Geschenk an Hamburg und Norddeutschland
Jack Bornoff, Major der britischen Armee, hatte eine Vision. Zeit und Ort - Deutschland im Nachkriegsommer 1945 – schienen dafür denkbar ungeeignet, doch Bornoff wandte den Blick unbeirrbar nach vorn, in die Zukunft. Es ging um den Aufbau neuen kulturellen Lebens, und dazu sollte in Hamburg, der wichtigsten, aber weitgehend zerstörten norddeutschen Metropole, auch ein neues Orchester gehören.
Gründungsvorbild BBC
Die britische Gewährsmacht hatte Bornoff als Music Controller für das Rundfunkwesen eingesetzt. Den hartnäckigen und musikliebenden Offizier hatte 1930 die Gründung des BBC Symphony Orchestra tief beeindruckt. Dessen Mitglieder saßen nicht nur im Studio, sie gaben auch zahlreiche öffentliche Konzerte. Sie waren in den Medien und auf der Live-Bühne präsent. Das hat Zukunft, meinte Bornoff, das wollte er für den Nordwestdeutschen Rundfunk, wie der Sender in Hamburg damals hieß, ebenfalls durchsetzen.
Major mit Weitblick
Er gehörte zu den weitblickenden Persönlichkeiten, die erkannten: Über Chancen und Zukunft eines neuen, demokratischen Deutschlands würden nicht nur der wirtschaftliche und der politische, sondern auch der geistige und kulturelle Wiederaufbau entscheiden. Dem Rundfunk und seinem Programm kam dabei wesentliche Bedeutung zu.
Gründungsjahr 1945
Schon einen Monat nach Kriegsende bereitete Bornoff die Gründung des NDR Sinfonieorchesters vor. Von Anfang an betraute er das neue Ensemble mit einer doppelten Aufgabe: Die Musiker produzierten Aufnahmen für Sendungen (denn die Archive waren leer), und sie legten die Grundsteine für ein neu entstehendes Musikleben. Als erstes spielten sie Werke von Komponisten wieder, welche die Nationalsozialisten aus dem Musikleben verdrängt hatten: Schönberg, Webern, Strawinsky, Bartók. Durch frühe Auslandsgastspiele erneuerten sie internationale Verbindungen und schufen Vertrauen in ein demokratisches, friedfertiges Deutschland.
Doppelter Kulturauftrag
Künstlerisch arbeitete das Orchester unter einer ständigen Grundspannung: den Perfektionsgeboten des Studios und den Anforderungen der Konzertsituation. Reinen Studioorchestern wird gern nachgesagt, sie spielten unbestechlich genau, aber etwas steril, die emotionalen Kontraste mische dann erst der Tonmeister ein. Für das NDR Sinfonieorchester traf das nie zu. Vor emotionaler Nivellierung bewahrten es seine kontinuierlichen Live-Erfahrungen, den reinen Konzertorchestern aber hatte es ein selbstverständliches Verhältnis zu Genauigkeit und feinster Differenzierung voraus. Damit war es schon früh auf die heutigen Herausforderungen an ein Berufsorchester eingestellt.
Im gegenwärtigen Kulturleben gehen Live-Erlebnis und Medien-Ereignis Hand in Hand: Was die Medien speichern, soll die Frische und Authentizität der Live-Situation ausstrahlen, die Live-Aufführung soll die Perfektion einer Aufnahme erreichen. Was für andere Orchester Neuland bedeutete, war für das NDR Sinfonieorchester schon immer selbstverständliche Arbeitsgrundlage.
- Teil 1: Gründungsvorbild BBC
- Teil 2: Prägung durch Gründer und Chefdirigent Hans Schmidt-Isserstedt
- Teil 3: Das NDR Sinfonieorchester heute