Tabellenführer! Bei Hannover 96 ist "Entwicklung" mehr als eine Phrase
Hannover 96 grüßt nach elf Spieltagen etwas überraschend von der Tabellenspitze der 2. Liga. In einem chronisch unruhigen Umfeld haben Trainer Stefan Leitl und Sportdirektor Marcus Mann in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine Mannschaft aufgebaut, die nun bereit zu sein scheint für den Sprung in die Bundesliga.
Wer einen Verein so richtig ins Herz geschlossen hat, der ist zuweilen blind vor Liebe und damit auch bereit, für allerhand Tinnef tief ins Portemonnaie zu greifen. Ob nun der Senf, das Duschgel oder das Kondom mit dem Clublogo drauf, es gibt praktisch nichts, was die Profivereine nicht gewinnbringend an ihre Anhänger verhökern.
Auch Hannover 96 ist in puncto Merchandising bereits jetzt Bundesliga-reif. Neben Klamotten aller couleur, Pantoffeln und der "Badeente Nordkurve" bieten die Niedersachsen auch Artikel für Heimwerker an. So gibt es unter anderem einen Zollstock, ein zweiteiliges Schraubendreher-Set, einen Schlosshammer sowie eine Wasserwaage im Sortiment.
Wer also die eigenen vier Wände verschönern will, kann dies mit Werkzeug aus dem 96-Shop tun. Und gewissermaßen kann er damit Leitl und Mann nacheifern. Denn das Duo hat in den vergangenen beiden Jahren das "Hannover-Haus" peu à peu umgebaut und mit klugen Personalentscheidungen dafür gesorgt, dass die zuvor renovierungsbedürftige "Bude" nun in neuem Glanz erscheint.
Sogar "Chef-Kritiker" Kind lobt Entwicklung des Teams
Die Tabellenführung nach einem Drittel der Spielzeit ist der Lohn für die akribische Aufbauarbeit der sportlichen Leitung. "Die Mannschaft wirkt stabiler als in den letzten beiden Saisons, da ist eine Entwicklung zu erkennen", lobte nun sogar Martin Kind, Chef des Profi-Aufsichtsrates und Hauptgesellschafter von 96, via "Neue Presse" Mann und Leitl.
Jener Kind also, dem es in den vergangenen Jahren eigentlich nie schnell genug gehen konnte mit dem sportlichen Erfolg. Jener Kind, der Trainer und Manager in seiner langen Zeit als Vereins-Patron häufig genug öffentlich angezählt und später gefeuert hatte. Jener Kind also, der viele, viele Millionen in den vergangenen Dekaden in die Mannschaft gesteckt hat und sich immer wieder eingestehen musste, das Geld falsch investiert zu haben.
Kann Leitl weiter ohne Störgeräusche arbeiten?
Nachdem der erhoffte Sprung in die Eliteklasse (Kind: "Hannover 96 gehört in die Bundesliga") stets nicht geklappt hat, ist der 80 Jahre alte Unternehmer nun bemüht, anders als in den Vorjahren keinen Druck auf das Team auszuüben.
"Wenn sich die Chance bietet, sollten wir zugreifen", sagt Kind lediglich. Es scheint also, als ob Leitl ohne Störgeräusche von Seiten der Geldgeber um den Mehrheitsgesellschafter weiter in Ruhe mit seinen Schützlingen an der "Mission Aufstieg" arbeiten kann.
Umbaumaßennahmen machen sich bezahlt
Als der 47-Jährige im Sommer 2022 auf dem Trainer-Schleudersitz im WM-Stadion am Maschsee Platz nahm, hatten die "Roten" gerade so mit Ach und Krach den Zweitliga-Abstieg verhindert. Leitl hatte einen Dreijahreskontrakt erhalten und von der 96-Chefetage den Auftrag bekommen, das Team binnen 36 Monaten in die Bundesliga zu führen.
Dafür aber musste der Kader mehr oder minder auf links gedreht werden. Nach und nach stellte sich der Coach ein Team nach seinem Gusto zusammen. Nach Rang zehn in der ersten Saison und Platz sechs in der vergangenen Spielzeit grüßt Hannover nun nach elf Runden vom Platz an der Sonne. Die im Profifußball von Verantwortungsträgern häufig zitierte "Entwicklung", bei 96 ist sie kein Allgemeinplatz, sondern Realität.
Nächste Reifeprüfung Sonntag in Elversberg
"Die Mannschaft macht mir von Anfang an so viel Spaß. Wie sie sich entwickelt hat, wie sie sich mit Hannover identifiziert, das ist einfach schön zu sehen als Trainer", sagte der Coach nach dem 2:1-Erfolg am vergangenen Sonnabend gegen den Karlsruher SC, dem sechsten Sieg im sechsten Heimspiel. So sehr sich der 47-Jährige über den damit verbundenen Sprung an die Spitze freute, so sehr war er auch bemüht, auf die Euphoriebremse zu treten.
Rang eins sei nur eine Momentaufnahme, erklärte der Trainer. "Jetzt gilt es, mit der Situation umzugehen. Das wird ein Lerneffekt, und den wollen wir bestmöglich meistern", ergänzte er mit Blick auf die kommenden Partien. Bereits am Sonntag (13.30 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) steht für die "Roten" mit der Begegnung bei der SV Elversberg eine heikle Aufgabe auf dem Programm. "Wenn wir am Sonntag nur ein bisschen nachlassen, werden wir Probleme bekommen", mutmaßt Leitl.
Stürmer Ngankam: "Sind auf einem guten Weg"
Mit geschärften Sinnen und einer großen Portion Demut will 96 die nächsten Schritte im vermutlich bis zum letzten Spieltag sehr engen Aufstiegskampf der Zweiten Liga gehen. Seine Spieler scheinen bereits verinnerlicht zu haben, dass die nächsten 90 Minuten immer die schwersten sind. Kampfansagen in Richtung Konkurrenz gab es nach dem KSC-Duell vom neuen Spitzenreiter jedenfalls nicht.
"Es ist sehr, sehr eng in der Tabelle. Woche für Woche kann alles passieren. Aber wir sind auf einem guten Weg und wollen dort weitermachen", erklärte Siegtorschütze Jessic Ngankam. Sollte es den Niedersachsen gelingen, könnte es im kommenden Sommer in der Landeshauptstadt die langersehnte Aufstiegs-"Sause" geben.
Den dazugehörigen Sekt müssten die Anhänger Stand jetzt dann allerdings im Supermarkt ihrer Wahl oder bei der "Tanke" um die Ecke kaufen. Im 96-Fanshop gibt es das Prickelwasser aktuell jedenfalls noch nicht. Aber das kann sich ja noch ändern, wenn der Aufstieg konkrete Formen annimmt...