Codewort "Panama": Team beim VfL Wolfsburg hilft in Notlagen
Als erster Fußball-Verein im Norden hat der VfL Wolfsburg das "Panama-Konzept" eingeführt: Mit der Frage "Wo geht's nach Panama?" sollen Menschen in Notsituationen im Stadion schnell und einfach Hilfe bekommen.
Ausgestattet mit pinken Westen, Flyern und vor allem offenen Augen und Ohren zieht das "Team Panama" an Spieltagen über das Gelände der Volkswagen Arena. Sie machen auf ihr neues Awareness-Konzept aufmerksam, das man bislang eher von Musik-Festivals wie dem Hurricane oder Deichbrand kannte. Bei der Frage "Wo geht's nach Panama?" handelt es sich um eine Art Code-Satz. Besucherinnen und Besucher sollen damit Hilfe bekommen, wenn sie sich diskriminiert, bedroht, überfordert oder in irgendeiner Weise unwohl fühlen. Wenn es um verbale oder körperliche Gewalt geht, um Rassismus, Sexismus oder Homofeindlichkeit, aber auch, wenn sich eine Panikattacke anbahnt - mit "Panama" können sich Betroffene jederzeit an alle Mitarbeitenden wenden.
Panama-Konzept: "Alle Mitarbeitenden wissen Bescheid"
Die Ordnerinnen und Ordner, das Sicherheitspersonal, Mitarbeitende in den Kiosken, Ständen und VfL-Shops - alle Mitarbeitenden im und um das Stadion sind eingeweiht und über Funk vernetzt. Wendet sich jemand mit "Panama" an sie, werden keine Fragen gestellt und die Hilfesuchenden direkt aus der akuten Situation befreit, bis jemand vom Panama-Team kommt.
Ruhe und auf Wunsch weitere Hilfe
Wer möchte, kann in einem extra eingerichteten Schutzraum zur Ruhe kommen und auf Wunsch weitere Hilfe erhalten. "Die Person entscheidet, was passiert, nicht wir. Wir bieten Hilfestellung. Wir sind praktisch das Geländer, an dem die Person sich festhalten und entscheiden kann, wann sie das Geländer wieder loslässt - oder nicht“, erzählt Karsten Fehrke. Er ist vom Queeren Netzwerk Gifhorn und Teil des Panama-Teams.
Wichtigste Qualifikation für den Job: Empathie
Das Team besteht aus geschultem Personal, das in den letzten Monaten in Workshops ausgebildet und auf verschiedenste Situationen vorbereitet wurde. Jobqualifikation Nummer Eins: Empathie. Wichtig sei, für die Betroffenen da zu sein, ihnen zuzuhören und vor allem, sie ernst zu nehmen, erzählt Fehrke. Kein Hinterfragen, kein Relativieren, keine versuchten Diagnosen: "Das Erlebte, das die Person mir mitteilt, das zählt für mich. Und nichts anderes."
Fehrke ist queer und kennt das Gefühl von Mobbing
Fehrke ist queer und hat selbst Diskriminierung erfahren, kennt das Gefühl von Mobbing und weiß, wie sich bedrohliche Situationen anfühlen können - selbst wenn andere sie nicht als bedrohlich empfinden. "Ich gucke mir auch gerne Fußball an, aber habe mich oft nicht getraut, weil ich schon das Gefühl hatte, man sieht es mir an. Ich habe mich oft zurückgezogen. Hätte es früher schon dieses Konzept gegeben, wäre ich öfter zum Fußball gegangen." Der VfL kooperiert mit verschiedenen Organisationen und Vereinen, wie dem Queeren Netzwerk Gifhorn, dem Fanprojekt Wolfsburg oder Dialog e.V., einer Fachberatungsstelle für häusliche und sexuelle Gewalt. Das Netzwerk soll Betroffenen auch über den Spieltag hinaus Hilfe bieten.
"Fußball soll für alle sein!"
Die Idee, das Panama-Konzept einzuführen, hatte Michael Schrader. Er ist Fanbeauftragter des VfL Wolfsburg und hat eine Dauerkarte seitdem der VFL in der ersten Liga spielt. Und da erlebe man schon Einiges, erzählt Schrader: "Ob nun in dem eh engen Stehplatzbereich mal schnell eine Hand über den Popo oder den Busen huscht... Oder wenn Menschen gemobbt werden aufgrund ihres Handicaps, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, dann ist das nicht in Ordnung."
Unterstützung für den VfL Wolfsburg
Nachdem sich Betroffene nach Fällen von Belästigungen an ihn gewandt hatten, wurde Schrader bewusst, dass seine eigenen Kompetenzen nicht ausreichten. In "Wo geht's nach Panama?" fand er ein etabliertes Konzept - das der VfL aber noch "grün-weiß anmalen" durfte. Die Code-Frage hat übrigens absichtlich keine Bedeutung, so der Pressesprecher des FKP Scorpio. "Der Vorteil des Programms ist tatsächlich, dass Leute nicht sagen müssen, was jetzt genau nicht stimmt, weil das ja ganz oft eine Hürde ist", erzählt Jonas Rohde. Das Veranstaltungsunternehmen hatte das Konzept 2017 ins Leben gerufen und den VfL Wolfsburg jetzt bei der Einführung unterstützt.
Begeisterung bei Fan des FC Bayern München
Ob und inwiefern das Angebot bereits genutzt wurde, wollte Schrader nicht sagen - zum Schutz der Betroffenen. Erzählen konnte er jedoch von den bislang fast durchweg positiven Reaktionen auf das Konzept. Beim letzten Heimspiel sei sogar ein FC-Bayern-Fan auf ihn zugekommen, der das Konzept nun nach München weitertragen möchte. Der Fanbeauftrage erhofft sich für das Projekt eine große Strahlkraft, die auch über den VfL Wolfsburg und den Fußball hinaus geht: "Wir sind noch lange nicht fertig."