mitarbeiter mitnehmen und für die bevorstehenden Herausforderungen begeistern. Wir müssen aber auch in ganz vielen Bereichen professioneller werden. Wir beginnen jetzt damit, uns digital aufzustellen. So einen Verbandstanker auf Touren zu bringen und zu korrigieren, ist eine Aufgabe, die Zeit braucht. Das geht leider nicht so schnell wie auf Vereinsbasis, wo man schnell wenden kann.
Was hat sich schon verändert?
Schultze: Ein Novum ist bereits die eigenständige Organisation der Heim-Events ab 2023. Wegen des finanziellen Risikos hatte der DHB das 20 Jahre immer extern laufen lassen, dafür aber immer wenig Mitspracherecht. Bei der EM in Mönchengladbach können wir alles selbst entscheiden, das wird ein richtiges Hockeyfest werden. Das wird auch zukünftig immer wieder die Herausforderung für uns sein, dass wir Heim-Events kreieren. Auch, wenn wir dann mit dem Risiko fahren, wirtschaftlich auch mal einen Totalschaden davonzutragen.
Der DHB tut sich oft schwer mit Veränderungen. Wie lassen sich neue Ideen erfolgreich umsetzen?
Schultze: Ich bringe einiges an Erfahrung aus dem Vereinswesen mit. Zusätzlich habe ich dort auch zehn Jahre als Geschäftsführer gearbeitet und einen Club komplett neu aufgestellt. Ich weiß also, wie das funktioniert. Wir werden uns moderner aufstellen müssen. Es geht in vielen Bereichen darum, erst mal kleine Veränderungen zu machen, damit bekommt man es langsam gedreht. Bis wir dazu kommen, wirklich an Strukturen zu arbeiten, dauert es noch bis 2024 fortfolgend. Die größte Herausforderung wird zunächst die Finanzierung der Maßnahmen, die uns 2023 bevorstehen, da haben wir noch ein großes Delta im nächsten Jahr.
Wo muss besonders viel getan werden?
Schultze: Im Jugendbereich muss sich einiges tun. Wir erkennen die Toptalente nicht früh genug. Wir müssen Spezialisten viel früher heranziehen und fördern. Es kann nicht sein, dass wir bei den Danas beispielsweise nur eine Eckenrausgeberin auf Weltniveau haben. Außerdem würde ich die strikte Geschlechtertrennung überdenken und gerne darüber diskutieren, ob das sinnvoll ist. Man könnte vieles zusammenbringen, um insgesamt mehr Austausch zu haben.
Wir müssen Bereiche wie das Specialhockey-Team, für Menschen mit Behinderungen, noch weiter ausbauen. Da haben wir als Verband auch eine soziale Verantwortung. Wir müssen außerdem für die Vereine wieder viel mehr Dienstleister werden: Wir müssen als Dachverband helfen und Input geben, wie sich die Vereine besser aufstellen können. Da sind sie ziemlich allein gelassen momentan.
Gibt es einen Verband, an dessen Arbeit Sie sich orientieren? Bei dem Sie sagen, dort läuft es besonders gut?
Schultze: Jahrzehntelang haben sich andere Sportarten viel am Hockey orientiert, mittlerweile müssen wir den Blick zu anderen rüberwerfen. Was die Strukturen betrifft, hat der Handball in den letzten zehn Jahren sehr viel richtig gemacht. Wenn man sieht, wie professionell das geworden ist, was sie mittlerweile an TV-Präsenz und Übertragungen haben. Am Anfang hat sich die Liga beim DSF eingekauft, mittlerweile kassieren sie TV-Gelder.
Auf welche Aufgaben freuen Sie sich am meisten?
Schultze: Mein Hauptantreiber sind die Olympischen Spiele in Paris. Ich glaube, dass das fantastische Spiele werden. Nach den vergangenen Großveranstaltungen, wie der fragwürdigen Fußball-WM in Katar, den Winterspielen in China oder pandemiebedingt Tokio 2021 ohne Zuschauer, wird es in Paris endlich mal wieder ein richtiges Sportfest. Da freue ich mich sehr drauf. Es war aber auch meine letzte Chance: Als Sportler konnte ich es nicht erreichen, als Trainer habe ich es nicht erreicht. Also musste ich es eben in anderer Funktion schaffen, dorthin zu kommen (lacht).
Das Interview führte Christina Schröder