Zur Fußball-WM nach Katar? "Papa, das kannst du nicht machen"
Während viele Fußballfans die umstrittene WM in Katar boykottieren, wird Christoph Schlösser das Turnier am Ort im Emirat verfolgen. Mit dem NDR sprach der HSV-Fan und Groundhopper über seine Beweggründe, die Menschenrechtssituation in Katar und die "Wurzel des Übels".
Die Weltmeisterschaft in Katar kann offenbar selbst die fußballverrückteste Familie spalten. "Mein Sohn, der in Russland und Brasilien dabei war, hat gesagt: 'Papa, das kannst du partout nicht machen'", berichtet Christoph Schlösser über den Familienzwist, den die WM im Hause Schlösser ausgelöst hat. "Er findet es echt nicht in Ordnung, dass ich trotzdem fahre."
Das aber tut der Chemie-Ingenieur aus Bargteheide seit über 30 Jahren, hat bei jedem Turnier die DFB-Mannschaft vor Ort unterstützt. "Ich begleite die Nationalmannschaft seit der Heim-EM 1988." Ebenso wie seinen Herzensclub HSV.
Schlösser ist ein Hardcore-Fan und Groundhopper, hat in Europa schon alle Länderpunkte zusammen und war auch schon einmal in Katar, um Fußball im Stadion zu schauen. "Es ist eine Symbiose: einerseits das Interesse am Fußball und andererseits die Leidenschaft zum Reisen."
"Mein Einfluss ist begrenzt"
Für die am Sonntag beginnende Weltmeisterschaft 2022 (20. November bis 18. Dezember) geht es wieder ins Wüstenemirat, in dem Menschenrechte oft nur auf dem Papier existieren, Homosexuelle verfolgt werden und Arbeitsmigranten auf den Baustellen der WM-Stadien gestorben sind. "Dass ich das nicht gutheiße, steht außer Frage. Aber mein Einfluss darauf ist wiederum äußerst begrenzt", sagt Schlösser.
"Ich stelle meinen persönlichen Egoismus in den Vordergrund, nach dem Motto: Ich möchte dieses Turnier sehen. Ich möchte Weltmeister werden und mir ein eigenes Bild von der Lage vor Ort machen." Christoph Schlösser
Der 53-Jährige hat "Follow the Team"-Tickets, wird die deutsche Mannschaft in Katar also theoretisch bis ins Finale begleiten können. Um Geld zu sparen, hat er über einen Bekannten in Dubai Kontakt zu einem philippinischen Gastarbeiter in Katar aufgenommen, bei dem Schlösser während des Turniers wohnen wird.
"Ich spare etwas Geld und er bekommt etwas von mir - eine Win-Win-Situation", sagt der Fußballfan. "Und ich komme mit jemand in Kontakt, der schon länger in diesem Land ist. Ich bin gespannt, was er zu berichten hat."
Unter Umständen nicht viel Gutes. Die Situation vieler Arbeitsmigranten in Katar ist mit prekär oft noch milde umschrieben. Die katarische Regierung hat zwar Reformen auf den Weg gebracht - auch getrieben von der Angst, die WM wieder zu verlieren. Doch zahlreiche Recherchen vor Ort zeigen, dass diese häufig nur auf dem Papier existieren und die Arbeiter ihre Rechte nicht wahrnehmen können.
"Man muss an die Wurzel des Übels heran. Die Ursache liegt in der Vergabe, die verstorbenen Gastarbeiter sind die Auswirkung." Christoph Schlösser
Schlösser verschließt die Augen davor nicht, wollte zunächst nicht nach Katar fahren, entschied sich nach dem enttäuschenden Vorrunden-Aus des DFB-Teams bei der WM 2018 in Russland aber um.
Für ihn hätte der Protest viel früher ansetzen müssen. "Der DFB oder England hätten bei der Vergabe sagen müssen: 'Wenn das da hingeht, kommen wir nicht mit'", sagt er und schiebt nachdenklich hinterher: "Macht ja auch keiner."