Heide Simonis - ein persönlicher Abschied
Über Jahre hat Mechthild Mäsker, Redakteurin beim NDR Schleswig-Holstein, Heide Simonis politische Arbeit journalistisch begleitet und ihr nun einen persönlichen Nachruf gewidmet.
Um es gleich vorweg zu sagen: Ich mochte sie, diese Heide Simonis, mit ihrer Schlagfertigkeit, ihrem Humor und ihrer schillernden Persönlichkeit. Als landespolitische Journalistin war es meine Aufgabe, ihre Arbeit als Finanzministerin und Regierungschefin über viele Jahre kritisch zu begleiten und immer zu hinterfragen. Das funktioniert tatsächlich auch, wenn gegenseitiger Respekt und Wertschätzung zugrunde liegen, denke ich, und das galt seinerzeit übrigens für viele meiner Landespressekonferenz-Kollegen. Vielleicht hat uns auch verbunden, dass sie eine der wenigen Frauen in der Landespolitik und ich eine der wenigen Frauen in der Landespressekonferenz waren.
Persönliche Erinnerungen
Meine frühesten Erinnerungen an Heide Simonis sind verbunden mit dem Rednerpult im alten Plenarsaal des Landeshauses an der Kieler Förde. Dunkles Gebälk, gelbe Vorhänge gegen die Sicht auf die Kieler Förde, dicht gedrängte Sitzreihen voller Abgeordneter. Die SPD allein in der Regierung, der SSW mit dem Abgeordneten Karl-Otto Meyer stimmgewaltig vertreten, die FDP für ihre Zwischenrufe berüchtigt. Auf der Regierungsbank eine kleine zarte Gestalt. Die Finanzministerin, die dann am Rednerpult mit spitzer Zunge auf die Herren der Opposition los drosch oder ihnen mit großer Detailkenntnis den Landeshaushalt erklärte. Oder die im Hintergrundgespräch den anwesenden (fast ausschließlich männlichen) Journalisten ihre Politiklinie humorvoll erklärte.
Seinerzeit, das waren vor allem die Jahre von November 1991 bis zur Nicht-Wiederwahl im Mai 2005. Kennengelernt hatte ich Heide Simonis, nachdem ich in Schleswig-Holstein als Journalistin angefangen hatte zu arbeiten. Die Tätigkeit als Landeshaus-Korrespondentin war meine zweite Redakteursstelle. "Heide", so haben Gegner und Freunde in der Landespolitik jener Jahre sie genannt, ein "Frau Simonis" war nur in offiziellen Statements zu hören. Denn "Heide" war hemdsärmelig, schlagfertig, manchmal ganz schön rabiat im Umgang mit politischen Verbündeten wie Oppositionellen.
Nahbar und schlagfertig
Sie hatte zugleich einen selbstironischen Blick, konnte über ihre erkennbaren Schwächen lästern und wollte sich trotzdem nie verbiegen lassen. Diplomatie war nicht gerade ihre Stärke, und political correctness nicht ihr Stil. Andererseits nahm sie ihr Gegenüber immer bewusst wahr: wer sie auf der Straße, auf dem Flohmarkt, beim Kieler-Woche-Empfang oder im Supermarkt um die Ecke ansprach, erlebte sie als zugewandt und aufmerksam. Sie war nahbar für die Bürgerinnen und Bürger ihres Landes, sie war von Herzen eine "Landesmutter" und hatte auch nichts gegen diese Bezeichnung. In dieser Rolle hat sie einst die Kieler Woche-Besucher ebenso fröhlich wie legendär mit einem "Habt Spaß und macht keinen Scheiß" auf die Festmeile geschickt.
Ministerpräsidentin und Landesmutter
Zugleich war sie sich bewusst, dass sie mehr war als eine "Landesmutter", nämlich auch Vorbild und Wegbereiterin für mehr Frauen in der Politik: "Ich habe ja immer gesagt, Frauen werden nur dann was, wenn vor ihnen ein Mann aus der Kurve getragen wird. Man muss nur an der richtigen Kurve stehen."
Anders als Angela Merkel, die sich nicht in die Nähe von Emanzipation und Feminismus rücken lassen wollte, hat Simonis ihre Vorreiterrolle angenommen und oft mit Humor kommentiert. Ich erinnere mich an eine Mittagsrunde in der Landeshaus-Kantine, als sie über die langen nächtlichen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst berichtete: "Da gewinnt nur, wer die beste Blase hat, wer am längsten am Tisch aushält. Und da hatten die Jungs mit ihrer Pennälerblase eben Pech." Auch bei der jährlichen Verleihung der sogenannten "Presse-Ente" der Landespressekonferenz haben wir Journalistinnen und Journalisten über ihre Sprüche oft herzhaft gelacht.
Flotte Sprüche und flinke Zunge
Ihre "Kodderschnauze", so hat sie das selbst genannt, und die hat ihr natürlich auch viele Probleme bereitet. Etwa 15 Ministerinnen und Minister, Staatssekretärinnen und Staatssekretäre hat sie in ihrer Regierungszeit "verbraucht", wie ein Weggefährte sagte. Mit vielen ist sie in Unfrieden auseinandergegangen. Peer Steinbrück, der sie einst als Finanzminister in ihrem ersten Kabinett im Amt beerbt hatte, warf ihr später politisches "pepita"-Niveau vor, klein-klein sei das, was und wie sie Politik betreibe. Auch 2005 wurde gemutmaßt, der so genannte "Heide-Mörder" (oder Mörderin) habe mit ihr noch eine persönliche Rechnung offen gehabt. Heide Simonis hat in der Nachbetrachtung dieses denkwürdigen - und auf menschlicher Ebene sicher auch unwürdigen Tages - nur insoweit in ihre zutiefst getroffene Seele blicken lassen, als sie sagt, wie übel sie es dem/der Unbekannten genommen hat, ihr (und dem ohnehin über Jahre skandalerschütterten Land) so etwas anzutun.
Ein Herz für die SPD und für Schleswig-Holstein
"Sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck, und ihr Herz schlug immer links", sagte ihr langjähriger Weggefährte Björn Engholm mir im Interview an ihrem Todestag. Sie kannten sich schon aus dem Bundestag, als junge Abgeordnete, und er hatte sie als Finanzministerin in sein Kabinett geholt. Als Engholm im Mai 1993 zurücktrat, hat er zudem dafür gesorgt, dass Simonis als Ministerpräsidentin nachfolgte. Da kamen andere Kandidaten, die schon mit den Füßen scharrten, nicht an ihm und ihr vorbei. Ihre Verdienste seien nicht nur für Schleswig-Holstein groß, sondern eben auch als Frau in diesem "bitteren Geschäft der Politik", bilanziert Engholm.
Und sie, die Zugewanderte aus Bonn, hat Schleswig-Holstein geliebt. Unvergessen, wie sie bei einem denkwürdigen Sängerfest auf Gut Schierensee (Kreis Rendsburg-Eckernförde) live und laut mit ihrer hohen Stimme die Landeschöre anführte bei der Hymne "Schleswig-Holstein meerumschlungen". Wer das gesehen hat, konnte spüren, welche Inbrunst sie damit verband. Ihr Herz hat sie an dieses Land verloren, das ihr so viel an Zuwendung und Erlebnissen schenkte.
Bilder von Heide Simonis im Kopf
Für mich rauschten mit der Nachricht "Heide Simonis ist tot" unzählige Bilder durch den Kopf: Auf dem Flohmarkt in Kiel, zufällig getroffen, zeigte sie mir stolz die hässliche Kaffeekanne, ein wahres Ungetüm, das sie als Schnäppchen erworben hatte. Im Hutladen in Husum, am Rande einer Wahlkampftour, probierten wir beide diverse Hüte auf, wir hatten da doch sehr unterschiedliche Geschmäcker. Bei Interviews habe ich oft im Kopf schon angefangen, die Töne zu schneiden, weil sie sich meistens verhaspelte mit ihrer schnellen Zunge. Sie war eine tolle Handarbeiterin: Ich durfte bei ihr zuhause in Bordesholm, wo sie lange lebte, mal am Rande eines Interviewtermins in der großen Quilt-Truhe kramen. Diese Frau hat unglaublich tolle, riesige, farbenfrohe Quiltdecken genäht und akribisch bestickt. So viel Geduld hätte ich ihr nie zugetraut, stundenlang Stich für Stich. Auf einem großen Kinderfest standen wir beide auf der Bühne und sinnierten live über Kindheit, Kinderlachen und Kinderlärm, über ihre berufliche Vergangenheit bei einer großen Strumpfwarenfirma und was passieren kann, wenn sie und ihr Mann Udo auf dem Weg in den Urlaub in Streit geraten. So war sie eben auch, eine Dampfplauderin.
Überhaupt, Udo der Naturwissenschaftler und Heide die Politikerin, das war ein Paar, das sich in Beruf und Familie immer gegenseitig unterstützt hat, da war ein Streit schnell wieder vergeben. Gemeinsam haben sie Heides Krebserkrankung bekämpft und als sie Parkinson bekam, hat ihr Mann sie zuhause gepflegt. Eine Ehe in guten und schlechten Tagen.
Adieu, Heide
Heide Simonis war politisch aktiv in einer Zeit, in der es viele Charakterköpfe in der Politik gab, als hemmungslos und lautstark in der Partei oder im Parlament über politische Wege und Lösungen gestritten und gerungen wurde. Scharf in der Sprache, hart im Argument - damals auch im Kieler Landtag, in diesem dunkel getäfelten, etwas verstaubten alten Plenarsaal, in dem Heide Simonis oft ans Rednerpult getreten ist, beobachtet von uns Korrespondentinnen und Korrespondenten rechts hinter ihr in der Presseloge. In diesem Saal feierte sie 1993 ihre Vereidigung als erste Ministerpräsidentin Deutschlands. Im neuen, modernen Plenarsaal musste sie 2005 ihre bitterste Niederlage erleben. Beide Ereignisse habe ich damals als landespolitische Journalistin begleitet und nie vergessen. So wie ich auch Heide Simonis nie vergessen werde: Licht und Schatten, Stärke und Schwäche, Frau und Politikerin. Ein Mensch eben.