"Können nicht zaubern": Das Modell Holstein Kiel stößt an seine Grenzen
Für Holstein Kiel erweist sich die Fußball-Bundesliga bisher als eine Nummer zu groß. Dem Überraschungsaufsteiger hat es in noch keinem Spiel an Einsatzwillen und Moral gemangelt. Aber auch in der Partie bei Borussia Mönchengladbach wurde erneut deutlich: Der KSV fehlt es schlichtweg an Qualität.
Marcel Rapp hat sich auf der Pressekonferenz nach der 1:4-Pleite am Sonnabendnachmittag bei den Rheinländern eines Begriffes bedient, der das ganze Kieler Dilemma in der Beletage perfekt ausdrückt. Auf die Frage, warum es sein Team nicht vermochte, den Kopfballtreffer von Tim Kleindienst nach nicht einmal einer Minute zu verteidigen, wies der Holstein-Trainer zunächst darauf hin, dass es sich bei Gladbachs Angreifer völlig zurecht um einen deutschen Nationalspieler handele, der eben nicht so einfach auszuschalten sei. "Das ist ein Mismatch. Das wussten wir schon. Aber wir können auch nicht zaubern in Kiel", führte der 45-Jährige aus.
Der Begriff "Mismatch" (übersetzt: "Nichtübereinstimmung") wird im Sport eigentlich eher selten bemüht. Gängiger ist er auf dem Arbeitsmarkt, um die Diskrepanz zwischen der Qualifikation des Erwerbssuchenden und der Stellenanforderung auszudrücken.
So ganz unpassend aber war es aus dem Munde von Rapp aber keineswegs. Denn der Coach wollte damit wohl das unterstreichen, was auf dem Bökelberg einmal mehr in dieser Saison offensichtlich wurde: Dem Kader von Holstein Kiel fehlt es für die Beletage in der Spitze und der Breite an Qualität.
Defensive Transferpolitik wird KSV nun zum Verhängnis
Dass der erste Club aus Schleswig-Holstein in der Bundesliga-Historie in vielen Partien Lehrgeld würde zahlen müssen, war bereits vor dem Saisonauftakt zu vermuten. Denn die KSV war trotz der gestiegenen Anforderungen in der Eliteklasse ihrer Philosophie treu geblieben. Statt auf dem Transfermarkt finanziell ins Risiko zu gehen und erfahrene Akteure zu verpflichten, wurden weitgehend unbekannte Spieler mit Entwicklungspotenzial geholt. Rapp sollte sie in bewährter Manier formen.
Was in den Vorjahren perfekt geklappt hatte, erweist sich nun aber als äußerst komplizierte Aufgabe. Der Sprung aus niedrigeren Spielklassen in die Bundesliga, in der jeder Fehler sofort bestraft wird, ist ein riesiger. Und so stößt das Kieler Erfolgsmodell der Vergangenheit in der Beletage an seine Grenzen. Der Aus- und Weiterbildungsverein, der zudem immer wieder anderswo gestrauchelten Profis wie Fiete Arp ein zweite Chance gibt, müsste sich wohl ein Stück weit neu erfinden, um den Abstieg verhindern zu können.
Holstein will trotz Talfahrt nicht ins Risiko gehen
Wird Holstein aber wohl nicht. Ein Paradigmen-Wechsel ist an der Förde nicht vorgesehen. Das hat Geschäftsführer Wolfgang Schwenke unlängst im "kicker" erklärt. "Wir werden keine Transfers machen, die das Gehaltsgefüge sprengen. Wir leben vom Teamspirit", sagte der frühere Handballer und machte damit deutlich, dass bei der KSV weiter Schmalhans Küchenmeister ist. Holstein wolle am Ende nicht mit leeren Taschen dastehen und das Ding gegen die Wand gefahren haben, ergänzte Schwenke.
Für Rapp, der trotz nur einem Sieg in 14 Partien und der deprimierenden Punkteausbeute von fünf Zählern nicht in der Kritik steht, bedeutet dies, dass er weiter mit Bordmitteln versuchen muss, das Bestmögliche zu erreichen.
Rapp mit Lösungsansatz, Holtby hofft auf Regenbogen
Der 45-Jährige war auch nach dem Gladbach-Spiel bemüht, sich kämpferisch zu geben. Er verwies auf "teilweise ordentliche Ballpassagen" seiner Mannschaft und hatte auch einen Lösungsansatz für die Zukunft parat: "Wir müssen einfach die einfachen Gegentore vermeiden." Das dies leichter gesagt als getan ist, weiß der 45-Jährige natürlich selbst. Schließlich ist am Ende - gerade in der Bundesliga - fast alles eine Frage der Qualität.
Und so steht zu befürchten, dass Rapp noch sehr häufig nach den kommenden Partien von einem "Mismatch" sprechen werden muss. Mit dem aktuellen Kader dürfte der Klassenerhalt für die KSV jedenfalls sehr, sehr schwer zu realisieren sein. Was derzeit bleibt, ist eigentlich nur die Hoffnung. Oder, wie es Kapitän Lewis Holtby ausdrückte: "Ich habe noch den Glauben, dass bessere Zeiten kommen. Ich bin schon lange im Fußball dabei und weiß: Nach ganz ekelhaftem Regen kommt auch gerne wieder ein Regenbogen."