Umfrage: Erdbebenhilfe mit Einschränkungen
Vor einem Monat, am 7. Februar 2023, erschütterte ein Erdbeben das türkisch-syrische Grenzgebiet, das so massiv war, dass es inzwischen mehr als 50.000 Menschenleben forderte. In einer #NDRfragt-Kurzumfrage anlässlich des NDR Thementages zum Erdbeben formulieren die Befragten Mitgefühl mit den Opfern, aber auch Sorgen: Sie befürchten mehr Einwanderung aus dem Katastrophengebiet, oder, dass drängende Probleme in Deutschland zu wenig Beachtung finden. Alle Ergebnisse der nicht repräsentativen Umfrage von #NDRfragt gibt es hier alsPDF zum Herunterladen.
Viele Spenden und Aktionen
Die Hilfsbereitschaft ist groß unter den Teilnehmenden in der #NDRfragt-Community: Etwa ein Viertel hat Geld gespendet, fünf Prozent Sachspenden abgegeben. Insgesamt, berichten Hilfsorganisationen, liege die Spendensumme diesmal deutlich höher als bei anderen Katastrophen. Einige in der #NDRfragt-Gemeinschaft haben auch selbst Spendenaktionen durchgeführt: Am Arbeitsplatz, in der Schule oder in der Gemeinde. Viele der Teilnehmenden bewegt das Schicksal der Menschen in einer Region, in der sie es ohnehin nicht leicht haben:
Mich macht besonders betroffen, dass das Erdbeben ausgerechnet Menschen trifft, die ohnehin schon an Krieg und unter Unterdrückung leiden, auch in der Türkei. Silke, 52, aus Niedersachsen
Eine Verbindung zu Menschen aus dem Erdbebengebiet hat etwa jeder zehnte Befragte. Die Geschichten der Leidenden und Verstorbenen bewegen sie zum Teil sehr:
Mich bedrückt das unendliche Leid der Opfer, die nicht mehr gerettet werden konnten. Junge Menschen, die ihre Pläne nicht mehr verwirklichen können - wie z.B. der junge Youtuber Taha Duymaz, der mit einfachen Mitteln angefangen hat zu kochen und irgendwann ein Restaurant eröffnen wollte, aber mit seiner Schwester tot aus den Trümmern geborgen wurde. Ich frage mich, ob die Verantwortlichen irgendwann zur Rechenschaft gezogen werden. Yusuf, 56, Schleswig-Holstein
Spenden: Verunsicherung durch Lage in der Region
Auch wenn die Hilfsbereitschaft groß ist - eine deutliche Mehrheit gibt an, dass ihre Spendenbereitschaft diesmal vermindert ist. Grund dafür sind Berichte, dass Hilfen nicht bei den Notleidenden in der Erdbebenregion ankommen.
Schnelle und zweckmäßige Hilfe von Politik gefordert
Von der Politik fordern viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der #NDRfragt-Umfrage schnelle und unbürokratische Hilfe. Allerdings: Zweckmäßig soll sie sein, und sicher ankommen:
Hilfe vor Ort, vor allem Hilfe zu Selbsthilfe ist notwendig. Es sollte aber auch begleitet werden, dass das Geld und die Spendengüter nicht in dubiosen Kanälen verschwinden. Belinda, 60, aus Mecklenburg-Vorpommern
Einige finden, dass Zurückhaltung angesichts der politischen Lage in den Zielländern den Menschen eher schade. Vielmehr sollten Streitigkeiten und Grenzen jetzt keine Rolle spielen - egal in welchem Land:
Die türkische Regierung und das türkische Volk sind zweierlei. Jetzt ist Solidarität mit den Menschen gefordert, die alles verloren haben. Irving, 53, aus Niedersachsen
Keine Mehrheit für vereinfachte Visa
Hilfe für die Menschen im Erdbebengebiet bedeutet dabei für die Befragten nicht unbedingt, dass Betroffene auch besonders schnell in Deutschland aufgenommen werden sollten. Ein erleichterter Zugang zu Visa findet unter den Befragten keine eindeutige Mehrheit. Für einige ginge dies am Ziel der Hilfe Vorbei:
Die Hilfe vor Ort ist wichtiger als wieder darüber nachzudenken, Betroffene bei uns aufzunehmen. Natürlich muss den Menschen geholfen werden, aber nicht in Deutschland. Ingo, 55, aus Niedersachsen
Sorge vor mehr Zuwanderung
Generell sind einige Befragte zurückhaltend, wenn es um Erdbebenhilfe durch die Bundesregierung geht. Sie finden, die Politik solle zuerst die Probleme im eigenen Land lösen. So wird etwa angemahnt, zunächst solle den Flutopfern im Ahrtal vollumfänglich geholfen werden. Auch sorgen sich Teilnehmende der Umfrage um die Leistungsfähigkeit Deutschlands:
Ich finde jede Art der Hilfe angemessen, die der Bevölkerung vor Ort hilft, ohne die deutsche Bevölkerung und das Sozialsystem noch weiter zu belasten. Wenn wir uns bei der Hilfe für andere Länder selbst wirtschaftlich zerstören, können wir keinem mehr helfen. Lissa, 31, aus Schleswig-Holstein
Eine klare Mehrheit macht sich Sorgen wegen einer stärkeren Einwanderung nach Deutschland, zu der es aus der Erdbebenregion kommen könnte.
Schadet das Beben dem türkischen Präsidenten?
Kritisch sehen die Befragten vor allem auch die Politik in den betroffenen Ländern, die sich vor allem um sich selbst kümmere, nicht aber um die Menschen:
Erdogan lebt im Palast und wir spenden für Zelte. Heidrun, 69, aus Niedersachsen
Für einige ist das Verhalten der Politik angesichts des menschlichen Leides in der Erdbebenregion kaum zu ertragen:
Mich erschüttert das Leid der Menschen. Ich staune, wie lange Menschen unter Trümmern noch lebend gerettet werden konnten. Mich ärgert politisches Geschacher vor Ort, dass Erdoğan und Assad nur an sich denken und internationale Hilfe eher behindern. Andreas,51, aus Niedersachsen
In der Türkei könnte das Beben für Präsident Erdoğan politische Auswirklungen haben, wenn Mitte Mai die vorgezogene Parlaments- und Präsidentschaftswahl stattfindet. Die Befragten der #NDRfragt-Gemeinschaft sind unentschieden, wie es für Erdoğan ausgehen könnte. Allerdings glaubt nur eine Minderheit, dass ihm das Erdbeben am Ende nutzt.
Überforderung durch zu viele Katastrophen
Es sind viele verschiedene Gefühle, die das Erdbeben bei den befragten #NDRfragt-Mitgliedern auslöst. Neben Hilfsbereitschaft, Unzufriedenheit mit der Politik oder Sorgen um die deutsche Heimat fällt noch ein weiteres auf: Überforderung angesichts einer weiteren Katastrophe - neben all denen, die ohnehin schon täglich in den Nachrichten zu sehen sind. Und doch: Viele helfen, wo sie können.
Es gibt so viel Elend, Not, Krieg und Verwüstung auf der Welt, dass ich persönlich überfordert bin, wenn ich Hilfe leisten soll. Meine kleinen finanziellen Hilfen gehen an Organisationen im Ort: Freiwillige Feuerwehr, DLRG und DRK. Karl-Heinz, 69 aus Niedersachsen
Wachsende #NDRfragt-Gemeinschaft mit 23.000 Norddeutschen
Die NDR Umfrage-Gemeinschaft #NDRfragt gibt es seit Ende Oktober 2022. Mittlerweile haben sich 23.000 Norddeutsche angemeldet. #NDRfragt ist das Meinungsbarometer für den Norden. Wer noch nicht dabei ist, aber mitmachen will, kann sich registrieren und an den Umfragen teilnehmen. Mitglied kann werden, wer in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg oder Bremen wohnt und mindestens 16 Jahre alt ist.
Stimmen aus der #NDRfragt-Community
Viele Mitglieder der #NDRfragt-Community haben in der Umfrage ihre Gedanken zum Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet aufgeschrieben. Hier eine kleine Auswahl der Stimmen, die uns erreicht haben: