Merk, Kulig und Co - Warum gibt es kaum deutsche Top-Trainerinnen?

Stand: 26.04.2024 09:55 Uhr

Cheftrainerinnen sind in der Fußball-Bundesliga der Frauen noch immer eine Seltenheit. In der kommenden Saison könnten Männer sogar alle zwölf Posten besetzen. Doch neue Trainerinnen sind in Sicht - und hoffen auf den Mut der Vereine.

von Florian Neuhauss

Theresa Merk versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Auch wenn es für sie "schon eher ein mediales Thema" ist, dass sie seit bald einem Jahr die einzige Frau neben elf Cheftrainern in der Frauen-Bundesliga ist. So möchte sie ihre "Vorreiterrolle" doch nutzen, wie die 34-Jährige vom SC Freiburg im Gespräch mit dem NDR betont: "Ich will das gut machen. Auch für die Mädels, die hoffentlich nachkommen, einen gewissen Rahmen zu schaffen. Damit sie sich damit nicht mehr so auseinandersetzen müssen, sondern dass das irgendwann normal wird."

Doch von Normalität kann keine Rede sein. Seit Jahren tauchen kaum einmal Frauen in den Kursen für die höchste Trainerlizenz auf. Der aktuelle Lehrgang zur UEFA-Pro-Lizenz (ehemals Fußball-Lehrer) ist ausschließlich von Männern belegt.

"Es gab eine Bewerbung, aber die Frau hat die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllt", berichtet Ulrike Ballweg, die beim DFB für die Talentförderung von Mädchen und Frauen zuständig ist - auch für die Trainerinnen. In den vergangenen Jahren gab es insgesamt kaum eine Handvoll Frauen in den Lehrgängen. Merk war in ihrem Kurs die einzige Frau.

Lange kaum hauptamtliche Trainer-Jobs im Frauenbereich

"Wir haben früher schon immer ganz viele Spielerinnen animiert, ihre Trainerlizenz zu machen", blickt die ehemalige Bundestrainerin Silvia Neid zurück. "Und viele sind jetzt auch Trainerin. Aber es gibt so wenig Posten, mit denen man wirklich auch Geld verdienen kann. Es muss ja ein hauptamtlicher Job sein. Und da gab es lange nur, ich sag jetzt mal, zwei Trainerinnen-Jobs in der Liga, dazu Verbandstrainer und diese vier oder fünf Jobs beim DFB. Das ist zu wenig", so die 59-Jährige.

Auch, weil es im Frauenfußball kaum hauptamtliche Stellen gab und der Männerbereich im Prinzip eine für Trainerinnen geschlossene Gesellschaft war und ist, dürften viele Spielerinnen dem Fußball verloren gegangen sein. Sie arbeiteten nach der Karriere einfach weiter in ihrem Beruf, den sie ohnehin schon während ihrer Karriere als Spielerin ausüben mussten.

"Es gab lange nur zwei hauptamtliche Trainerinnen-Jobs in der Liga, dazu Verbandstrainer und diese vier oder fünf Jobs beim DFB. Das ist zu wenig." Ex-Bundestrainerin Silvia Neid

Trainerinnen sind so zu Exoten geworden. Und womöglich fehlte dem einen oder anderen Offiziellen in den Clubs dann auch der Mut, eine der wenigen Frauen mit Lizenz als Cheftrainerin einzustellen. Ballweg vermutet, dass es "so ein bisschen auch Angebot und Nachfrage" gewesen ist.

Wolfsburg und Essen hatten noch nie eine Cheftrainerin

Fakt ist: Drei aktuelle Bundesligisten hatten noch nie eine Cheftrainerin. Darunter neben Aufsteiger Nürnberg ausgerechnet die Vorreiter-Clubs VfL Wolfsburg und die SGS Essen. Nur Leverkusen und Duisburg (zweimal) sowie der FC Bayern und Werder Bremen (dreimal) hatten schon mehr als einmal eine Frau als Verantwortliche auf der Trainerbank. Werder hat aktuell aber gar keine Frau in den Trainerstäben der ersten und zweiten Mannschaften. In Freiburg ist es genau eine - eben Merk.

Höchste Trainerlizenz kostet rund 30.000 Euro

Das Gesamtbild soll sich trotzdem ändern - und der DFB hat verschiedene Maßnahmen ergriffen, um mehr Frauen in den Trainerberuf im Allgemeinen, aber auch in die Spitze zu bringen. Das beginnt in Zusammenarbeit mit den Landesverbänden mit reinen Frauenlehrgängen an der Basis. Und reicht bis zu rund 20 Stipendienplätzen in verschiedenen Programmen, um den Frauen finanzielle Hürden zu nehmen. Damit trifft der Verband den Nerv: Die Zahl der Bewerberinnen übersteigt die der Stipendien.

Denn auch das ist ein sehr großer Faktor: Ballweg rechnet vor, dass die Lizenz A+, mit der man im Jugendbereich in den höchsten Ligen arbeiten darf, insgesamt schon 20.000 Euro koste. Für die UEFA-Pro-Lizenz müsste man noch einmal 10.000 Euro mehr berappen. Und wer kann diese Summe schon guten Gewissens investieren, wenn die Aussicht auf einen hauptamtlichen Job im Profi-Fußball so überschaubar ist?

In der Schweiz gibt es genauso viele Trainerinnen wie Trainer

Kim Kulig zum Beispiel. Die frühere Nationalspielerin, die in Folge ihrer schweren Knieverletzung bei der Heim-WM 2011 schon mit 25 Jahren ihre Karriere beenden musste, trainiert seit dem vergangenen Sommer den Schweizer Erstligisten FC Basel. Bemerkenswert: In der Schweiz gab es zu Saisonbeginn mit fünf Cheftrainerinnen genauso viele wie Männer an der Seitenlinie bei den Clubs. Und auch in den nun anstehenden Play-offs hält sich das Geschlechter-Verhältnis die Waage.

"Nach meiner Spielerinnen-Karriere habe ich hier beim DFB direkt Fuß fassen dürfen - und damals im Managementbereich gearbeitet", blickt die heute 34-Jährige zurück. Das sei "erst mal eine schöne Aufgabe", den ganzen Tag im Büro zu sitzen, aber im Endeffekt nichts für sie gewesen. Doch der Verband unterstützte sie weiter: "Ich bin sehr ungeduldig geworden und durfte dann auch meine Trainerlizenzen machen. Ja, und die haben mich eigentlich zu dem gemacht, was ich auch heute bin: Trainerin."

Vier deutsche Cheftrainerinnen in der Schweiz

Neben dem Job beim DFB in Frankfurt wurde sie zunächst Co-Trainerin bei der U20 von Rekordmeister 1. FFC Frankfurt in der 2. Bundesliga. Zu äußerst bescheidenen Konditionen, aber es war eine Chance. "Ich habe einfach gemacht, bin drauf losgegangen." Ihr Antrieb: "Dass ich mit 25 meine Karriere beenden musste, hat mir das Herz gebrochen. Es ist jetzt große Motivation, dass ich viele Erlebnisse, die ich als Spielerin nicht haben konnte, einfach als Trainerin erleben darf."

"Dass ich mit 25 meine Karriere beenden musste, hat mir das Herz gebrochen. Es ist jetzt große Motivation, dass ich viele Erlebnisse, die ich als Spielerin nicht haben konnte, einfach als Trainerin erleben darf." Kim Kulig

Sie wurde Ende 2017 bei Frankfurt II zur Cheftrainerin, hielt mit dem jungen Team zweimal die Klasse und hatte sich sportlich, aber auch durch ihre Fußball-Lehrer-Lizenz, die sie 2020 erwarb, für höhere Aufgaben empfohlen. Es folgten zwei Jahre als Co-Trainerin beim VfL Wolfsburg im Team von Tommy Stroot (2021 - 2023) und schließlich der Wechsel in die Schweiz. Bei den Eidgenossen ist nicht nur der Frauenanteil deutlich höher als hierzulande. Neben Kulig waren mit Imke Wübbenhorst (YB Frauen), Anne Pochert (Grasshoppers) und Jacqueline Dünker (FC Zürich) auch noch drei andere deutsche Trainerinnen beschäftigt.

Neid: Kulig hat das Zeug zur guten Bundestrainerin

Neid hofft, dass Kulig mit Ablauf ihres Vertrags in Basel im Sommer 2025 wieder nach Deutschland zieht: "Die Entscheidung war gut, dass die Kim nach Basel gegangen ist. Aber ich glaube trotzdem, dass sie irgendwann zurückkehren wird - entweder in die Liga oder, ich würde es eigentlich noch besser finden, wenn sie zum DFB zurückkehrt." Von der U17- bis zur U20-Nationalmannschaft wäre Kim schon jetzt eine "Top-Trainerin" für den DFB. Aber Neid denkt schon weiter: "Ich glaube auch, dass Kim irgendwann einmal das Zeug hat, eine gute Bundestrainerin zu werden."

Vorbilder sollen Interesse für den Beruf Trainerin wecken

Ballweg, die früher mit Neid das so erfolgreiche Trainergespann bei der Frauen-Nationalmannschaft gebildet hat, setzt vor allem darauf, dass Kulig, die ohnehin nach ihrem Karriereende als TV-Expertin präsent geblieben ist, zu einem "Role Model" werden könnte: "Es ist ein ganz wichtiger Faktor, weibliche Vorbilder zu haben, um auch zu sehen: Das kann ein Weg für mich sein. Wie Kim Kulig ihn jetzt eingeschlagen hat. Über Co-Trainerin, entsprechend Erfahrungen zu sammeln im Cheftrainer-Bereich und sich da weiterzuentwickeln. Das ist ganz, ganz wichtig."

"Es ist ein ganz wichtiger Faktor, weibliche Vorbilder zu haben, um auch zu sehen: Das kann ein Weg für mich sein. Wie Kim Kulig ihn jetzt eingeschlagen hat." Ulrike Ballweg, Sportliche Leiterin beim DFB

Und die Zeiten haben sich auch verändert. Mehr und mehr hält das Profitum Einzug in die Frauen-Bundesliga. "Damit ist auf einmal auch der Trainerinnen-Markt eröffnet worden. Jetzt gibt es Jobs, mit denen man seinen Lebensunterhalt bestreiten und perspektivisch sein Leben planen kann. Die Trainerinnen müssen jetzt nachwachsen", erklärt Ballweg.

Umfrage: Mehr als 40 Vollzeitstellen in der Bundesliga

Über 40 Vollzeitstellen gibt es mittlerweile bei zwölf Clubs für den Frauenbereich, wie eine Umfrage des NDR bei den Vereinen ergeben hat. Rund 20 sind mit Frauen besetzt, für die es mittlerweile auch interessant sein könnte, im europäischen Ausland zu arbeiten. Denn längst ist Deutschland nicht mehr der Nabel des Frauenfußballs. Spanien, Italien, Frankreich und vor allem England haben aufgeholt oder sind vorbeigezogen.

"Ich will jetzt ein Vorbild sein für andere, vielleicht dann irgendwann ehemalige Spielerin, die wirklich diesen Weg gehen", nimmt Kulig die ihr zugedachte Rolle an. "Man muss sagen, heute ist es lukrativ, mittlerweile kann ich wirklich mit Fußball leben als Trainerin."

Bundesliga-Saison 2024/2025 ohne Cheftrainerin?

Doch noch ist das alles Zukunftsmusik. Zumal es aktuell so aussieht, dass die kommende Bundesliga-Saison ohne eine einzige Cheftrainerin starten wird. Der SC Freiburg hat gerade bekannt gegeben, dass Theresa Merk wegen ihrer Schwangerschaft zunächst auf unbestimmte Zeit eine Pause einlegen wird. Die 34-Jährige wird von Nico Schneck (ehemals MSV Duisburg) vertreten.

Und bei den möglichen Bundesliga-Aufsteigern aus Andernach, Potsdam, Meppen, Jena und Hamburg gibt es zwar zwei Trainerinnen. Aber Andernach, wo Isabelle Hawel als Teil eines Trainerduos arbeitet, hat keine Lizenz beantragt - und Hawel bekommt ohnehin ihr drittes Kind. Meppens Carin Bakhuis wechselt im Sommer nach Wolfsburg - als Co-Trainerin.

Kulig blickt dennoch optimistisch in die Zukunft: "Ich glaube, wir sind in einer sehr spannenden Zeit. Es wächst gerade eine Generation an Frauen heran, die wirklich auch diesen Weg gegangen sind und jetzt auch mutig parat stehen. Das war nicht immer so. Jetzt ist auch die Frage: Nutzen dann die Vereine diesen Mut? Ich hoffe schon."

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