50 Jahre Trikotwerbung: Vom Hirschkopf zum Milliarden-Geschäft
Vor 50 Jahren revolutionierte Jägermeister-Chef Günter Mast mit dem Hubertus-Hirsch auf dem Trikot von Eintracht Braunschweig den Fußball. Es war der Beginn des heutigen Milliarden-Geschäfts Sportsponsoring. Aber wo geht die Reise noch hin?
Vor rund 51 Jahren hat Klaus-Dieter Seisselberg einen wichtigen Auftrag. Der Postbote ist auf dem Weg nach Lutterloh in der Südheide. Er soll Günter Mast einen Eilbrief zustellen. Im Gepäck hat "Seppl" Seisselberg, nebenbei Fachwart des Rollhockey-Vereins Post SV Celle, aber auch eine Idee.
Der Postbote ergreift die Chance und fragt den schwerreichen Likörfabrikanten, ob er "seine Rollhockey-Jungs nicht mit Trikotwerbung ausstatten könne". Und überhaupt sei Eintracht Braunschweig, der deutsche Meister von 1967, seine Lieblingsverein. "Würden Sie die eventuell auch ausstatten?"
Günter Mast, die Grillparty und der Fußball
Mast hat mit Sport wenig am Hut. Er ist Geschäftsmann durch und durch. Aber die Idee ist gut und eine Grillparty mit Wirtschaftsbossen tut ihr Übriges. Dem Jägermeisterchef fällt auf, dass es alle Gäste aus dem Garten und vor den Fernseher zieht, wo ein Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft gezeigt wird. "Da hat Günter Mast gesehen, dass sich für Fußball alle Schichten der Gesellschaft interessieren", sagt Jägermeister-Archivar Florian Eisenblätter.
Mast erkennt das Marketing-Potenzial für seine Firma und steigt bei Eintracht Braunschweig ein. Nach zähem Ringen mit dem Deutschen Fußball Bund (DFB) laufen die "Löwen" am 24. März 1973 gegen Schalke 04 als erstes Bundesligateam mit Trikotwerbung auf - statt des Löwen ziert der Hubertus-Hirsch von Jägermeister die Brust von Eintracht-Kapitän Bernd Gersdorff und seinen Teamkollegen.
"Mast war ein Macher, wie man heute sagen würde, ein Visionär. Der Fußball muss ihm eigentlich bis heute dankbar sein." Bernd Gersdorff
500.000 Mark für fünf Jahre garantierte der Wolfenbütteler Likörfabrikant den Braunschweigern damals im ersten Sponsoring-Vertrag dieser Art. 50 Jahre später soll allein der FC Bayern München für denselben Zeitraum von der Telekom 250 Millionen Euro für Werbung auf der Brust erhalten.
Krösus ist in der Bundesliga aber der VfL Wolfsburg, der dank der besonderen Konstellation mit seinem Geldgeber VW angeblich 70 Millionen Euro für Trikotwerbung kassiert. Je nach Zusammensetzung der deutschen Beletage nehmen die 18 Clubs zusammen rund 250 Millionen Euro pro Jahr in diesem Bereich ein.
Sportsponsoring mittlerweile ein Milliardengeschäft
"Er hat den Fußball als Werbeträger entdeckt", sagte der einstige Bayern-München-Macher Uli Hoeneß einmal über Mast. Mit dem Zugpferd Fußball vorneweg hat sich das Sportsponsoring allgemein rasant entwickelt. "Wir sind noch dabei, die genauen Zahlen für 2022 zu errechnen, gehen aber von voraussichtlich 4,5 Milliarden Euro für den organisierten Sport, kommerzielle Veranstaltungen und ähnliches aus", sagt Inka Müller-Schmäh, Geschäftsführerin der Vereinigung Sportsponsoring-Anbieter (VSA). "Damit ist das Sponsoring neben den TV-Geldern und dem Ticketing die größte Einnahmequelle für Verbände, Ligen und Vereine."
Von Litfaßsäulen und Trainingstrikot-Werbung
Im Fußball bleiben die Trikots der Clubs allerdings die Projektionsfläche Nummer eins - vor allem für die Fans. Sie kaufen sie in Scharen und tragen so die Sponsoren durch die ganze Welt. Verständlich, dass die Vereine hier noch mehr rausholen wollen als die Einnahmen durch Brustwerbung. Während in anderen Ligen die Profis schon an Litfaßsäulen erinnern - mit mehreren Logos auf dem Trikot und auch auf der Hose - setzt die Deutsche Fußball Liga (DFL) den Bundesligaclubs noch recht enge Grenzen. Lediglich ein zusätzlicher Ärmelsponsor ist erlaubt.
Die Marketing-Experten der Vereine, die mittlerweile Wirtschaftsunternehmen sind, werden aber nicht müde, sich andere Wege zu suchen, um Geld zu generieren. Bundesligaclubs wie Schalke 04 haben sich beispielweise Chelsea oder auch Manchester United zum Vorbild genommen und werben auf ihren Trainingstrikots für einen anderen Sponsor als am Spieltag. Chelsea soll dafür rund acht Millionen Euro pro Jahr einstreichen. Durch die eigenen medialen Club-Kanäle mit Millionen Followern weltweit generieren auch Trainingsvideos eine enorme Werbe-Reichweite.
Demnächst Virtual-Reality-Brillen oder Hologramme?
Tür und Tor für diese Entwicklung hat im Fußball ein Hirschkopf geöffnet. Aber wo geht die Reise hin? "Damals ging es darum, den Raum zu erobern. Heute vor allem darum, diesen Raum mit Innovationen und Kreativität auszufüllen und zu nutzen", sagt Müller-Schmäh. Sportsponsoring finde "dank der Digitalisierung mittlerweile auf allen Kanälen statt, ist extrem wandelbar - ich denke da etwa an die Möglichkeiten, die Virtual-Reality-Brillen oder Hologramme bieten werden."
Ob "Seppl" Seisselberg auf seiner Fahrt durch die Südheide zu Günter Mast auch schon über Virtual-Reality-Brillen oder Hologramme nachgedacht hat? Wohl kaum, aber der Postbote von damals hat seinen Anteil an der Geschichte der Trikotwerbung. "Ich habe ja nicht das Geld gegeben, sondern nur die Idee gehabt", sagt er heute.
Ob das für Eintracht Braunschweig gilt, sei dahin gestellt. Aber Seisselbergs "Rollhockey-Jungs" hat Mast tatsächlich über Jahre mit Geld unterstützt. Als Gegenleistung trugen auch sie natürlich den Hubertus-Hirsch von Jägermeister auf der Brust.