Mit Hirn und Herz statt Geld: Das Fußball-Wunder der Alsterbrüder
Die Fußballer des FC Alsterbrüder haben sensationell den Durchmarsch von der siebtklassigen Bezirksliga in die Oberliga Hamburg geschafft. Siegprämien gibt es beim kleinen Eimsbütteler Verein nur in Form von Flüssignahrung. Der Zusammenhalt ist das größte Pfund, mit dem der Club wuchern kann.
Goldenes Konfetti weht am frühen Montagabend über den Kunstrasen des Walter-Wächter-Platzes an der Gustav-Falke-Straße. Die Papierschnipsel sind die Überbleibsel des größten Spiels in der 75-jährigen Vereinsgeschichte des FCA. Fans hatten sie vor Beginn des Halbfinals im Landespokal gegen den TSV Sasel in die Luft geworfen. Was zu einem Fußball-Fest und der Krönung einer ohnehin bereits märchenhaften Saison hatte werden sollen, wurde zum Debakel. Mit 0:7 unterlag das Team von Coach Jörn Großkopf dem Oberliga-Spitzenreiter.
Der Traum von der Endspiel-Teilnahme und der damit verbundenen Chance, mit einem weiteren Sieg in die Hauptrunde des DFB-Pokals einzuziehen, ist geplatzt.
Partystimmung trotz geplatzter Pokalträume
Natürlich ist die Enttäuschung beim krassen Außenseiter, der dem Favoriten nur 20 Minuten lang hatte Paroli bieten können, unmittelbar nach dem Schlusspfiff groß. Schnell aber weicht der Frust dem Stolz auf das Geleistete. "Aufsteiger, Aufsteiger, Aufsteiger" und "Oberliga olé, FCA" skandieren die mit Fahnen und Transparenten hinter der Balustrade stehenden Anhänger. Großkopf und seine Spieler werden wie drei Tage zuvor frenetisch gefeiert. Am Karfreitag hatten die Alsterbrüder mit einem 3:0-Erfolg bei der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft vorzeitig die Landesliga-Meisterschaft und damit den zweiten Aufstieg in Folge perfekt gemacht.
Die anschließende "Sause" ging bis in die frühen Morgenstunden. "Wir haben Vollgas gegeben. Hier hat das Clubheim gewackelt. Das haben sich die Jungs auch verdient. Und ich sage in diesem Moment dann ja nicht, dass wir jetzt nach Hause gehen oder ohne Alkohol feiern", erklärt Großkopf.
Ex-Profi Großkopf führt Team zum Oberliga-Aufstieg
Der frühere Bundesliga-Profi des FC St. Pauli hat das Traineramt beim FCA im vergangenen Sommer von Vereins-Urgestein Gunnar Hitscher übernommen, der aus beruflichen Gründen aufhörte. Eigentlich hatte Großkopf seine Trainerkarriere nach seinem Engagement beim FC Türkiye, den er in die Oberliga führte, ebenfalls beenden wollen. Die Gespräche mit den Alsterbrüder-Verantwortlichen stimmten den 56-Jährigen dann jedoch um. Der Fußball-Lehrer übernahm eine Mannschaft, die am letzten Bezirksliga-Spieltag in allerletzter Sekunde den Aufstieg geschafft hatte. Erstmals in der Clubhistorie war der FCA damit sechstklassig.
Drei Kisten Bier als Siegprämie
Die Landesliga, in der einige Hamburger Clubs ihren Feierabend-Kickern großzügige Aufwandsentschädigungen zahlen, schien für den kleinen Verein das Höchste der Gefühle. Denn: "Das besondere an diesem Club ist, dass die Spieler keinen einzigen Cent kriegen. Es gibt auf einen Sieg drei Kisten Bier. Der Zusammenhalt ist hier einfach besonders", betont Großkopf.
In dieselbe Kerbe schlägt auch Kapitän Felix Niebuhr. "Bei uns gibt es ganz viel Zusammenhalt, der aber nicht nur vom Team gelebt wird. Der gesamte Verein ist aufgestiegen. Das fängt beim Platzwart an und geht über den Zeugwart bis hin zum Trainer-Team", sagt der schmächtige Mann mit der Nummer zehn auf dem Rücken, der eine Regenbogen-Binde trägt.
FCA "kein Politbüro", aber politisch engagiert
Das kommt nicht von ungefähr. Beim FCA wird Toleranz gelebt und gefordert, was auch ein Transparent beweist, das Fans während des Duells mit Sasel an den Zaun gehängt haben. "Alterbrüder gegen Homophobie" steht darauf. Dass die Vereinsmitglieder politisch engagiert sind, zeigte sich auch schon 2018, als sie die Umbenennung ihrer Sportanlage durchsetzten. Diese trug zuvor den Namen des früheren norddeutschen Schriftstellers Gustav Falke, der nach Ansicht der Alsterbrüder-Initiatoren aber ein "sehr nationalistischer und vor allem franzosenfeindlicher Dichter" gewesen sei. Seitdem ist der zwischen Häusern gelegene Platz nach Walter Wächter, einem aus Eimsbüttel stammenden ehemaligen Fußballer und Widerstandskämpfer benannt.
"Wir sind jetzt kein Politbüro, aber schon politisch in unserer Denke. Wir wollen, dass Fußball mit Hirn gemacht wird und unser Hirn nicht an der Kabine abgeben", erklärt Vorstandsmitglied Lennart Förster.
Aufstieg kam für alle völlig unerwartet
Neben seinen klar formulierten Wertevorstellungen steht der Club auch für seine Null-Cent-Politik in puncto Aufwandsentschädigungen. Viele Spieler der aktuellen Mannschaft seien Freunde und würden deswegen gemeinsam das Alsterbrüder-Trikot überstreifen, sagt Förster. "Die Leute haben verstanden, dass man hier Spaß haben und gleichzeitig erfolgreich Fußball spielen kann", ergänzt der Vorstand. Dass der Weg des Vereins, der vor fünf Jahren noch in der Achten Liga um Punkte kämpfte, einmal in Hamburgs Beletage führen könnte, hätten sich die Alsterbrüder dennoch vor Beginn dieser Serie nicht träumen lassen.
"Hätte uns das vor der Saison jemand gesagt, ich glaube, wir hätten ihn für verrückt erklärt", sagt Kapitän Niebuhr.
Schwere Beine nach der großen "Sause"
Zunächst hatte es auch noch so ausgesehen, als ob die Eimsbütteler eher um den Klassenerhalt als um den Aufstieg kämpfen würden. Aber nach drei Niederlagen aus den ersten vier Partien war das Großkopf-Team in der Liga angekommen und rollte das Feld von hinten auf. Im Jahr 2023 schlugen bis zum Pokalduell mit Sasel ausschließlich Siege für den FCA zu Buche. Dass die Meisterschaft bereits drei Spieltage vor dem Saisonende perfekt gemacht und anschließend ausgiebig gefeiert wurde, war dann allerdings nicht förderlich für das größte Spiel in der Vereinsgeschichte.
"Wir waren nicht frisch in den Beinen und nicht frisch im Kopf. Vielleicht hat man dem einen oder anderen angemerkt, dass wir Freitag Vollgas gegeben haben", sagt Großkopf. Einen Vorwurf wollte der Erfolgscoach seinen Kickern deswegen aber nicht einmal ansatzweise machen. "Ich kann der Mannschaft nur zu dem gratulieren, was sie in diesem Jahr geleistet hat. Das war grandios", erklärt der 56-Jährige.
Die Fans sahen es genauso und feierten Trainer und Mannschaft trotz des 0:7-Debakels, als wären die Alsterbrüder soeben ins Finale eingezogen.