Fan-Choreographie an der Lübecker Lohmühle © IMAGO / Holsteinoffice

VfB Lübeck: Drittliga-Aufsteiger mit bewegter Geschichte

Stand: 26.04.2023 17:03 Uhr

Der VfB Lübeck ist zurück im Profifußball - zumindest in der Dritten Liga. Seit seinem Zweitliga-Abstieg 2004 kickt der Club unterm Radar der deutschen Fußball-Öffentlichkeit. Ein Porträt des schleswig-holsteinischen Traditionsvereins.

von Utz Rehbein und Johannes Freytag

Der VfB hat jahrzehntelang für Gesprächsstoff gesorgt. Auf Aufstiege folgten Abstiege, im DFB-Pokal ging es bis ins Halbfinale, und einst trieben die Lübecker sogar HSV-Star Kevin Keegan derart zur Weißglut, dass der im Taxi zurück nach Hamburg fuhr. Die großen Schlagzeilen produzierte allerdings viel zu oft nicht das kickende Personal, sondern die Chefetage: Anfang der 1970er-Jahre stand der VfB vor der Zahlungsunfähigkeit, 2010 und 2013 ging er jeweils in die Insolvenz.

Turbulenzen schon in den 1950er-Jahren

Die Lübecker hatten schon früh den Ruf einer "Fahrstuhlmannschaft" weg. Nach dem Zweiten Weltkrieg neugegründet, musste das Team schon 1950 den ersten Oberliga-Abstieg hinnehmen, zunächst ein Betriebsunfall, der zwei Jahre später korrigiert wurde. Doch schon 1954 reichte es wieder nicht für den Klassenerhalt.

Ein weiterer Aufstieg scheiterte an Unklarheiten bei einem Vereinswechsel: "Hansi" Kubsch kehrte 1954 vom SC Concordia zum VfB zurück, hatte bei den Hamburgern aber noch nicht alle Mitgliedsbeiträge abgeführt. Der Fußballverband erklärte Kubschs Freigabe für nichtig und zog dem VfB vier Punkte in der Aufstiegsrunde ab. Es soll um eine Summe von 37,50 Mark gegangen sein.

Ein gutes Jahr zuvor, im Januar 1952, ein weiteres Skandälchen: Die Vereinschronik verzeichnet erstmals Zuschauerausschreitungen auf der Lohmühle - so etwas wie ein Vorbote für die Probleme, die Lübecks Polizei seit den 2000er-Jahren immer wieder mal mit einer Anhängerschar hat, die sich hinter einem Banner mit der Aufschrift "Ultra Kollektiv" versammelt.

Vom Polizeisportverein zum Arbeitersport-Club

Der VfB ist aus einem Polizeisportverein hervorgegangen. Die 1921 gegründete Sportvereinigung Polizei Lübeck öffnete sich 1930 auch zivilen Mitgliedern. Die kickenden Ordnungshüter - weiße Spielkleidung, grün-weiß-schwarzes Vereinsemblem - spielten sich in den Dreißigern in die norddeutsche Fußball-Elite. Hilfreich dabei war die Fusion mit dem hochverschuldeten VfR Lübeck, der gerade sein Gelände an der Wilhelmshöhe hatte verkaufen müssen.

Mit der Nazi-Machtergreifung pfiff auch bei Lübecks Polizisten schnell ein unangenehmer Wind. Zu den Begleiterscheinungen gehörte 1943 ein neuer Vereinsname: SG Ordnungspolizei. Auf dem Trikot prangte schließlich das Hakenkreuz.

Nach dem Krieg wurde der 1933 verbotene Arbeitersport-Club Ballspielverein Vorwärts Lübeck, der 1919 aus der sogenannten wilden Straßenclub-Szene hervorgegangen war, wiederbelebt. Auf den BSV Vorwärts geht das offizielle Gründungsjahr des VfB zurück. Außerdem brachte der Verein seine 1924 eröffnete Spielstätte "Bei der Lohmühle" mit ein.

Wenzel - eine Lübecker Fußball-Dynastie

Rüdiger Wenzel 1977 im Trikot von Eintracht Frankfurt © imago images / Ferdi Hartung
Wohl der erfolgreichste Lübecker Fußballer: Rüdiger "Sonny" Wenzel.

Der neue Vereinsname VfB soll auf Karl Wenzel zurückgehen, dem zweiten Lübecker Fußball-Idol neben dem langjährigen Keeper Albert "Jonny" Felgenhauer (zwischen 1940 und 1962 gut 900 Spiele für den VfB). Stürmer Wenzel begründete eine Lübecker Fußball-Dynastie, auch seine Söhne Horst und Rüdiger gingen erfolgreich für den Club auf Torejagd, bevor sie sich auch in der Bundesliga einen Namen machten.

Rüdiger machte von allen Lübecker Kickern die beeindruckendste Karriere. "Sonny" spielte mit den Weltmeistern Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein bei Eintracht Frankfurt im Europacup, gewann mit Fortuna Düsseldorf den DFB-Pokal und schoss 1989 im Dress des FC St. Pauli (ausgerechnet gegen den HSV) mit der Hacke das Tor des Monats.

Beinahe erstklassig, Verbandsliga, 2x Zweite Liga

1969 klopfte der VfB sogar selbst ans Tor zur Bundesliga. Unter Trainer Jockel Krause hatte sich das Ensemble zu einem Spitzenteam der damals zweitklassigen Regionalliga Nord gemausert. Als Zweiter zog es in die Aufstiegsrunde zur Bundesliga ein, dort reichte es jedoch nur zu einem einzigen Punkt und dem letzten Tabellenplatz.

Anfang der Achtziger ging es allerdings in die andere Richtung - runter bis in die Verbandsliga Schleswig-Holstein. Selbst dem früheren HSV-Nationalspieler und gebürtigen Lübecker Peter "Eiche" Nogly gelang es nicht, den Club wieder in höhere Regionen zu hieven.

Zweimal noch, 1995 unter dem kantigen Coach Michael Lorkowski und 2002 mit dem späteren HSV-Trainer Dieter Hecking, fuhr der Aufzug mit dem VfB Lübeck dann doch noch mal hoch in die zweithöchste Etage. Nach dem Abstieg 2004 folgten 15 Jahre in der Regionalliga Nord und sogar eines (2013/2014) in der Schleswig-Holstein Liga. Dem Drittliga-Aufstieg 2020 folgte der direkte Wiederabstieg - und jetzt die erneute Rückkehr in die Dritte Liga.

Lohmühle: Größtes Stadion Schleswig-Holsteins

Die leere Haupttribüne im Lübecker Stadion an der Lohmühle. © Witters
Größtes Stadion in Schleswig-Holstein: die Lübecker Lohmühle.

Im frisch gegründeten Verwaltungsrat gab in den 1990er-Jahren Günter Schütt den Ton an. Der ehemalige VfB-Abwehreisenfuß (Spitzname "Molle") und mittlerweile Bauunternehmer trieb die Modernisierung des Stadions voran und nahm dafür auch kräftig Geld in die Hand. Mit einem nach Vereinsangaben Fassungsvermögen von 15.292 Plätzen ist die Lohmühle Schleswig-Holsteins größtes Stadion (in Kiel sind es 15.034).

In dieser Zeit, bilanzierten im Jahr 2008 die "Lübeckische Blätter", gingen in der VfB-Chefetage "Augenmaß, Eigeninitiative, demokratische Strukturen" verloren. Und die Schulden wuchsen. Zweitligist St. Pauli, Hannover 96 und der große HSV rückten zu sogenannten Retterspielen an der Lohmühle an. Dennoch folgte 2013 das Insolvenzverfahren - mit dem Zwangsabstieg in die Fünftklassigkeit.

Was bleibt: Erinnerungen

Im Gedächtnis bleiben keine Zahlen, sondern Bilder. Momente aus handylosen Zeiten, die an Lübecks Stammtischen noch Jahrzehnte später verhandelt werden. Zuallererst die unglaubliche Reise ins DFB-Pokal-Halbfinale 2004, in dem Heckings Zweitliga-Truppe Werder Bremens Stars in die Verlängerung zwang und beinahe ins Endspiel eingezogen wäre. Millionen waren live am Fernsehschirm Zeugen des Lohmühlen-Dramas. "Pokalsieger der Herzen 2004" lautete die Botschaft auf einem Banner, das junge Anhänger anschließend auf dem Platz entfalteten.

Elfmeter mit fatalen Folgen

Zwei verschossene Elfmeter sind ebenfalls tief im kollektiven Fan-Gedächtnis verankert. Der eine besiegelte 1950 den ersten Oberliga-Abstieg. Der VfB lag 1:2 gegen Göttingen 05 zurück, als Torjäger Horst Wenzel tönte: "Wer den verschießt, kriegt‘s mit mir zu tun!" Da wollte keiner mehr, und Wenzel selbst musste ran. Er verschoss und sah sich derart heftiger Kritik ausgesetzt, dass er die Fußballstiefel an den Nagel hängte.

39 Jahre später ereilte Holger Behnert ein ähnliches Schicksal, als ihm gegen Kickers Emden zwei Minuten vor Schluss die Nerven versagten. Der VfB verlor 1:2, der Aufstieg war verpatzt, die Fans auf der Lohmühle tobten.

Tragödie um Trainer Höher

Am 17. Oktober 1996 wurden die Zweitliga-Spieler um Keeper Maik Wilde und Goalgetter Daniel Jurgeleit Zeugen einer ganz anderen Tragödie. Kultcoach Michael Lorkowski war nach zehn Spieltagen entlassen worden und "Molle" Schütt präsentierte dem Team Heinz Höher als Nachfolger. Höher hatte nach erfolgreichen Jahren in Bochum und Nürnberg schon länger keinen Club mehr trainiert, und das hatte seinen Grund. Der 58-Jährige war alkoholkrank. Am Vorabend des ersten Trainings trank er sich Mut an und brach während der Einheit zusammen, sein endgültiges Karriere-Aus. Höher sollte nie mehr einen Verein bekommen.

Keegans Box-Einlage

Kevin Keegan im Jahr 1978 © Witters
Auch Kevin Keegan gab seine Visitenkarte an der Lohmühle ab - allerdings auf unfeine Art.

Und dann war da noch die Geschichte mit Kevin Keegan und dem Knock-out, der den VfB international in die Schlagzeilen brachte. Am Silvestertag 1977 streckte der englische Superstar des HSV seinen Lübecker Gegenspieler Erhard "Mucker" Preuß in einem Testspiel auf der Lohmühle vor 12.000 Zuschauern mit zwei wohlkalkulierten Faustschlägen zu Boden. Preuß hatte ihn zuvor zehn Minuten lang in zünftiger Oberliga-Vorstoppermanier bearbeitet.

Er habe kurz überlegt, erzählte Keegan später, und sei zu dem Schluss gekommen: "Lieber zwei Monate Sperre als drei Monate Krankenhaus!" Langte zu, sah Rot und ließ sich per Taxi nach Hamburg zurückfahren. "Mucker" war sich keiner Schuld bewusst, er wurde dann in der Halbzeit aber doch vorsichtshalber ausgewechselt.

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 29.04.2023 | 19:30 Uhr

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