Am Mikrofon: Stefan Gerdes
Wer von Jazz und Lyrik spricht, kommt an dem Dichter Peter Rühmkorf nicht vorbei. In der Geschichte der deutschen Literatur war die von Rühmkorf, dem Pianisten Michael Naura und dem Vibrafonisten Wolfgang Schlüter entwickelte Form von Jazz und Lyrik einzigartig. Daran erinnerte ein besonderer Konzertabend am 29. November 2022 im Hamburger St. Pauli Theater.
Rühmkorfs Gedichte sind rhythmisch und musikalisch elaboriert, komponiert aus Hochsprache und Alltagsslang. Sie wurden im Konzert vorgetragen von seinen Freunden Joachim Kersten und Stephan Opitz und den Rezitatoren und Rühmkorf-Kennern Bernd Rauschenbach und Jan Philipp Reemtsma. Für die Musik sorgte ein Jazz-Trio, das vom Saxofonisten Leszek Zadlo angeführt wurde, der oft mit Rühmkorf gemeinsam aufgetreten war. Pianist Boris Netsvetaev war der letzte Duopartner von Wolfgang Schlüter, und der junge Vibrafonist Hauke Renken darf getrost als ein Erbe Schlüters bezeichnet werden. Die drei Musiker schufen jenen swingenden Sound, der perfekt zu Rühmkorfs Lyrik passt.
Eine Sendung von Sarah Seidel
"I need some paaaaarty" - Schlachtruf der Fans, die in den vergangenen Jahrzehnten in die Konzerte von Maceo Parker gepilgert sind. Konzerte, die genau das waren: ausschweifende, stundenlange Partys mit funky Bläser-Riffs, knackigen Bass-Linien, Gitarren und treibenden Beats. Heiße Tanzbewegungen, eng an eng. Volle, überhitzte Konzertsäle, verbrauchte Luft, Schweiß, Verausgabung, Glückseligkeit, Kult!
Die Geschichte des Altsaxofonisten mit diesem druckvollen, prägnanten Sound beginnt im kleinen Ort Kinston im US-Bundesstaat North Carolina, wo Maceo Parker 1943 in eine musikalische Familie geboren und mit Rhythm & Blues gefüttert wurde. Eine Geschichte, die eng mit der des legendären Funk- und Soul-Sängers James Brown verknüpft ist.
Kein Text über Maceo Parker, bei dem sein ehemaliger Chef nicht zur Sprache käme. Brown war ab Mitte der 1960er Jahre auch deshalb so erfolgreich, weil er ein starkes Bläser-Team an seiner Seite hatte. Neben Maceo Parker waren auch der Saxofonist Pee Wee Ellis und der Posaunist Fred Wesley dabei. Trotz zwischenzeitlicher Zerwürfnisse fand man sich mit James Brown immer wieder zusammen.
"2 Percent Jazz, 98 Percent Funky Stuff"
Die "JB Horns" - ein Triumvirat der funky Bläser, dokumentiert auf dem Album "Roots Revisited" von 1990 und im Doku-Film "My First Name Is Maceo". 1994 wurde ein Konzert von Parker in der Fabrik in Hamburg-Ottensen abgefilmt und in der Doku gezeigt. Bei einigen Stücken mit Maceo Parker auf der Bühne war damals die P-Funk-Ikone George Clinton. Nicht nur bei ihm, sondern auch bei Bassist Bootsy Collins und Pop-Star Prince sorgte Maceo Parker für Feuer unterm Kochtopf.
Er versorgte sie alle mit perkussiven Attacken aus seinem Altsaxofon. "2 Percent Jazz, 98 Percent Funky Stuff", das war sein Leitspruch. Am 14. Februar 2023 wird Maceo Parker 80. Put your hands together!
Eine Sendung von Claudia Hartmann
In der autobiographischen Erzählung "Die Zukunft der Schönheit" von Friedrich Christian Delius aus dem Jahr 2018 gerät ein junger Deutscher aus der Provinz 1966 in einen New Yorker Jazzclub, wo der Saxofonist Albert Ayler ihm die Sinne öffnet für die unerhörteste Musik jener Zeit: Free Jazz - eine Hymne an die vitale Kraft dieser Musik. Eingehüllt in "Getröte, Gezirpe, Gehämmer, Gejaule" entsteht ein ganz eigenes Kopfkino rund um die Musik, in der revolutionäre Energie, jede Menge Wachheit aber auch Wut steckt.
Das Konzert fand am 1. Mai 1966 im Slug's Saloon in New York statt mit Albert Ayler am Tenorsaxofon, Donald Ayler an der Trompete, Michael Sampson an der Geige, Lewis Worrell am Bass und Ronald Shannon Jackson am Schlagzeug.
Eine Sendung von Marlene Küster
Saxofonist Chris Potter hat einen eigenen individuellen Ausdruck. Als Leader nimmt er seit Dezember 1992 Jazz-Platten auf und mit seinem Quartett "Underground" bietet er Improvisationsmusik mit Rock-Akzenten. Für viele angehende Jazzmusiker ist er der Held. Selbst Studenten, die kein Saxofon spielen, wollen bei ihm studieren. "Got the Keys to the Kingdom" ist sein neues Album, das live im Village Vanguard in New York aufgenommen wurde.
Eine Sendung von Sarah Seidel
Die Beatles und der Jazz - das ist seit rund sechs Dekaden ein "match made in heaven", eine glückliche Verbindung. Seit die Beatles in den 1960er Jahren ihren internationalen Siegeszug antraten, gab es Jazzmusiker, die ihre Songs für sich entdeckt und neu interpretiert haben. John Lennon und Paul McCartney haben als Songschreiber-Team musikalische Vorlagen geschaffen, denen Oscar Peterson, Ella Fitzgerald, Al Di Meola, Django Bates oder Julia Hülsmann über die Jahre neue Kleider angelegt haben.
Auch Brad Mehldau hat schon lange Beatles-Songs im Programm - ein weltweit gefeierter Piano-Virtuose, dessen Karriere Anfang der 1990er Jahre begann und der seither Alben in der Spanne von Jazz über Klassik bis Progrock eingespielt hat. Mit "Your Mother Should Know" legt er nun den Mitschnitt eines Solo-Konzerts auf einem neuen Album vor, 2020 live aufgenommen in der Philharmonie de Paris. Insgesamt elf Stücke, die fast ausschließlich von den Beatles stammen. An das Ende des Konzerts hat Brad Mehldau den David Bowie-Klassiker "Life On Mars" gesetzt, der für ihn ein Bogenschlag zu nachfolgenden Songwritern bedeutet.
Meisterhafte Interpretationen von Beatles-Songs
"Die Songs der Beatles sind von unbestreitbarer Universalität geprägt", sagt Mehldau. "Ihre Musik durchschneidet kulturelle und generationelle Grenzen, während neue Zuhörer sie immer wieder für sich entdecken. Ihre Songs haben eine Unmittelbarkeit und Integrität, die jeden anzieht". Mehldau macht mit seinem neuen Album den Gang durch unterschiedliche Atmosphären und Gefühlslagen - jeder Song wird von ihm mit einem anderen Ansatz gespielt und neu erzählt.
"I Am The Walrus" versetzt uns in eine vom Blues gefärbten Stimmung. "I Saw Her Standing There" wird bei ihm zum zupackenden Boogie Shuffle und "For No One" ein transparentes, tänzerisches Spiel mit großer Leichtigkeit und gleichzeitiger Tiefe - dargeboten mit großer Liebe zu den Melodien, die Mehldau verziert, garniert und immer respektiert. Einfach meisterhaft, wie der Pianist sich hier dem Repertoire der Beatles nähert.
Am Mikrofon: Henry Altmann
Viele haben am Kompositionswettbewerb der NDR Bigband teilgenommen, einige wurden eingeladen, aber nur wenige haben derart überzeugt wie Charlie Bates. Dessen Musik hat so gefallen, dass ihn die NDR Bigband im November 2021 für eine Produktion einlud.
"Ich liebe einfach diesen Sound!"
Mitgebracht hatte der knapp 30-jährige Brite das Programm "People, Places and Things", ein guter Mix zwischen modern und bewährt, ohne Fisimatenten, aber mit Finessen, ohne Extravaganzen, aber mit Anspruch. Das Livekonzert im Januar 2022 entfiel coronabedingt, wurde aber am 15. Juli nachgeholt und ist nun endlich zu hören.