Hallenhockey: Mitreißend, aber international unterbewertet
Bei der Hallenhockey-EM in Hamburg wird wieder einmal deutlich: Der Sport hätte das Potenzial zum vielbeachteten internationalen Großevent. Doch in der Weltspitze wird Hallenhockey wenig Bedeutung beigemessen.
Die Anspannung bei der Schlussecke der deutschen Hockey-Männer ist in der ganzen Halle greifbar. Es steht 5:5 im zweiten EM-Gruppenspiel gegen den Erzrivalen Niederlande. Als das erlösende Tor für die DHB-Auswahl Sekunden vor dem Ende doch noch fällt, bricht frenetischer Jubel los: auf dem Platz und auf den Rängen. Die Spieler liegen sich in den Armen, auf den Tribünen recken die Menschen die Fäuste in die Luft und klatschen sich mit ihren Nachbarn ab. Nahezu Jeden hat es aus dem Sitz gerissen.
Und dennoch: Trotz des intensiven und schnellen Sports spielt Hallenhockey in der internationalen Weltspitze eine kaum beachtete Rolle.
Überbrückungs-Sportart wird zur Faszination
Die kleine Schwester des Feldhockeys war ursprünglich nur als Überbrückung der kalten Wintermonate gedacht. Doch in Deutschland nahm die Begeisterung so zu, dass 1972 eine Hallen-Bundesliga der Männer gegründet wurde, zehn Jahre später folgte die der Frauen.
Diese Faszination lässt sich recht simpel erklären. Alles ist kompakter in der Halle. Im Gegensatz zum Feldhockey stehen aufgrund des kleineren Spielfelds sechs statt elf Spieler auf dem Platz. Die Zuschauer sind näher dran: am Court und an den Spielern. Sie erleben die mitreißenden Emotionen, die hitzigen Gefechte, die filigranen Dribblings hautnah mit.
"Man muss technisch sehr versiert sein, sonst wird es schwer. Das Spiel wird durch die Banden sehr lange offen gehalten, so dass es taktisch sehr anspruchsvoll ist", sagt Nationalspielerin Franzisca Hauke, die für die Hallen-EM extra noch einmal ins Nationalteam zurückkehrte: "Die Situation geht immer weiter, so dass man im Kopf wach sein muss."
Hallenhockey nutzen, um Neulinge zu binden
Liebhaber schätzen die Kombinationen aus technischem Geschick der Einzelspieler, gepaart mit klugen taktischen Spielzügen eingespielter Teams. Aber Hallenhockey zieht auch die an, die weniger mit Hockey zu tun haben - genau diese Menschen, die der Sport mit solchen Events eigentlich binden will. "Meine Freunde außerhalb des Hockeys feiern es total, vor allem die Stimmung", sagt Nationalspieler Anton Boeckel.
Es ist ein Geben und Nehmen zwischen Zuschauern und Sportlern. Knappe Entscheidungen auf dem Hallenboden übertragen sich direkt auf die Fans. Die allgegenwärtigen Anfeuerungsrufe und der ekstatische Jubel bei einem Tor schwappen wiederum auf die Spieler über. Szenen, die allenfalls der Handball noch bieten kann. "Diese Atmosphäre, wenn man ein Spiel dreht, ist einfach sehr geil", sagt EM-Debütant Michel Struthoff. Für Mitspieler Paul Dösch ist die Kulisse schlicht "unvergesslich".
"Es ist schneller, es ist lauter. Die Intensität ist das Geile" Hockey-Nationalspielerin Anne Schröder
Frauen-Bundestrainer Valentin Altenburg hebt die Nähe zum Team als "etwas Besonderes" hervor: "Es ist kleiner, ein ganz anderer Zusammenhalt. Außerdem machen die Torhüter in der Halle wirklich einen entscheidenden Faktor aus. Was die teilweise an Paraden liefern, ist spektakulär". Auch hier erinnert das Geschick und die Reaktionsschnelligkeit der Goalies oft an Handball-Torhüter - mit dem Unterschied, dass ein Hockey-Torwart in einer klobigen Schutz-Ausrüstung steckt.
Feldhockey-WM mitten in der Hallensaison
In keinem anderen Land wird Hallenhockey so intensiv gespielt und geliebt wie in Deutschland. Während andere Nationen ihre Hallensaison auf wenige Wochen beschränken, geht die Spielzeit in Deutschland meist drei Monate. "Deutschland ist in der Halle auch deswegen wahnsinnig gut, weil wir technisch sehr gut ausgebildet sind", sagt Hauke. Beide deutschen Teams sind mit Abstand Rekord-Europameister. Deutschland ist unter den Topteams die einzige Nation, die auch ihre Nationalspieler aus dem Feldkader in der Halle Bundesliga, Europa- sowie Weltmeisterschaften spielen lässt.
Welch' geringe Bedeutung Hallenhockey allerdings international beigemessen wird, unterstreicht unter anderem die Ansetzung der Männer-WM in Indien: Sie findet vom 13. bis 29. Januar statt und liegt mitten in der Hallensaison. Der Grund dafür, dass das deutsche Männerteam bei der EM in Hamburg größtenteils aus Perspektiv- und versierten Bundesligaspielern besteht.
Top-Nationen schicken Spezialteams zu Turnieren
Doch obwohl der Hallensport in den Top-Nationen wie Belgien und den Niederlanden eine untergeordnete Rolle spielt, hat man dort die Attraktivität des Sports erkannt. Beide Länder bilden extra Spezialisten für ihre Hallen-Nationalteams aus, die nur in seltenen Fällen auch auf dem Feld zum Einsatz kommen. Für Hallenliebhaber kann das nur von Vorteil sein: Die Konkurrenz für die deutschen Teams wird damit größer.
Während die große Schwester Feldhockey zu den erfolgreichsten Mannschaftssportarten bei den Olympischen Spielen zählt, hat das Hallenhockey allerdings kaum Aussichten, jemals ins Olympische Programm zu gelangen. Zum Trost gilt: Welcher Sportler kann schon von sich behaupten, dass er mit seiner liebsten Sportart gleich zwei unterschiedliche beherrscht?