Giro d'Italia: Deutscher Radsport hofft auf Kämna
Auf Lennard Kämnas schmalen Schultern ruht ab Sonnabend eine ungewohnte Last. Beim Giro d'Italia, geht der Radprofi aus Fischerhude bei Bremen erstmals mit vorsichtigen Ambitionen in der Gesamtwertung an den Start einer dreiwöchigen Landesrundfahrt.
Und der deutsche Radsport lechzt nach prestigeträchtigen Erfolgen. "Seine Vorbereitung ist ideal verlaufen", sagt Ralph Denk, Teammanager bei Kämnas Bora-hansgrohe-Rennstall, im "kicker": "Die Formkurve passt, wie sein Etappensieg unlängst bei der Tour of the Alps gezeigt hat." Damals, Mitte April, hatte Kämna für einen der wenigen Lichtblicke gesorgt, in einer Saison, die aus deutscher Sicht ansonsten bislang ernüchternd verlaufen ist.
So auch am vergangenen Montag bei Eschborn-Frankfurt, dem wichtigsten Rennen auf deutschem Asphalt, als es zum wiederholten Mal nicht für ganz vorne reichte. Beim Sieg des Dänen Sören Kragh Andersen fuhr Georg Steinhauser als bester Deutscher auf Rang sechs - Lokalmatador John Degenkolb rollte als 18. ins Ziel. "Heute habe ich richtig gelitten. Am Ende war ich komplett tot", sagte Degenkolb im hr. An Ostern noch hatte der 34-Jährige bei seinem Lieblingsrennen Paris-Roubaix eine starke Leistung gezeigt, war dann aber im dramatischen Finale gestürzt.
Deutsche Radprofis weit entfernt von Weltspitze
Er steht damit symbolisch für die deutsche Profi-Riege im Jahr 2023, für die unter anderem bei den Frühjahrsklassikern nichts zu holen war. In der Nationenwertung der Weltrangliste liegt Deutschland aktuell nur auf dem 14. Rang. Die zahlreichen Erfolge der jüngeren Vergangenheit, sie verblassen mehr und mehr - auch weil ein absoluter Spitzenfahrer derzeit nicht in Sicht ist.
Die Weltklassesprinter Andre Greipel und Marcel Kittel, die insgesamt 25 Tour-Etappensiege feierten? Inzwischen Radsport-Rentner. Kletterspezialist und Tour-Vierter von 2019 Emanuel Buchmann? Fährt seiner Topform weit hinterher. Die Klassikerfahrer Nils Politt und Degenkolb? Zuletzt nur noch phasenweise in der Weltspitze konkurrenzfähig.
2022 gewann Kämna eine Giro-Etappe
Somit liegt der Fokus nun verstärkt auf dem 26 Jahre alten Kämna, der 2022 mit seinem Triumph auf dem Ätna für ein Giro-Highlight gesorgt hatte und in diesem Jahr (6. bis 28. Mai) erstmals nicht mehr nur auf Etappenjagd gehen soll. Als Co-Kapitän von Teamkollege Alexander Wlassow kämpft er um eine Topplatzierung in der Gesamtwertung.
"Die Idee dazu lag schon des Längeren auf der Hand", erklärt Denk und gibt sich optimistisch: "Da er als Fahrer mittlerweile gereift ist und die nötige Rennintelligenz besitzt, wüsste ich nicht, was dagegen spricht." Los geht es am Sonnabend mit einem von drei Zeitfahren - und somit mit dem ersten Schlagabtausch der beiden großen Favoriten Primoz Roglic aus Slowenien und Weltmeister Remco Evenepoel (Belgien).
"Meine Form ist ziemlich gut." Radprofi Lennard Kämna
Kämna ist bereit. "Ich bin auf einem Level, das ich vorher nicht erreicht habe", sagte der deutsche Radprofi einen Tag vor dem Start des 106. Giro d'Italia. "Vielleicht kann ich nach drei Wochen sagen, dass ich ein Fahrer für die Gesamtwertung bin. Ich werde sehen, wie es läuft", sagte Kämna.
Die Entscheidung fällt in der dritten Woche mit giftigen Bergankünften in den Alpen. Auf Kämna wartet in der neuen Rolle also ein echter Härtetest. Bleibt er sturzfrei und von Krankheiten verschont, ist ein Top-10-Resultat nicht unwahrscheinlich. Und dann? "Wenn der Giro vorbei ist, können wir das analysieren. Dann können wir uns die Frage stellen, ob es Sinn macht, das auch bei der Tour de France auszuprobieren", sagte Denk.