Moshe Atzmon: Frischer Wind am Pult
1971 trat Hans Schmidt-Isserstedt, der erste Chefdirigent des dieser Tage seinen70. Geburtstag feiernden NDR Sinfonieorchesters, aus Altersgründen zurück. Nachfolger wurde der 1931 in Budapest geborene Dirigent Moshe Atzmon, der 1944 mit seiner Familie nach Israel ausgewandert war.
Es war Liebe auf den ersten Blick, als der noch nicht 40-jährige Moshe Atzmon 1971 sein Debüt beim NDR Sinfonieorchester gab. Werke von Berlioz und Isang Yun standen am 8. März 1971 auf dem Programm, und Mozarts A-Dur-Violinkonzert mit Joseph Suk als Solisten. "Es war wichtig, dass ich das Orchester von einem so guten Dirigenten wie Hans Schmidt-Isserstedt bekommen habe", schwärmte Moshe Atzmon damals. Denn es habe "eine sehr gute Erziehung, das macht die Arbeit leichter".
Von Ungarn über Israel nach Deutschland
Leicht war das Erbe dennoch nicht für Moshe Atzmon, denn Hans Schmidt-Isserstedt war mehr als 25 Jahre Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters gewesen. Jetzt kam ein wesentlich jüngerer Musiker, allein schon deshalb "wehte" natürlich ein anderer Wind.
80 Prozent der 103 Orchestermitglieder hatten für Atzmon als neuen Chef gestimmt. Die Visitenkarte des in Israel augewachsenen Dirigenten waren mehrere Wettbewerbspreise und internationale Verpflichtungen. Er hatte unter anderem den Leonard-Bernstein-Preis gewonnen. Zudem hatte sich Atzmon sowohl als internationaler Gastdirigent als auch als Chefdirigent des Sydney Symphony Orchestras mittlerweile einen Namen gemacht.
Vorkämpfer des modernen Repertoires
"Ich liebe Mozart, aber das heißt nicht, ich würde für einen Moment auf Debussy oder Ravel verzichten, oder etwa Bartók vergessen, oder auch Messiaen, und um einen Kontrast zu nennen - Mahler zum Beispiel." Es war die große Repertoire-Breite und Offenheit, die das Orchester begeisterten.
Und auch das Publikum ließ sich von Atzmons Liebe zur Musik mitreißen. Als er zum Beispiel 1972 Krzysztof Pendereckis brandneues Werk "De natura sonoris" aufs Programm setzte und das Publikum im Saal unruhig wurde, brach Atzmon ab und begann, das Werk zu erklären. Die Musiker spielten einzelne Stellen vor, und nach dem vollständigen Stück gab es riesigen Jubel.
Weltoffen und undogmatisch
"Ich komme aus Israel, ich habe kein Problem mit dieser Sache - Wahrheit ist Wahrheit, egal wie genannt, Glaube ist Glaube, egal für welchen Gott. Hingabe besitzen wir alle", sagte Atzmon, "nur muss man das herausbringen."
Fürsprecher Mahlers
Mit Werken von Beethoven bis Lutosławski und besonders mit Musik von dem damals noch wenig gespielten Gustav Mahler setzte Moshe Atzmon neue Akzente in Hamburg. Es kamen auch namhafte Solisten wie etwa Martha Argerich oder Alfred Brendel.
Fünf Jahre, bis 1976, währte die Zusammenarbeit von Moshe Atzmon und dem NDR Sinfonieorchester. Und das ist lang, denn es war schwer, die Nachfolge des ersten Chefdirigenten Hans Schmidt-Isserstedt anzutreten: "Das Orchester war so an nur eine Person als maßgebend gewöhnt, da war es schwer, den Kurs zu ändern", resümierte Atzmon. "Da sind wir auseinandergelaufen."