Als "Qualle" auf Mission: TikTok-Star wirbt für Schiedsrichterei
Die Zahl der Unparteiischen im Amateurfußball ist binnen zehn Jahren von fast 80.000 auf rund 45.000 gesunken. Viele potenzielle Schiedsrichter sind abgeschreckt von Berichten über Pöbeleien, Drohungen oder gar tätlichen Angriffen auf die Spielleiter. Pascal Martin hat es sich zur Aufgabe gemacht, für die Schiedsrichterei zu werben. Dafür nutzt der 21-Jährige seine Popularität als TikTok-Star.
Eine knapp dreistündige Autofahrt liegt an diesem Sonntagmorgen hinter Martin, als er gemeinsam mit seinem Stiefvater und einem Freund an der CU-Arena in Neugraben-Fischbek eintrifft. Sie sind aus ihrem Wohnort im westfälischen Lage zu der im Hamburger Bezirk Harburg gelegenen Mehrzweckhalle gereist. "Wir müssen dringend aufs Klo", sagt der Influencer lachend zu den Verantwortlichen des FC Süderelbe, die ihn bereits am Eingang erwarten.
Der Club hat zum Hallenmasters für U13-Mannschaften eingeladen - und als Stargast "Qualle" verpflichtet. Unter diesem Pseudonym kennen Martin seine mehr als 600.000 Follower auf dem Videoportal TikTok besser. Diesen Spitznamen hat er in seiner Schulzeit im Französischunterricht verpasst bekommen. Seinerzeit wagte er noch nicht davon zu träumen, einmal eine Internet-Berühmtheit zu sein. Heute werden seine Videos millionenfach abgerufen.
Keine Starallüren trotz großer Popularität
Starallüren zeigt Martin trotz seiner Popularität nicht. Ganz im Gegenteil: Als er sieht, dass ihm die Turnierveranstalter Schokoriegel, Bananen, Getränke und sogar Duschgel auf die Bank in der Umkleidekabine gelegt haben, beginnen seine Augen zu leuchten. "Krass", entfährt es dem 21-Jährigen, der sich dann sogleich daran erinnert, wie es vor seinen Zeiten als Influencer war: "Erst seitdem ich TikTok mache, ist es so. Davor habe ich nie etwas bekommen. Das hier ist echt schon Luxus. Es gab Vereine, bei denen es nicht einmal eine vernünftige Dusche gegeben hat. Da bin ich in den Abstellraum geschickt worden."
Platzsturm nach C-Jugendspiel in Berne
Inzwischen wird Martin von den Clubs, die ihn als Schiedsrichter buchen, hofiert. Wenn sie ihn im Vorfeld ihrer Spiele oder Turniere ankündigen, sind großes Publikumsinteresse und damit verhältnismäßig hohe Einnahmen garantiert. Vor einigen Wochen hat der 21-Jährige eine C-Jugendpartie des Hamburger Vereins TuS Berne geleitet. Hunderte von zumeist jungen Zuschauer schauten zu. Nach dem Abpfiff stürmten sie den Platz, um ein Foto mit dem Unparteiischen zu ergattern.
"Rent a Referee" als Geschäftsmodell
Martin hat seine Schiedsrichterei zum Geschäftsmodell gemacht. Das heißt zwar nicht offiziell "Rent a Referee", ist aber genau das. Clubs können ihn gegen Bezahlung buchen. Zudem hält er Vorträge an Schulen und anderen Institutionen und ist als Experte für verschiedene Medien tätig. "Und das alles wegen TikTok. Ich sage immer zu mir selbst: 'Krass, was du geschafft hast."
Mit Videoschnipseln über seinen Alltag als Schiedsrichter sowie seine Ansichten zum Fußballgeschehen ist der 21-Jährige berühmt geworden. Dass die Clips auf seinen Social-Media-Kanälen keine Hochglanzprodukte sind und er selbst nicht wie ein Star, sondern ein junger Mann von nebenan rüberkommt, ist auch ein Grund für seine Beliebtheit.
"Er ist der netteste 'Schiri', den ich kenne. Außerdem ist er ja auch witzig", erklärt ein Spieler von Union Tornesch, der gleich mit seinem Team auf die Platte muss. "Ich hoffe, Qualle pfeift heute noch ein Spiel von uns", sagt einer seiner Teamkameraden.
"Qualle" wirbt für mehr Respekt für Schiedsrichter
Währenddessen läuft sich Martin in einem Bereich der Halle warm. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem vorne "Gewalt ist keine Lösung" und hinten "Respekt für Schiedsrichter. Zusammen ans Ziel" steht. "Das ist meine Message", erklärt der Unparteiische, der seit Kurzem für den C-Ligisten Westfalia Dortmund seine Spiele pfeift. Begonnen hatt er die Schiedsrichterei bei seinem Heimatclub TuS Kachtenhausen. "Ich wollte eigentlich nie 'Schiri' werden. Dann habe ich es einfach mal ausprobiert und dann sofort gemerkt, wie geil das eigentlich ist", erzählt der Influencer.
Internet-Star wurde als Jugendlicher auf Spielfeld bedroht
Beinahe jedoch hätte er Pfeife sowie Gelbe und Rote Karte für immer zur Seite gelegt. Denn im Alter von 15 Jahren wurde Martin bei einem B-Jugendspiel bedroht. Er musste Angst um seine Gesundheit haben. "Ich habe einen Spieler nach einer Beleidigung vom Platz gestellt. Er hat mir dann mit den Worten gedroht: "Nach dem Spiel wirst du was erleben", sagt Martin: "Das war ein sehr schlimmer Moment für mich."
Ein paar Wochen lang setzte er nach diesem Vorfall aus. Dann sagte Martin sich "Jetzt erst recht" und leitete wieder Spiele. Später entdeckte er TikTok als Plattform, um seinen Kampf für Fairplay und Respekt gegenüber Schiedsrichtern auf einer großen Bühne zu führen. Er sorgte dafür dass die Schiedsrichterei gerade für die junge Generation wieder ein besseres Image bekam, wie der 21-Jährige stolz berichtet.
"Es ist krass, dass Leute nun wegen mir Schiedsrichter werden. Das ist ja das, was ich erreichen wollte. Ich will nicht im Mittelpunkt stehen und einen auf Star machen, sondern eine Message rüberbringen."
Viel Missgunst bei Schiedsrichter-Kollegen
Dass Martin sich via Social Media vermarktet und als Referee nun ein Star ist, obwohl er nur Jugendspiele pfeift, stößt nicht überall auf Gegenliebe. Erfolg schafft bekanntlich Neider. Oder wie es im Influencer-Jargon heißt: "Hater". Immer wieder schreiben User böse Kommentare unter seine Videos. "60 Prozent der Hater, die jeder Influencer hat, sind bei mir 'Schiri'-Kollegen aus anderen Kreisen. Das sind wahrscheinlich Leute, die dieses Internet noch nicht so gut kennen oder es mir einfach nicht gönnen. Aber mir ist das mittlerweile egal", sagt der 21-Jährige.
"Ich schlafe meist nur fünf Stunden"
Beim Turnier des FC Süderelbe bekommt der TikTok-Star keine Missgunst zu spüren. Unzählige Spieler wollen ein Foto mit ihm machen. Martin erfüllt geduldig alle Wünsche. Die Ordner, die ihm der Verein zur Seite gestellt hat, müssen nicht eingreifen. Zwischendurch lädt der Schiedsrichter ein Video hoch, um seine Follower auf dem neuesten Stand zu halten. "Eigentlich mache ich das während der Turniere selten. Ich will ja vernünftig pfeifen", sagt er.
Nach einigen Stunden ist das Hallenmasters beendet. Martin geht samt Entourage in die Kabine, in der die Bananen und Schokoriegel auf ihn warten. Der Arbeitstag ist für ihn damit aber noch lange nicht beendet. "Ich schlafe meist nur fünf Stunden, weil ich abends immer meine Videos schneide", berichtet der 21-Jährige. Das Leben als Influencer, es hat halt auch seine Schattenseiten.