Müller über Hockey-WM: "Großartig, aber auch frustrierend"
Bei der Weltmeisterschaft in Indien stehen die deutschen Hockey-Herren im Achtelfinale. Obwohl die indische Hockeybegeisterung für das deutsche Team eine großartige Erfahrung ist, berichtet der Hamburger Mathias Müller im NDR Gespräch auch von Schattenseiten.
Müller wirkt noch etwas geplättet von der Reise. Der DHB-Tross war am Samstagnachmittag vom letzten Gruppenspiel in Rourkela zurück nach Bhubaneswar gereist, wo am Montag gegen Frankreich das erste K.o-Spiel ansteht. Zwar betrug die Flugzeit nur eine Stunde, doch das Team musste aufgrund technischer Schwierigkeiten an einem anderen Flughafen landen und zwei weitere Stunden im Bus Richtung Zielort ausharren.
Zu wenig Tore für den Gruppensieg
Unter die Müdigkeit mischt sich dann auch noch etwas Frust. "Ein kleines bisschen sind wir schon enttäuscht", sagt der 30-Jährige, der beim Hamburger Polo Club spielt. Als Zweiter der Gruppe B muss Deutschland gegen Außenseiter Frankreich ins Crossover-Spiel - eine Art Achtelfinale. Eigentlich hatte die DHB-Auswahl sich in der Gruppenphase bewährt: Gegen Japan (3:0) und Südkorea (7:2) gewannen sie deutlich, gegen den großen Rivalen, Titelverteidiger und Olympiasieger Belgien, reichte es zum 2:2. Doch Belgien erzielte mehr Tore und sicherte sich damit den direkten Viertelfinaleinzug vor den Deutschen.
"Wir haben vor Frankreich auf jeden Fall ordentlich Respekt." Hockey-Nationalspieler Mathias Müller
Indien ist für Müller kein unbekannter Ort. 2013 wurde er dort sogar schon einmal Weltmeister, gewann mit den Junioren das Finale gegen den jetzigen Achtelfinalgegner. "Die Spieler, die damals bei den Franzosen mit dabei waren, bilden wie bei uns auch, den Hauptteil der Mannschaft. Dementsprechend ist das wohl die beste französische Mannschaft, die es jemals gab", meint Müller, fügt aber hinzu: "Nichtsdestotrotz haben wir den Anspruch sie deutlich zu schlagen."
"Großartige" Kulisse vor 17.000 Zuschauern
Während in Deutschland die Hockey-Berichterstattung oftmals im Fußballtrubel untergeht, ist Hockey in Indien Volkssport. Die beiden Stadien, in denen gespielt wird, haben eine Kapazität von 17.000 und 22.000 Zuschauern. "Das Stadion in Rourkela war das größte, in dem alle von uns jemals gespielt haben", sagt Müller. Für ihn sind es vor allem die Momente vor dem Anpfiff, in denen er die Atmosphäre aufsaugt: "Das Warmspielen, bei der Hymne und die Sekunden vor dem Spiel, das behält man lange in Erinnerung."
Doch während des Spiels beeindruckt ihn die Kulisse nicht. "Sobald der Ball rollt, legt sich die Nervosität. Da spielt das für mich keine Rolle, ob da 100 oder 22.000 Zuschauer sind", sagt der Routinier, der als einer der Ruhepole in der Mannschaft gilt. Der 30-Jährige ist ein Führungsspieler, war 2016 am Bronze-Erfolg bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro beteiligt. Von hinten heraus lenkt er nicht nur das Spiel, oft kreiert er durch schnelle Umsetzung geniale Pässe bis in die Sturmreihen, die nicht selten zu Torchancen führen.
Drittes Turnier in Indien für Müller "frustrierend"
Ein richtiges Highlight ist die WM für den Bundesligaspieler allerdings nicht - eben, weil es ihn bereits zum dritten Mal nach Bhubaneswar verschlagen hat. "Die Gegebenheiten hier sind gut, es ist großartig, vor so vielen Menschen spielen zu dürfen, aber man möchte im Zuge einer Weltmeisterschaft auch mal andere Länder kennenlernen. Aus meiner Perspektive ist es schon frustrierend."
Die WM bezeichnet er als Zwischenschritt zu den Olympischen Spielen 2024. Paris ist sein großes Ziel, wahrscheinlich der Abschluss seiner Sportkarriere. Denn für die dritte WM in Indien hätte er "nicht nochmal beruflich zurückgesteckt", erzählt der Masterabsolvent, der im vergangenen Jahr als Vorstandsassistent in einem Immobilienunternehmen einstieg.
Sportkarriere oder Berufseinstieg?
Dabei stand seine Nationalmannschaftskarriere schon kurz vor dem Aus. Eine langwierige Fußverletzung hatte ihn die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio 2021 gekostet. Als dann die Kompromissbereitschaft des damaligen Bundestrainers Kais Al Saadi gegenüber dem Berufseinsteiger gering ausfiel, kam Müller ins Grübeln, ob sich der Leistungssport noch mit seinem Leben vereinbaren ließe. "Er hat da eine ganz klare Linie gefahren, Hockey steht an erster Stelle - ganz oder gar nicht. Das war mit meinen Vorstellungen von Amateursport mit Berufseinstieg nicht vereinbar."
Doch mit dem Trainer-Wechsel wenige Monate später zu André Henning wendete sich das Blatt. Der Coach, unter dem Müller in seiner Zeit in Köln gespielt hatte, holte den selbstbewussten Verteidiger zurück und gab ihm die Möglichkeit, Beruf und Leidenschaft zu kombinieren. Und Müller ist glücklich, zurück zu sein: "Ich freue mich auf die nächsten anderthalb Jahre mit der Nationalmannschaft, wir haben hier echt eine feine Truppe zusammen."
Für den Titel braucht es eine "gute Portion Glück"
Ob das für einen WM-Titel reicht? "Wir zeigen immer wieder ordentliche Ansätze und gegen die Top-Teams zeigen wir auch, dass wir mitspielen können. Allerdings mangelt es uns schon häufig an der nötigen Konstanz, die man braucht, um so ein Turnier zu gewinnen", analysiert der Spielmacher gewohnt trocken. Die Mannschaft bräuchte "eben auch eine gute Portion Glück, um Weltmeister zu werden."