Zwei Hamburgerinnen kämpfen für Afghanistans Fußballerinnen
Zwei Hamburger Schwestern machen sich für Afghanistans Fußballerinnen stark. Sie haben selbst für das Nationalteam gepielt. Unter den Taliban fürchtet ein Teil ihrer ehemaligen Mitspielerinnen nun um ihr Leben, der andere kämpft in Australien um Anerkennung.
Ein Fußballplatz in Hamburg-Harburg am "Freizeitzentrum Feuervogel". Die Frühlingsonne blitzt hinterm Hochhaus hervor. Vier junge Mädchen laufen freudestrahlend in die Arme ihrer Trainerinnen. In die Arme von Shabnam und Mariam Ruhin. Sie haben das Kommando. Die Schwestern geben mit ihrer Organisation "Girl Power" Fußballtrainings und europaweite Workshops. Sie wollen Frauen stärken.
"Es begann alles mit einem Traum. Aber es wurde zum Albtraum." Mariam Ruhin, ehemalige Nationalspielerin
Zwischen 2011 und 2018 kickten die Ruhin-Schwestern für die afghanische Nationalmannschaft. Scouts des Verbandes erkannten ihr Talent und entdeckten sie beim Hamburger Verein "Einigkeit Wilhelmsburg". Der Startschuss für eine ganz besondere Fußballreise. "Es begann alles mit einem Traum", erzählt die 29-jährige Mariam Ruhin. "Wir durften für die Nationalmannschaft spielen, da ging uns das Herz auf. Aber das wurde leider zum Albtraum."
Schon vor den Taliban verpönt: Frauen im Sport
Die Fußball-Nationalspielerinnen Afghanistans waren einst Symbol des Widerstands, des Aufbruchs. Erst im Jahr 2007 wurde das Team ins Leben gerufen. Heute ist es Zielscheibe der Taliban. Frauen im Sport sind hierzulande nichts Besonderes mehr. In Afghanistan barg das Thema aber schon vor der Machtübernahme der Taliban ein enormes Sicherheitsrisiko. Man gehe zum Training und wisse nicht, was passiert, berichtet die 31-jährige Shabnam Ruhin. "Sind da Menschen, die einen angreifen, weil sie dagegen sind, dass Frauen Sport machen? Für die Frauen dort war das natürlich immer wieder eine Überwindung, das zu machen und sich zu trauen."
Als Nationalspielerinnen, die im Westen leben, erreichten auch Shabnam und Mariam immer wieder Drohnachrichten. Obwohl sie ausschließlich außerhalb Afghanistans trainierten. Aus diesem Grund setzten die Schwestern einige Zeit aus. Die Südasienmeisterschaft 2016 wollten sie aber keinesfalls verpassen. "Mit der Zeit habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, für Afghanistan zu kämpfen und auch zu spielen", erklärt Shabnam. "Die Frauen und Mädchen, die in Afghanistan leben, sie benötigten unsere Stimme im Ausland."
Missbrauch an Spielerinnen: "Sie wurden lange nicht gehört"
Die Spielerinnen aus Afghanistan und aus dem Westen trafen sich zu gemeinsamen Trainingscamps im Ausland. Zu gefährlich war die Einreise für die Fußballerinnen aus Europa oder den USA. Bei einem dieser Camps im Jahr 2018 brachten die Hamburgerinnen und ihre Kolleginnen grausame Dinge ans Licht: Ihre Mitspielerinnen aus Afghanistan wurden von ihren Begleitern des afghanischen Verbandes missbraucht. "Die Mädels haben sich mehrmals an die FIFA gewendet. Sie wurden lange nicht gehört." Shabnams Blick wandert ins Leere. "Die FIFA hat trotzdem weiter gemacht und unseren ehemaligen Präsidenten mit Geld supportet."
Präsident Keramuddin Karim und einige der weiteren Täter wurden erst nach montelangem Drängen durch die Teammitglieder vom Weltverband sanktioniert. Ein Vertrag des afghanischen Verbandes sollte die Spielerinnen aus dem Westen zunächst zum Schweigen bringen. Unterschrieben hat ihn keine. Jede einzelne Spielerin trat zurück. Fast passend zur Eröffnung der Frauen-WM 2019 verkündete die FIFA eine lebenslange Sperre für Keramuddin.
Zwischen Neuanfang und Schreckensherrschaft
Das neue Nationalteam, ohne Shabnam und Mariam, währte nur kurz: 2021 übernahmen die Taliban die Macht. Frauen und Sport - einmal mehr eine Sünde. Sie sprachen ein Sportverbot aus. Die Mädchen verbrannten ihre Trikots, löschten Social-Media-Kanäle, viele sind bis heute untergetaucht. Die ehemaligen Spielerinnen halten Kontakt: "Es gibt teilweise Anrufe von Mädchen, wo man Schüsse im Hintergrund gehört hat. Wir haben Nachrichten erhalten, dass eine ehemalige Volleyballspielerin enthauptet wurde."
"Unsere Spielerinnen haben Todesangst." Shabnam Ruhin
Was genau in Afghanistan unter den Taliban geschieht, kann kaum überprüft werden. Fest steht aber: "Die Taliban sind von Tür zu Tür gegangen und schauen: Wer hat sich nicht an die Regeln gehalten die letzten Jahre, wer war auffällig? Unsere Spielerinnen haben Todesangst", berichtet Shabnam Ruhin.
Für die FIFA sind die afghanischen Fußballspielerinnen bis heute nur eine Randnotiz. Für die Ruhin-Schwestern nicht. Gemeinsam mit anderen Ehemaligen gründeten sie "Girl Power". Einen Teil der Spielerinnen konnte die Organisation zusammen mit der Spielergewerkschaft Fifpro nach Australien evakuieren. Dort trainieren die Fußballerinnen weiter - für ihr Land, für die Frauen in Afghanistan.
Das Schweigen der FIFA
Die FIFA erkennt das Team jedoch nicht offiziell an. Alle Aufforderungen der ehemaligen Spielerinnen und der Mannschaft in Australien, sich dem Thema zu widmen, würden ignoriert, erzählt Shabnam. Das ist für sie nur schwer zu begreifen: "Ich fass' es nicht. Dass da bis heute nichts gemacht worden ist, finde ich einfach unfair gegenüber den Frauen, die geflohen sind, um ihr Leben zu schützen." Sie hätten es verdient, dass ihr Team anerkannt wird, sagt die Hamburgerin.
In der FIFA-Weltrangliste taucht das afghanische Frauenteam seit der Flucht aus Kabul nicht mehr auf. Die Männer, die in ihrer Heimat weiterspielen können, dagegen schon. Dabei wird in den FIFA-Statuten unter anderem für den Fall einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts mit Suspendierung oder sogar Ausschluss eines Verbandes gedroht.
"Wir sind die Stimme der Stimmlosen." Mariam Ruhin
Um Pokale und Titel dürfen die Afghaninnen nicht kämpfen. Sie kämpfen um Gehör. Und das ist auch das, was die Hamburger Schwestern beim Training vermitteln wollen. "Zeig' dich, zeig' dich", ruft Mariam Ruhin einer Spielerin hinterher. Die Schwestern wollen den Frauen zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen. Ihre eigene Fußballreise ist beendet. Doch die Hamburgerinnen bleiben am Ball: "Wir sind die Stimme der Stimmlose. Wir dürfen die Frauen dort nicht vergessen."