Rudelbildung im Spiel 1860 München - VfL Osnabrück © IMAGO / MIS

Immer lautere Kritik: Braucht die Dritte Liga den Videobeweis?

Stand: 11.04.2023 16:20 Uhr

Die Schiedsrichter in der Dritten Liga stehen zusehends in der Kritik. Immer wieder wird deshalb die Forderung nach der Einführung des Videobeweises laut. Aber wer soll das bezahlen? Zudem gibt es auch andere Lösungsansätze.

von Alexander Kobs und Florian Neuhauss

Beispiele gibt es zur Genüge. Eines aber hat sich besonders ins Gedächtnis eingebrannt. Der Auer Marvin Stefaniak berührte in der Partie gegen Waldhof Mannheim nach einer Ecke gleich mehrfach den Ball mit den Händen. Das Schiedsrichterteam von Tobias Schultes bekam davon nichts mit und ließ weiterspielen. Ein Elfmeter für Mannheim wäre zwingend gewesen, so aber blieb es beim 2:1 für Aue, das damit einen wichtigen Sieg im Kampf gegen den Abstieg feierte. Und Mannheim ließ Punkte im Aufstiegsrennen liegen.

Zu den Schiedsrichter-Leistungen in der Dritten Liga hat Babak Rafati eine klare Meinung. "Mein Bauchgefühl sagt: Es wird immer schlimmer - von Jahr zu Jahr", sagte der Ex-Bundesliga-Referee im NDR Interview. Und viel übler: Die schlechten Leistungen hätten System.

Dritte Liga ist Schiedsrichter-Ausbildungsliga

"Wir haben vom Deutschen Fußball-Bund das Problem, dass sie junge Schiedsrichter in der Dritten Liga einbauen. Aber diese Dritte Liga ist für diese Schiedsrichter mehr so eine Durchgangsstation, also eine Ausbildungsliga. Das wird auf dem Rücken der Vereine ausgetragen", schilderte Rafati, der besonders die Ausbildung des Nachwuchses im Auge hat.

"Junge Schiedsrichter überspielen ihren Stress oftmals mit Arroganz." Ex-Bundesliga-Schiedsrichter Babak Rafati

Der Schiedsrichterjob sei eine Führungsposition, für die es "mentale Stärke, Stressmanagement, Kommunikation und ein Geschick, mit Menschen umzugehen" brauche. Aber: "All das fehlt den jungen Schiedsrichtern." Den daraus resultierenden Stress würden wiederum viele Referees "oftmals mit Arroganz überspielen. Und darüber beklagen sich ja auch immer wieder die Trainer."

Rafati fordert deshalb nicht nur eine sportliche Befähigung des Schiedsrichternachwuchses, sondern auch mentale und persönlichkeitsbildende Aspekte in der Ausbildung. Tobias Schultes gehört zu den 24 Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern, die der DFB laut seiner Homepage in der Dritten Liga einsetzt. Das Durchschnittsalter beträgt unter 29 Jahre. Was ein weiteres Problem mit sich bringt: Laut Rafati fehlt ihnen in vielen Situationen der Instinkt. "Die Schiedsrichter haben nicht die Erfahrung, dorthin zu laufen, wo es gleich in der Gefahrenzone brennen wird."

VAR vor allem eine Frage des Geldes

Das war deutlich in der Beispielszene aus der Partie Aue - Mannheim zu sehen. In der Ersten oder Zweiten Liga wäre die Entscheidung auf jeden Fall korrigiert worden. Und die Forderung liegt nahe, auch in der Dritten Liga den Videobeweis einzuführen. Aber der DFB wiegelt ab. "Aus Schiedsrichterperspektive betrachtet, ist natürlich jede Unterstützung, die dazu beiträgt, am Ende die richtige Entscheidung zu treffen, wertvoll und hilfreich", erklärt Florian Meyer, der beim DFB in der Dritten Liga für die Schiedsrichter zuständig ist, fügt aber hinzu: "Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, was realistisch möglich ist."

Dabei geht es vor allem ums liebe Geld. Die Kosten für den Videobeweis wären ungefähr so hoch wie der Preis für einen neuen Kleinwagen - und das pro Spieltag. Für die meisten Clubs wäre das schlicht nicht zu bezahlen. "Ich bin nicht dafür, den Videobeweis anzuschaffen", so Geschäftsführer Ronny Maul vom SV Meppen. Er sieht vielmehr die Möglichkeit, dass sich die Dritte Liga an dieser Stelle "im Vergleich zur Ersten und Zweiten Liga ein Stück weit absetzt". Die Probleme mit den Schiedsrichter-Entscheidungen löst dies freilich nicht.

FIFA testet "Videobeweis light"

Vielleicht könnte vielmehr ein Pilotprojekt der FIFA weiterhelfen. Angesichts der finanziellen Möglichkeiten in vielen Ländern auf der Erde testet der Weltverband gerade sozusagen den "Videobeweis light": mit weniger Kameras und weniger Personal. Der DFB beobachtet die Entwicklungen genau, Manuel Hartmann klingt aber alles andere als überzeugt. "Wir sehen schon die Diskussionen in der Bundesliga, wo wir deutlich mehr Kameras haben, die deutlich bessere Perspektiven bieten", sagt der beim DFB für den Spielbetrieb zuständige Geschäftsführer. Mit solch einem "deutlich abgespeckten System" eine zumindest ähnlich große Erwartungshaltung bei den Spielern, der Öffentlichkeit und den Fans erfüllen zu wollen, sei nicht möglich.

Rafati: "DFB vollkommen überfordert"

Rafati würde da aber auch gar nicht ansetzen wollen. Zumal der ehemalige Bundesliga-Schiedsrichter hart mit dem Verband ins Gericht geht: "Der DFB ist vollkommen überfordert mit dem System Videoschiedsrichter." Es brauche komplett neue Strukturen. "Ich würde diese subjektiven Entscheidungen - Handspiel, Foulspiel - komplett rausnehmen aus dem Programm Videobeweis", betont der 52-Jährige. Es dürfte nur um faktische Entscheidungen gehen, also zum Beispiel um Abseitsstellungen oder die Frage, ob ein Foul innerhalb oder außerhalb des Strafraums stattgefunden hat. Bei Fragen, über die nicht diskutiert werden muss. "Da, wo jeder das Bild sieht. Das würde ich schon einführen in der Dritten Liga als Videobeweis."

DFB führt vierten Offiziellen ein - die Lösung?

Der DFB will den Brand zunächst mit der Einführung des vierten Offiziellen zur neuen Saison eindämmen. Das Schiedsrichterteam soll sich verstärkt darauf konzentrieren können, was auf dem Feld passiert. "Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das die Rettung für die Dritte Liga ist", sagt Rafati. Dass die (jungen) Drittliga-Schiedsrichter durch den vierten Offiziellen von "dem ganzen Dreck" am Rande verschont bleiben, "wird nicht passieren". Die Trainer würden schon den Weg zum Hauptschiedsrichter finden. "Ich glaube, das ist erst mal nur ein künstliches Instrument für die Außenwirkung", glaubt Rafati. "Da gibt es noch mehr Gründe, um über ein Schiedsrichtergespann zu schimpfen."

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 08.04.2023 | 14:00 Uhr

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