Jubel bei den Fußballerinnen des HSV © Witters Foto: Tay Duc Lam

HSV-Frauen: Ein "dunkler Schatten" über einem fast perfekten Jahr

Stand: 25.12.2022 10:09 Uhr

Die Fußballerinnen des HSV haben im gesamten Jahr 2022 nur ein Liga-Spiel verloren. Allerdings war es das wichtigste. Nach dem Frust in der Relegation zur Zweiten Liga sind die Hamburgerinnen nun auf dem besten Weg zur erneuten Regionalliga-Meisterschaft.

von Florian Neuhauss

13 Spiele, 13 Siege und ein Torverhältnis von 44:4 - die Regionalliga-Saison 2022/2023 könnte für das Team von Trainer Lewe Timm kaum besser laufen. Überhaupt: Seit dem Corona-Lockdown 2020 haben die HSV-Frauen kein Regionalliga-Spiel mehr verloren. Es könnte alles so schön sein, wären da nicht das Ärgernis Relegation und das verlorene Rückspiel um den Zweitliga-Aufstieg bei Turbine Potsdam II im vergangenen Juni. Nach dem 1:0 im Hinspiel kassierte der Hamburger SV auswärts ein 0:4.

Für Timm steht deshalb klar im Vordergrund: "Wir wollen den dunklen Schatten dieses einen Spiels vertreiben." Durch den verpassten Aufstieg seien einige Prozesse ausgebremst worden. In den meisten Spielen wird sein Team in der Regionalliga nicht richtig gefordert. Und trotzdem haben die Frauen anscheinend einen großen Schritt nach vorn gemacht.

Neuer Spielstil soll zum Aufstieg führen

Am Ende der vergangenen Saison standen im Schnitt 4,23:0,65 Tore pro Spiel. Aktuell gelingen den Hanseatinnen 3,38 und damit weniger Treffer, bei 0,31 wurde der ohnehin schon niedrige Gegentorschnitt aber noch einmal halbiert. Der Hurra-Fußball einer ungemein talentierten, jungen Mannschaft scheint der Abgezocktheit eines Spitzenteams gewichen zu sein. "Wir haben unseren Spielstil weiterentwickelt. Wir brauchen nicht Ballbesitz um jeden Preis - und wir fühlen uns dabei gut und sicher", erklärt Timm.

Im Rückspiel gegen Potsdam waren einige widrige Umstände zusammengekommen: ein individueller Fehler, der sofort zum 0:1 führte, tropische Temperaturen und Verletzungspech. Dem Team schien aber auch ein Plan B zu fehlen, nachdem Plan A zum ersten Mal in der Saison nicht zum Erfolg geführt hatte.

Enttäuschung weicht "Jetzt erst recht"-Mentalität

"Das Ganze wirklich zu verarbeiten, hat bei uns Spielerinnen unterschiedlich lange gedauert", berichtet Außenverteidigerin Sarah Stöckmann. "Aber für uns als Team war schon sehr schnell klar: Jetzt erst recht." Für sie selbst sei die Niederlage in Potsdam "extrem frustrierend" gewesen. Weil kurz zuvor auch schon die Männer in der Bundesliga-Relegation gescheitert waren, setzt sie nun auf den Doppelerfolg für den Club: "Das wäre natürlich das Optimum."

"Es wäre das Optimum, wenn wir zusammen mit den HSV-Männern aufsteigen." HSV-Kapitänin Sarah Stöckmann

Die 29-Jährige aus der Nähe von Buxtehude, die Vollzeit als Erzieherin arbeitet, spielt bereits seit 2019 bei den HSV-Frauen und hatte seinerzeit bereits zugesagt, als noch gar nicht klar war, ob der Club die Rückkehr in die Regionalliga schaffen würde. Vor dieser Saison ist sie nun zur Kapitänin ernannt worden. Ihr Trainer spricht von einer "logischen Weiterentwicklung" und erklärt: "Stöcki ist halt Stöcki - die geht immer voran."

Neuzugänge Brüggemann und Dönges schlagen ein

Es ist eine von mehreren Feinjustierungen, die im Verein seit dem Sommer stattgefunden haben. Dazu gehören auch eine geschickte Belastungssteuerung gerade für die jungen Nationalspielerinnen und punktuelle Verstärkungen des Kaders. Unter den Neuzugängen ragen besonders die Bundesliga-erfahrene Nina Brüggemann und Jaqueline Dönges heraus, die die Defensive verstärkt haben.

"Wir spielen jetzt viel reifer, kassieren weniger Gegentore - und haben eine extreme Siegermentalität entwickelt", freut sich Stöckmann. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr das Spiel beim TSV Barmke: "Da hatten wir wegen der DFB-Abstellungen und Verletzungen nur elf Spielerinnen von den 1. Frauen im Kader - und haben das Spiel trotzdem mit 2:1 für uns entschieden."

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Mit dem 1:0 glänzte Victoria Schulz. Die Kapitänin der Vorsaison hatte die Relegationsspiele gegen Potsdam verletzt verpasst. "Vicky kann sich ohne die Binde am Arm aufs Wesentliche konzentrieren - und soll vor allem gesund bleiben. Sie ist jetzt unsere Top-Torschützin und wird von ihrer Art her auf dem Platz sowieso immer eine Anführerin sein", betont Trainer Timm.

Niederlage im Pokal als "Weckruf zur rechten Zeit"

Ganz ohne Niederlage ist aber auch die bisherige Spielzeit nicht geblieben. In der ersten Runde des DFB-Pokals - für die HSV-Frauen war es das erste Pflichtspiel nach der Pleite in Potsdam - verloren sie überraschend bei Liga-Konkurrent ATS Buntentor in Bremen 0:2 im Elfmeterschießen.

"Vielleicht war das so kurz vor der Saison für uns der Weckruf zur rechten Zeit", blickt die Stöckmann zurück. Sie hat ihren Vertrag kürzlich bis 2025 verlängert. "Uns muss klar sein, dass wir immer an unsere Grenzen gehen müssen." Nur acht Tage später kam es am ersten Liga-Spieltag in Hamburg zum Wiedersehen mit Buntentor - und die HSV-Frauen siegten 5:0.

Hamburger SV - Viktoria Berlin in der Relegation?

Zur Winterpause ist die Mannschaft auf dem besten Weg zur erneuten Regionalliga-Meisterschaft. Der SV Henstedt-Ulzburg, Zweitliga-Absteiger und der größte Konkurrent der Hamburgerinnen, hat schon ein Spiel mehr absolviert, liegt aber bereits fünf Punkte zurück. Das direkte Duell gewann der HSV auswärts mit 2:0. Am Ende wartet auf den Meister allerdings wieder das Relegationsduell mit dem Ersten der Nordoststaffel.

"Viktoria Berlin hat ein tolles Projekt - von Frauen für Frauen. Der Verein ist total im Aufwind." HSV-Trainer Lewe Timm

"Ich gucke natürlich darauf, was da passiert - sonst würde ich meinen Job nicht richtig machen", sagt Timm. "Ich gehe davon aus, dass Viktoria Berlin den Titel holt und dass wir dann gegeneinander spielen werden." Viktoria habe "ein tolles Projekt - von Frauen, für Frauen", der Verein sei total im Aufwind. Der 46-Jährige gönnt dem Club, zu dem er private Verbindungen hat, den Aufstieg - allerdings im Jahr 2024. "Egal, wer aus dieser möglichen Relegation als Verlierer rausgeht - beides ist schlecht für den Frauenfußball."

Support der HSV-Fans "wirklich außergewöhnlich"

Vom Boom, der Deutschland seit der EM im Sommer erfasst hat, ist in der Regionalliga nichts zu spüren. Bei den kleineren Vereinen schauen nach wie vor meist nur die Familien der Spielerinnen zu. Die HSV-Fans haben ihre Frauen aber nicht vergessen. In der vergangenen Saison hatten sie das Pokalfinale und die beiden Relegationsspiele für die Spielerinnen zu unvergesslichen Erlebnissen gemacht. Nun kamen rund 500 Club-Anhänger im Rahmen des "kreativen Katar-Boykotts" zum Top-Spiel gegen Hannover (2:1 nach Rückstand). "Ein absolutes Highlight", sagt Timm, und Stöckmann fügt hinzu: "Dass so viele Fans extra für uns kommen, eine eigene Choreo auf die Beine stellen und uns 90 Minuten unterstützen, ist wirklich außergewöhnlich."

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HSV-Trainer: "Wir wollen unbedingt aufsteigen"

Besonders bitter für den HSV ist, dass die Potsdamerinnen überhaupt nichts von ihrem Aufstieg haben. Viele Spielerinnen sind ohnehin mittlerweile feste Mitglieder des Bundesliga-Kaders. Aber sowohl die erste Mannschaft als auch die zweite überwintern als Tabellenletzte. Timm und Stöckmann hadern allerdings nicht, sondern schauen nur traurig auf den am Boden liegenden Traditionsverein, dessen Trophäen-Schrank prall gefüllt ist.

Ob Potsdams erste Mannschaft absteigt, interessiert die HSV-Frauen nur am Rande. Sie haben die Zweite Liga fest im Blick. "Wir sind deutlich stärker als in der letzten Saison", ist Timm überzeugt. Die "Pflicht" aufzusteigen, sieht der Cheftrainer zwar nicht. Schließlich könne in dem Relegationssystem viel passieren. "Aber wir haben das ganz klare Ziel, Meister zu werden. Und natürlich wollen wir in dieser Saison unbedingt aufsteigen."

Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 13.12.2022 | 10:17 Uhr

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