Stand: 18.02.2019 10:15 Uhr

Souleymane Chérif: Der Pelé aus Neubrandenburg

von Andreas Bellinger, NDR.de

Er kam als Student und wurde beim SC Neubrandenburg zu einem Star des DDR-Fußballs. Warum Souleymane Chérif nicht in die Oberliga aufsteigen durfte, erzählt Afrikas Fußballer des Jahres 1972 in der Sportclub Story des NDR.

Souleymane Cherif wird in Neubrandenburg jubelnd in die Luft geworfen.
Souleymane Chérif wird in Neubrandenburg jubelnd in die Luft geworfen.

Er hat sie lange nicht gesehen, die alten Fußball-Kumpels von damals. 50 Jahre oder mehr ist es her. Und doch erkennt er sie alle mit Namen auf dem Mannschaftsfoto, das in seinem Wohnzimmer im westafrikanischen Guinea hängt. 7.200 Kilometer entfernt sind die Erinnerungen an die glorreichen Zeiten beim SC Neubrandenburg noch immer präsent. Damals, als er mit den Nobodys aus Mecklenburg-Vorpommern den Aufstieg in die DDR-Oberliga geschafft hat. Souleymane Chérif: der Pelé aus Neubrandenburg. Der Mittelstürmer, der mit seinen Toren einen Teil dazu beitrug, das sportliche Wunder möglich zu machen. Geliebt und verehrt haben sie ihn dafür. Und bei der Jubelfeier immer wieder in die Luft geworfen, wie ein weiteres Foto zeigt. "Es war fantastisch, als hätten mich die Neubrandenburger in diesem Augenblick adoptiert", sagt der heute 74-Jährige und ein paar Tränen kullern über seine Wangen.

Kinder-Fragen: "Onkel Neger, hast du ein Herz?"

Vergessen ist in solchen Momenten die einsame Zeit in der Fremde. Als 18-Jähriger war Chérif 1962 in die DDR gekommen, wollte Bauwesen studieren. Im Rahmen der sozialistischen Entwicklungshilfe. Er hatte seine Geburtsstadt Kindia verlassen - und fühlte sich bisweilen sehr allein in der Unterkunft mit 29 anderen Studenten aus den sozialistischen Bruderländern Angola, Mosambik oder Guinea. "In Neubrandenburg hat alles angefangen", erzählt er in der Sportclub Story, während er durch die staubigen Straßen seiner Heimatstadt geht. Stück für Stück kehren die Geschichten zurück, und mitunter fängt er an zu lachen. Wenn er von den Kindern erzählt beispielsweise. Wie sie gefragt haben: "Onkel Neger, hast du ein Herz?" Oder wenn sie ihn anfassten und prüften, ob das schwarze an ihm wohl Kohle sei. Es habe ihn nicht gestört. Sagt er.

Super Typ mit viel Talent

Beim VEB Bau-Union hat er gearbeitet. Erfahrungen sollte er sammeln für den Aufbau in seinem Heimatland. In der Freizeit machte er Sport in der Sporthalle der Internatsunterkunft, spielte Basketball und beeindruckte auch ein paar Fußballer des SCN, die sich dachten: Wer so geschmeidige Bewegungen drauf hat, der kann bestimmt auch kicken. Dass Chérif von Kindesbeinen an ein begeisterter - und wie sich zeigen sollte - talentierter Fußballer war, wussten sie (noch) nicht. "Sein Talent" sei ihm sofort aufgefallen, sagt Peter Krabbe. "Kurzum ein super Typ", urteilt Meinhard Uentz, der damals Kapitän der Neubrandenburger war. Und Sturmkollege Jürgen Schröder erinnert sich: "Ein sympathischer Typ, charakterlich besser als mancher Deutscher."

Liebe ohne Zukunft

Es brauchte nicht viel Überredungskunst. Schon bald zeigte Chérif seine Stärken als beidfüßiger Mittelstürmer, kopfballstark, schnell, auffällig. "Das war, aus dem Bauch heraus, unser Pelé", sagt Harry Mehrwald, der damalige linke Läufer. Auch eine Freundin, Leichtathletin aus dem benachbarten Internat, habe Souleymane gehabt, erzählt Mehrwald. Ihr Name? "Der spielt keine Rolle." Auch Chérif bleibt diesbezüglich zugeknöpft: "Wir waren ein Paar, und ich wollte sie heiraten. Aber ihr Vater hat abgeblockt. Das hat keine Zukunft, hat er gesagt." Geheiratet hat er später in Guinea mit 25 Jahren. Seine Frau wusste, worauf sie sich einlässt: "Fußball ist sein Leben."

Böse Sprüche ließ er abprallen

"Guinea ist mein Vaterland und Deutschland mein Mutterland", sagt Chérif. Dabei war weiß Gott nicht alles Gold, was glänzt. Manch einer hatte Pelé sogar richtig auf dem Kieker, wie ein Zeitungsartikel aus der Zweitligazeit in der DDR beschreibt: "Chérif erlaubte sich ein kleines Foul, worauf ihn Schiedsrichter Töllner wegen Nachschlagens ohne Ball vom Spielfeld verwies." Schröder: "Vor allem auswärts gab es schon auch böse Sprüche: schwarzer Mann oder komm, friss 'ne Banane." Es prallte scheinbar alles von ihm ab, die schönen Erfahrungen überwogen. So hieß es unter der Überschrift "SC trumpfte mächtig auf": "Eine Eingabe von Nathow in den Potsdamer Strafraum konnte von Chérif mit Hackenschlag in der 17. Minute zum 2:0 verwandelt werden. Ein toller Treffer." Und weiter: "Zwei unhaltbare Tore von Chérif in der 65. und 77. Minute durch Fallrückzieher ergaben das verdiente 5:1."

Training mit Hindernissen

Souleymane Cherif im Kreis seiner Mitspieler beim SC Neubrandenburg. © NDR/privat
Souleymane Chérif im Kreis seiner Mitspieler beim SC Neubrandenburg.

Eine bewegte und erfolgreiche Zeit. Mitunter auch kurios. Beim Wintertrainingslager auf Langlaufski etwa. Mehrwald: "Da hat er öfters Bekanntschaft mit dem Schnee gemacht." Ein Ausflug mit Hindernissen. "Na klar, ich bin hingefallen, hingefallen und wieder hingefallen", erinnert sich Chérif und lacht herzhaft. Damals allerdings fand er es weniger lustig: "Eine Katastrophe war das." Erst als ihn ein Trainer an die Hand genommen habe ("Wir machen das jetzt zusammen"), habe es leidlich funktioniert. Teambuilding würde es heute wohl heißen. Tatsächlich stieg Neubrandenburg in die höchste Spielklasse auf, die DDR-Oberliga. Nur Chérif durfte nicht.

Aufstiegs-Verbot für Chérif

Für seine zwölf Tore in der Aufstiegssaison bekam er einen Orden als "Aktivist des Siebenjahrplanes" - und dann den Laufpass. "Es gab in den Statuten einen Passus, dass Ausländer nicht in der Oberliga spielen durften", sagt Uentz: "Ohne Kommentar! Schlimm!" Widerspruch zwecklos. Dabei hätte Chérif erster Afrikaner in einer höchsten deutschen Fußball-Liga werden können. Lange vor Ibrahim Sunday, der 1976 für Werder Bremen in der Bundesliga debütierte.

"Mit Pelé wären wir nicht abgestiegen"

Der verbannte Chérif kickte 1964/65 noch eine Saison im Unterhaus für die BSG Empor Neustrelitz. Neubrandenburg blieb nur ein Jahr in der Oberliga. "Die Gegner waren zu gut", erinnern sich die Mitspieler von damals, und Krabbe fügt trotzig hinzu: "Mit Pelé wären wir nicht abgestiegen." Enttäuscht kehrte Chérif zurück nach Guinea. Fußball spielte er natürlich weiter und fand in der Hauptstadt Conakry (2,5 Millionen Einwohner) sein Glück. Zwölf Jahre kickte er in der Nationalmannschaft, wurde dreimal Afrikameister und stand 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko im Team Guineas, das sich nach Vorrunde allerdings verabschieden musste.

1972 Afrikas Fußballer des Jahres

Souleymane Cherif © NDR/Benjamin Unger
Chérif ist in seiner Heimat Guinea ein Star.

"Dass er eine besondere Karriere macht, war uns allen klar", sagt Uentz. Tausende Kilometer entfernt verfolgte auch der frühere Kapitän die Laufbahn des einstigen Kollegen. "Als er weg war, fehlte was", sagt Krabbe und erzählt mit leuchtenden Augen: "1972 war er sogar Afrikas Bester." Chérif wurde als erster Kicker Guineas mit dem Goldenen Ball als Afrikas Fußballer des Jahres ausgezeichnet. Nachfolger von Ibrahim Sunday. "Ballon d'Or" rufen sie ihn seither überall. Nicht nur die Fußball-Fans. "Er ist unser großes Vorbild", sagt ein Steppke aus der Fußball-Akademie des Verbandes, für den Chérif lange als Technischer Direktor gearbeitet hat. Nicht Platini, Maradona, Messi oder Ronaldo - Chérif ist hier der Star.

"Heute respektieren mich alle"

Ohne Neubrandenburg wäre das alles nicht möglich gewesen. "Es war eine wichtige Etappe in meinem Leben", sagt Chérif. "Nur dank dieser Erfahrung konnte ich der 'Ballon d'Or' werden. Danke an Gott. Danke an Neubrandenburg. Heute respektieren mich alle." Glücklich strahlt er dabei und unterhält sich via Internet weiter mit den alten Kumpels im 7.200 Kilometer entfernten Deutschland. "Wir sind stolz, dass du ein Mitspieler in unserer Mannschaft gewesen bist", sagen sie zum Abschied. Tschüs Pelé. Tschüs nach Neubrandenburg. Und wieder kullern die Tränen.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 18.02.2019 | 23:35 Uhr

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