Spielszene aus der Kreisklasse-Partie zwischen dem Moorburger TSV (weiße Trikots) und SV Barmbek II © Hanno Bode Foto: Hanno Bode

Aus Liebe zum Spiel: Moorburgs unerschütterliche Fußball-Helden

Stand: 24.01.2023 09:44 Uhr

Die Fußballer des Moorburger TSV zieren mit null Punkten und 161 Gegentreffern in 15 Partien abgeschlagen das Tabellenende in Hamburgs unterster Spielklasse, der Kreisklasse B4. Damit ist der MTSV statistisch gesehen die erfolgloseste Herren-Mannschaft Norddeutschlands. Ein Besuch bei Kickern, die trotzdem den Spaß am Spiel nicht verlieren.

von Hanno Bode

Es liegt an diesem kalten Sonntagnachmittag auf der Sportanlage am Jägerhof in Neugraben-Fischbek eine Sensation in der Luft. Nach rund einer halben Stunde im Duell Moorburgs mit dem SV Barmbek II sind noch immer keine Tore gefallen. In beinahe allen anderen vorausgegangenen Partien hatte das punktlose Schlusslicht zu diesem Zeitpunkt bereits hoffnungslos zurückgelegen.

An diesem Tag aber wächst Keeper Steven Timmermann vor 15 nicht zahlenden Zuschauern - eine Kassiererin oder einen Kassierer gibt es nicht - über sich hinaus. Der Torsteher mit den gefühlt Tausend Armen sowie das Aluminium halten die Elf von Coach Andreas Felder im Spiel. Der Gast, der das Hinrunden-Duell mit 15:0 gewonnen hatte, wird langsam nervös. "Mehr Bewegung", fordert Trainer Grant Sharka.

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Symbolbild Moorburger TSV © Hanno Bode Foto: Hanno Bode

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Nur sechs eigene Treffer in 15 Partien

Kurz darauf erlöst Yannis Niels die Barmbeker mit dem Führungstreffer (37.) und erhöht bald darauf auch zum 2:0-Pausenstand (43.). Damit ist die Messe für Moorburg eigentlich bereits gelesen. Denn mit dem Toreschießen ist es bei den Kickern aus dem rund 700 Einwohner zählenden Stadtteil von Harburg auch so eine Sache. Gerade einmal sechs Treffer schlagen für sie bis dato zu Buche.

Die Köpfe lassen die Spieler nach dem ersten Abschnitt dennoch nicht hängen. "Die zweite Halbzeit ist unsere!", schreit Kapitän und Abwehrchef Marcel Hoppe vor dem Gang in die Kabine über den Kunstrasenplatz des Nachbarclubs FTSV Altenwerder.

Umzug nach Fischbek wegen Maulwürfen in Moorburg

Hierhin muss der MTSV momentan ausweichen. Die eigene Heimspielstätte am Moorburger Elbdeich, ein Naturrasenplatz, ist derzeit nicht bespielbar. Ins "Wohnzimmer" des Dorfvereins sind ungebeten Gäste eingezogen. Maulwürfe haben das Geläuf in eine Hügellandschaft verwandelt. "Der Platz sieht wirklich sehr, sehr schlecht aus", berichtet Felder.

Der Heimvorteil ist für seine Mannschaft also dahin, wobei der Coach den Umzug auf die schmucke Anlage von Altenwerder nicht als Nachteil ansieht: "Wir spielen ja ohnehin fast jede Woche auf einem anderen Belag - mal auf Hartplatz, dann auf Naturrasen oder auf Kunstrasen", erklärt der Mann mit der hohen Stirn, über die er an diesem Tag eine Mütze gezogen hat.

Liga-Team im Sommer erst gegründet

Felder zeichnet seit dieser Saison für das Team verantwortlich. So lange also, wie es die Mannschaft überhaupt gibt. Denn in der Vorsaison hatte der Club, der einst in der Bezirksliga um Punkte kämpfte, kein Liga-Team gemeldet. Sehr zum Leidwesen von Vereinschef Peter Renck, der diesen Zustand unbedingt ändern wollte.

"Unser Präsident wollte wieder eine erste Herren-Mannschaft haben. Und dann haben wir einen Aufruf im Internet gemacht. Es haben sich daraufhin 20 Leute gemeldet und wir haben uns zusammengesetzt. Irgendeiner hat dann gefragt: 'Wann fängt denn die Saison an'? Drei Wochen später fing die Saison an - und dann haben wir gemeldet", erklärt Felder.

Sechs zweistellige Pleiten in 15 Partien

Spielszene aus der Kreisklasse-Partie zwischen dem Moorburger TSV (weiße Trikots) und SV Barmbek II © Hanno Bode Foto: Hanno Bode
Moorburg um Kapitän Marcel Hoope (3.v.l.) ist in seinen Spielen hauptsächlich mit dem Verteidigen beschäftigt.

Mit dem bunt zusammengewürfelten Team und ohne richtige Vorbereitung starteten die Harburger in die Spielzeit. Dass die Trauben am Elbdeich in Anbetracht dieser Vorzeichen sehr hoch hängen, war allen Beteiligten bewusst. Was den Moorburgern dann aber im bisherigen Saisonverlief widerfuhr, ist beinahe schon Schmerzensgeld-pflichtig.

Klatsche um Klatsche kassierte der Liga-Novize. Sechsmal verloren die Harburger sogar zweistellig. Die bis dato höchste Pleite gab es gegen die Fünft-Vertretung von Eintracht Lokstedt. 0:22 stand es dort nach 90 recht einseitigen Minuten.

Moorburg schielt auf Fairness-Preis

Viele andere Mannschaften hätten sich in Anbetracht dieser Vorführungen wahrscheinlich längst vom Spielbetrieb zurückgezogen. Nicht so die tapferen Kicker vom Moorburger TSV. "Wir lachen trotz des Torverhältnisses. Bei uns ist es entspannt und alles passiert auf Augenhöhe. Und vor allem sind wir sympathisch - das muss man ja mal ganz klar sagen", erklärt Yvonne Petrich, 2. Vorsitzende des MTSV.

"Bei uns ist es entspannt und alles passiert auf Augenhöhe. Und vor allem sind wir sympathisch." Yvonne Petrich, 2. Vorsitzende des Moorburger TSV

Ihre Ziele für die restliche Saison: "Unverletzt vom Platz gehen und Spaß am Spiel haben. Und natürlich Fairness an erster Stelle. Mein Ziel ist es, den Fairness-Preis zu gewinnen. Bei so vielen Gegentoren ist es das Mindeste, was wir rausholen können, um die Jungs noch mal zu puschen." Der Hamburger Fußball-Verband ehrt nach jeder Spielzeit das jeweils fairste Team einer Liga mit einem Geldpreis.

Respektvoller Umgang auf und neben dem Platz

Petrich hat ein paar Minuten der Partie ihrer Mannschaft gegen Barmbek verpasst. "Ich war feiern", sagt die Frau mit den pinken Haaren lachend und begrüßt daraufhin Trainer Felder an der Auswechselbank mit einer herzlichen Umarmung. Eine Geste, die davon zeugt, dass der Dorfclub eine große Familie ist. Auch auf dem Spielfeld gehen die MTSV-Kicker sehr respektvoll mit sich und ihren Gegnern um.

Erst acht Gelbe Karten schlagen für das Schlusslicht zu Buche. Der MTSV steht in der Fairness-Tabelle der Staffel vier auf Rang eins. Spötter könnten nun meinen, dass dieser Umstand auch dem geschuldet ist, dass die Moorburger schlichtweg immer einen Schritt zu spät kommen. Doch dem ist nicht so.

Vorständin Petrich: "Wir werden einen Sieg holen"

Gegen Barmbek kann die Felder-Mannschaft die meisten Angriffe des Gegners sogar rechtzeitig unterbinden. Eigene Chancen haben die Gastgeber zwar nicht. Dennoch ist sich Vorständin Petrich trotz 0:2-Rückstands zur Halbzeit sicher: "Wir werden noch einen Sieg holen. Vielleicht ja sogar heute. Es sieht gut aus." Um der Hoffnung auf das Premieren-Pünktchen zusätzliche Nahrung zu geben, schickt Coach Felder kurz nach dem Wiederanpfiff Maik Schadt zum Aufwärmen.

"Jetzt schon", seufzt der Mann mit der Rückennummer 24. "Eigentlich will mich der Trainer immer von Anfang an bringen. Aber meine beiden Knie sind kaputt", erklärt der Mittelfeldmann. Kurz darauf steht er auf dem Plastikgrün.

Ein Eckball und drei Torschüsse als Hoffnungsschimmer

Angreifer Patrick Stritzki vom Hamburger Fußball-Kreisklasse-Club Moorburger TSV © Hanno Bode Foto: Hanno Bode
Häufig allein auf weiter Flur: MTSV-Stürmer Patrick Stritzki.

Dort nehmen die Dinge für das Tabellenschlusslicht inzwischen ihren gewohnten Lauf. Barmbek zieht bis zur 74. Minute auf 7:0 davon. Mitgezählt hat die Gegentore auf der Moorburger Bank niemand. "Liegen wir 5:0 oder 6:0 zurück?" fragt ein Spieler. Die Entourage bleibt eine Auskunft schuldig. Felder beschleicht allerdings das ungute Gefühl, dass sein Team bereits mehr als sechs Treffer kassiert hat: "Wir hatten ja schon zur Pause zwei bekommen".

Kurz darauf gibt es Eckstoß für die Gastgeber. Den ersten und einzigen im ganzen Spiel. Nach schon absolvierten 80 Minuten. Eine Nichtigkeit? Nicht für den MTSV, der in seinen Spielen nur selten über die Mittellinie kommt. "Jetzt haben wir drei Torschüsse und eine Ecke", hat Felder mitgezählt. "Es geht aufwärts", ergänzt der Coach witzelnd.

Ein Gefängnis-Besuch als Erlebnis-Ausflug

Felder versucht, aus der misslichen Situation das Positive zu ziehen und optimistisch in die Zukunft zu blicken. "Wir wissen, dass wir nicht gut sind. Aber wir wissen auch, dass wir spielen müssen, um besser zu werden", sagt er: "Wir zählen nicht die Gegentore. Wir gehen da raus, haben Spaß und dann werden wir automatisch besser." Und so ganz ohne Höhepunkte war die bisherige Spielzeit für den Trainer und sein Team ja auch nicht.

"Wir wissen, dass wir nicht gut sind. Aber wir wissen auch, dass wir spielen müssen, um besser zu werden." Andreas Felder, Trainer des Moorburger TSV

Bei der achten Mannschaft des SC Victoria, dem Team des bekannten Livestreamers Trymacs, verloren die Moorburger vor 900 Zuschauern im Stadion Hoheluft lediglich mit 1:3. Und am vorvergangenen Spieltag ging es dann gemeinsam ins Gefängnis. "Das war echt ein interessantes Erlebnis", sagt Felder über die Partie bei Spitzenreiter Eintracht Fuhlsbüttel. Das Duell mit den "schweren Jungs" aus der Justizvollzugsanstalt - im Volksmund besser bekannt unter dem Namen "Santa Fu" - ging mit 1:18 verloren.

"Einige von denen konnten richtig gut kicken", berichtet Felder. Nur mit der Schiedsrichter-Ansetzung war er nicht einverstanden: "Die hatten einen 15-Jährigen in den Knast geschickt. Der war verständlicherweise etwas gehemmt in seinen Entscheidungen."

Zu Saisonbeginn oft nur zu neunt auf dem Platz

Am drittletzten Spieltag werden die Moorburger erneut hinter Gefängnismauern antreten. Dann kommt es zum Rückrunden-Duell mit der Anstalts-Auswahl, die aus nachvollziehbaren Gründen nur Heimspiele hat. Bis dahin soll aber der eine oder andere Punkt schon auf dem Konto des MTSV sein.

Mittelfeldspieler Schadt ist diesbezüglich jedenfalls zuversichtlich. "Wir haben einen Riesenschritt gemacht vom ersten Spiel bis hierhin. Am Anfang sind wir nur mit neun oder zehn Mann angetreten und hatten nach zehn Minuten keine Luft mehr. Jetzt halten einige Leute 90 Minuten durch. Das ist einfach das Beste", sagt er stolz.

"Der Teamspirit passt einfach"

Und auch wenn sich die positive Entwicklung der vergangenen Monate nicht wie erhofft im Gewinn einiger Zähler widerspiegeln sollte, wird das dem Zusammenhalt bei den Moorburgern wohl keinen Abbruch tun. "Der Teamspirit passt einfach. Hier ist keiner zu dick, keiner zu dünn. Jeder wird aufgenommen. Es gibt keinen Ärger, wenn man mal schlecht spielt. Und das zeichnet die Mannschaft einfach aus", sagt Schadt.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 29.01.2023 | 22:50 Uhr

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