96 im Derby erst geschockt, dann in Torlaune
Hannover 96 hat das Derby gegen Eintracht Braunschweig mit 4:1 (0:0) gewonnen und zumindest vorübergehend die Zweitliga-Tabellenführung übernommen. Der Sieg war hochverdient.
Michael Esser weiß, wie es ist, den Tag überwiegend auf den Knien zu verbringen und richtig hart zu malochen. Bevor der Mann aus Castrop-Rauxel eine Karriere als Torwart in der Unterhaltungsindustrie Profifußball begann, absolvierte er eine Ausbildung zum Klempner. Harte Arbeitstage waren in dieser Zeit Alltag für "Bruno", wie der 32-Jährige gerufen wird. In seinem heutigen Job geht es zuweilen etwas gemächlicher zu. Im Niedersachsen-Derby gegen Eintracht Braunschweig beispielsweise wurde der Schlussmann von Hannover 96 - etwas überspitzt ausgedrückt - 45 Minuten lang fürs Nichtstun bezahlt.
Nicht einmal musste Esser vor der Halbzeit eingreifen. Der einzige Schuss, den die Gäste vor der Pause abgaben, flog neben den Kasten. Hannovers Torsteher hätte zwischenzeitlich wohl auch eine Runde um den Maschsee drehen können, seine Abstinenz wäre vermutlich gar nicht aufgefallen.
Weydandt: "Grandiose Mannschaftsleistung"
"Es freut mich echt, dass wir heute ein super Spiel gemacht haben. Ich glaube, es gab keine Ausfälle, keinen, den wir irgendwie durchschleppen mussten. Und deswegen war das einfach eine grandiose Mannschaftsleistung", sagte 96-Torschütze Hendrik Weydandt im NDR 2 Interview zum überlegenen Auftritt seines Teams.
Hannover im Abschnitt eins tonangebend
Das Geschehen im "größtmöglichen Spiel in unserer Region" (Weydandt) spielte sich in Durchgang eins fast ausschließlich in der Braunschweiger Hälfte ab. Die "Roten" hatten deutlich mehr Ballbesitz und rannten nahezu unentwegt an. Die Ausbeute ihres enormen Aufwands war allerdings sehr übersichtlich. Ein Freistoß von Kapitän Dominik Kaiser aus halblinker Position, der an Freund und Feind vorbeiflog und an die Latte prallte (2.), war die beste Möglichkeit der Hausherren. Der Rest waren einige Halbchancen sowie mit fortlaufender Spieldauer viel, viel Leerlauf.
Kobylanski schockt 96
Braunschweig hatte seinen Erzrivalen erfolgreich eingelullt, wie sich kurz nach dem Seitenwechsel zeigte. Denn nach einem langen Ball wurde Robin Ziegele von Kevin Schindler nur halbherzig angegangen, der Linksverteidiger legte zurück auf Martin Kobylanski, der den bis dahin beschäftigungslosen Esser mit einem Linksschuss ins rechte obere Eck bezwang (51.). Die Eintracht hatte den Spielverlauf durch das Traumtor ihres Kapitäns auf den Kopf gestellt. "Wir gehen 1:0 in Führung und fallen dann auseinander. Für das Traumtor kann ich mir nichts kaufen. Mir und allen fehlen die Worte, es ist einfach bitter", erklärte Kobylanski im NDR 2 Interview.
Maina jubelt, Ducksch verzweifelt
Die Freude über die Führung währte beim Aufsteiger nur 180 Sekunden, dann konnte Linton Maina nach feinem Solo des auffälligen Genki Haraguchi egalisieren. BTSV-Keeper Felix Dornebusch war gegen den Linksschuss des 21-Jährigen machtlos. Dafür zeigte der Sommer-Zugang anschließend gleich dreimal gegen Marvin Ducksch (56., 59., 67.), dass er sein Handwerk vorzüglich versteht. Dornebusch hielt, was es zu halten gab. Und sogar ein wenig mehr. Aber eben nicht alles. Irgendwann konnte der 26-Jährige die Unachtsamkeiten seiner Vorderleute nicht mehr ausbügeln.
Hannover in Schlussphase wie im Rausch
Zunächst wurde der Torwart von Weydandt mit einer Direktabnahme bezwungen (71.), dann war er gegen den präzisen Abschluss von Niklas Hult machtlos (74.). Als Haraguchi gar noch zum 4:1 traf (86.), war der Schlussmann endgültig bedient. Dornebusch-Gegenüber Esser hatte derweil nun wieder so viel zu tun wie vor dem Seitenwechsel: fast nichts. Möglicherweise werden die Torsteher sich in den Tagen nach dem Derby noch einmal intensiv austauschen. Schließlich spielten beide viele Jahre gemeinsam für den VfL Bochum.
96-Fans feiern - Auch Polizei vor Stadion
Im Anschluss feierten mehrere hundert 96-Fans vor dem Stadion den Sieg ihrer Mannschaft. Die Polizei marschierte in großer Stärke am Stadionzaun auf und forderte die Anhänger per Megafon dazu auf, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, die Abstandsregeln der Corona-Zeit einzuhalten und das Abbrennen von Pyrotechnik zu unterlassen. Die Fan-Versammlung löste sich aber erst auf, nachdem auch die Spieler von Hannover 96 zum Zaun gekommen und kurz mit den Anhängern gefeiert hatten. 9.800 Besucher waren in der Arena zugelassen, doch die Zahl wurde nicht erreicht. Weil keine Gästefans zugelassen waren und auch der harte Kern der 96-Anhänger erst nach dem Spiel zum Stadion kam, lag die Zuschauerzahl bei 7.300.