Andrasch Starke: Jockey aus Leidenschaft
Gehirnerschütterungen, Rippenbrüche, Kieferbruch - nicht weiter der Rede wert für Andrasch Starke. Stürze gehören zum Geschäft des seit Ende der 1990er-Jahre führenden deutschen Jockeys. Doch der Sturz am 4. Mai 2014 bei einem Rennen in Japan, bei dem sich der Routinier mehrfach das Schlüsselbein bricht und einen Lungeneinriss zuzieht, ist verhängnisvoll. Starke muss operiert werden. "Ich habe zu meiner Frau am Telefon gesagt, es ist alles in Ordnung, es sind nur ein paar Brüche und es ist ein Routineeingriff." Bei der Operation treten jedoch Komplikationen auf, Starke hat mit Lähmungen in Arm und Hand zu kämpfen. "Ob das wieder wird, konnte mir keiner sagen", schildert Starke dem NDR Sportclub.
Es beginnt eine bange Zeit des Wartens. "Ein Sportler ist immer aufs Training fokussiert. Ich habe oft gedacht: 'Wenn das alles vorbei ist, mache ich ruhiger und gönne mir auch mal was.'" Doch die Zwangspause, die auch das Karriereende sein könnte, bringt dem damals 40-Jährigen überraschende Erkenntnisse: "Mir ist klar geworden, wie sehr ich diesen Beruf vermisse und wie schön das eigentlich ist."
Ein gefährlicher Knochenjob
Starke ist Jockey aus Leidenschaft. Die Hatz von Rennbahn zu Rennbahn, der Druck des Siegenmüssens, um gebucht zu werden - Berufsrennreiter, das ist ein Knochenjob, ein gefährlicher dazu. Mit 60 Sachen rasen die Leichtgewichte auf dem Pferderücken über das Geläuf. Die Bezahlung: mäßig. Die 50 Euro Startgeld können bei Sieg oder Platz durch die Gewinnbeteiligung von fünf bis zehn Prozent aufgebessert werden. Starke ist einer der wenigen deutschen Jockeys, die sehr gut von ihrem Job leben können. Damit das so bleibt, muss er erfolgreich sein. Angst ist dabei kein guter Ratgeber. "Wir riskieren unser Leben, aber wir lieben diesen Beruf", sagt er.
In frühen Jahren ein "Enfant Terrible"
Die Leidenschaft für den Rennsport wurde dem Jahrhundert-Talent, das in Stade geboren und in Hanstedt in der Nordheide aufgewachsen ist, praktisch in die Wiege gelegt. Mit acht Jahren begann er zu reiten, sein Vater Christian war ebenfalls ein Jockey und ein strenger Lehrmeister. Als sein Filius 15 war, schickte er ihn nach Köln zu Bruno Schütz, dem damals besten Galopptrainer. "Er hat mir gesagt, 'Jung, so nicht. Die Besitzer zahlen viel Geld für ihre Pferde, hier herrscht Disziplin und Ordnung'", erzählt Starke. Doch die Worte fruchteten nicht. Die Abschlussprüfung zum Pferdwirt mit Schwerpunkt Rennreiten schaffte der Teenager erst im zweiten Anlauf, Schütz verzichtete schließlich wegen "Unpünktlichkeit und mangelnder Arbeitsauffassung" auf seine Dienste. Als Disziplinarmaßnahme, um das Talent zu formen, wie er später sagte. Starke nahm es scheinbar gelassen: "Jeder Sportler hat seine Macken. Ich arbeite wahrscheinlich so hart, deswegen muss ich manchmal länger schlafen." Doch der Ruf des "Enfant Terrible" eilte ihm voraus und es dauerte mehrere Monate, bis er wieder Fuß fasste und auf einem anderen Gestüt unterkam.
Nach Kokainmissbrauch gesperrt - und geläutert
Dabei braucht Starke eigentlich noch mehr Disziplin als seine Kollegen. Mit 1,70 m ist er recht groß für einen Jockey, bis heute ist es hart für ihn, sein Kampfgewicht von 53 Kilogramm zu halten. Abschwitzen und wenig essen sind sein täglich Brot, zwei Tage vor dem Rennen gibt es oft nur Wasser und Tee. "Wenn die Balance vom Gewicht nicht stimmt und man immer mit der Waage kämpfen muss, geht das an die Substanz und nervt. Das hat mich über Jahre gestört", bekennt er. Erfolge und Siege sind probate Mittel, um das Hungergefühl erträglich zu machen. Sie bewirkten auch, dass ihn Schütz 1996 zurückholte.
Nicht legitim, um das Loch im Magen zumindest gefühlt zu stopfen, ist Kokain. Die Droge war seinerzeit ein beliebtes Mittel in der Jockeyszene, um dem Hungergefühl entgegenzuwirken. Starke, längst Derby-Sieger, Jockey-Champion, Jockey des Jahres und international gefragt, wurde 2001 nach einem positiven Test weltweit für ein halbes Jahr gesperrt. Einer längeren Sperre entging er, weil er sich einsichtig und reuig zeigte. 2002 gewann er bei seinem Comeback das renommierte Derby in Hamburg zum dritten Mal. "Jeder Mensch biegt mal falsch ab. Dass ich noch einmal von Null anfangen durfte, war ein positives Zeichen für mich. Jede negative Erfahrung, die weh tut, macht einen stärker fürs Leben und ebnet einen auch", bilanziert er im Gespräch mit dem NDR.
Mit Danedream werden Träume wahr
Starke wurde ruhiger und routinierter, 2010 hatte er schließlich schon rund 30.000 Pferde unter dem Sattel gehabt. Von den meisten kannte er nicht einmal den Namen, doch bei dieser einen Stute, die ein Unternehmer bei einer Auktion für 9.000 Euro als Spaßpferd erwarb, ist das anders. Mit Danedream gewann Starke nicht nur in Mailand, Berlin und Baden-Baden, sondern 2011 auch in Paris-Longchamp den mit 2.285.600 Euro dotierten Prix de l'Arc de Triomphe, das wichtigste Rennen im internationalen Galoppsport. Das Duo war als Außenseiter ins Rennen gestartet, siegte aber schließlich mit Bahnrekord. Wer 100 Euro auf Danedream gesetzt hatte, bekam am Ende fast 2.700 Euro zurück. 2012 triumphierte das Nordlicht mit der Ausnahmestute auch in Ascot beim bekanntesten Galopprennen. Danedream avancierte mit über 3,6 Millionen Euro zum weltweit gewinnträchtigsten Pferd. Immer im Sattel: Andrasch Starke. Alleine am Sieg in Ascot verdiente er rund 36.000 Euro. "Ich grüble manchmal noch, wie das alles passieren konnte. Man könnte kein Buch besser schreiben. Sie hat mein Leben verändert. Das ist ganz tief in mir drin", sagt der siebenmalige Derby-Sieger.
"Ich werde das noch ewig machen"
Ein Märchen wie mit Danedream wird es für Starke wohl so schnell nicht noch einmal geben. Doch er ist zurück im Sattel, bei seinem Comeback fünf Monate nach dem schweren Sturz in Japan feiert der Starjockey im Oktober 2014 in seinem ersten Rennen gleich einen Sieg und gewinnt zwei Wochen später mit der Stute Santa Lucia überraschend Deutschlands höchstdotiertes Zweijährigen-Rennen in Iffezheim. Der Familienvater ist ausgebucht. Ans Aufhören denkt der Mann aus der Lüneburger Heide, der berufsbedingt seit 25 Jahren in Köln lebt und arbeitet, noch lange nicht: "Ich gehe jeden Tag mit großer Freude zur Arbeit. Wenn Spaß, Gesundheit und Erfolg stimmen, werde ich das noch ewig machen."