Wacken-Festival 2024: Konzert-Momente mit Amon Amarth, Korn & Co
Das Wacken Open Air 2024 hat groß aufgefahren. 180 Bands und Solokünstler standen auf den Musikbühnen. Alle Auftritte sehen? Selbst für gut organisierte Besucher unmöglich. Hier sind persönliche Konzert-Momente.
Amon Amarth: "Sänger Johan Hegg lässt Stille zu"
Die Harder-Bühne am Samstagabend. Mein letzter Konzert-Moment für Wacken 2024. Ich stehe Hunderte Meter von der Bühne entfernt. Die Schweden von Amon Amarth kann ich nur dank der Leinwände erkennen. Ein Gesamtkunstwerk. Ihr Death Metal spielt durchgehend mit nordischer Mythologie, auf der Bühne kämpfen zwei Ritter während des Konzerts miteinander.
Sänger Johan Hegg ist mir direkt sympathisch. Er ist nicht so überdreht wie manch andere Frontmänner oder -frauen auf diesem Festival, redet nur das Nötigste zwischen seinen Songs. Und das Beste: Er lässt sogar Stille zu. Immer wieder legt er sekundenlange Pausen ein, die Tausende innehalten lassen. Zeit für die Pommesgabel. Beeindruckend.
Ich stehe in der Nähe eines Wellenbrechers. Vor mir pilgern Hunderte Metalheads durch die Schleuse, die in Richtung Bühne führt. Ich ahne, warum sie auch jetzt noch versuchen, weiter nach vorne zu kommen.
Es hat etwas mit Ruder-Immitationen zu tun, die manche von uns vielleicht von Ballermann-Musik-Parties kennen: Menschen sitzen auf dem Boden und tun so, als ob sie rudern. Dazu volle Pulle Mickie Krause.
"This is the moment you sit down and row", spricht Hegg ins Mikrofon. Ich kann aus der Ferne nur erahnen, dass die Fans genau das tun. Freunde hatten mir diesen Moment angekündigt. Laut ihnen geht dieses "In-der-Luft-Rudern" auf dem Boden sitzend sogar auf Amon Amarth zurück.
Zu "Under the Northern Star" gehe ich vom Festivalgelände, der Himmel kündigt Regen an. Tschüss, Wacken. Arne Helms, Reporter
Bokassa: "Ein Groove, der bei Regen in die Hüfte fährt"
Nach zuletzt verstörenden Eindrücken von den kleineren Wacken-Bühnen hinterlässt mich Bokassa am frühen Samstagabend auf der Wet-Stage weniger zerrüttet. Klingt ein bisschen wie Queens Of The Stone Age und ein verschwitzter Roadtrip durchs Death Valley - Desert Rock also quasi. Dann wird doch wieder geschrien - und dann kommt ein Groove, der auch bei Regen in die Hüfte fährt. Abwechslungsreich - und vor begeistertem Publikum. Das hat Spaß gemacht. Jörn Zahlmann, Reporter
Korn: "Ab der Hälfte hat das Konzert Fahrt aufgenommen"
Zum Anfang des Konzerts war zwar vorne im Moshpit schon gute Stimmung, aber man hatte das Gefühl: Korn musste sich erstmal warmspielen und Kontakt zum Publikum aufnehmen. Ich war mit einem Kollegen dort, der Korn kaum kannte. Ihm fehlten der Druck und die Dynamik. "Die großen Dinger haben sie noch nicht rausgehauen", meinte ich zu ihm. Und tatsächlich: Ab der Hälfte hat das Konzert Fahrt aufgenommen, Korn hat endlich die großen Hits gespielt, wie "Freak On A Leash" oder "Falling Away from Me". Vielleicht war dieser Aufbau auch Kalkül. Als Korn dann die bekannteren Lieder gespielt hat, ist in der Menge was passiert: Crowdsurfing, Moshpit. Das hat viel Spaß gemacht. Sören Sachau, Reporter
Baroness: "Wie viele Kinder habe ich hier schon gesehen?"
Sonnenbebrillter Sänger, eine Gitarristin, die keine Miene verzieht, und ein Schlagzeuger im muskelbepackten Körper eines Iggy Pop: Baroness aus den USA wissen am Freitagabend auf der Wet-Stage die Blicke auf sich zu ziehen. Ihr Metal-Rock-Mix funktioniert gut für mich. Extrem Gitarren-lastig, teilweise fast schon soft im Vergleich zur Mucke dieser Festival-Tage.
Die Band war der Tipp von zwei Freunden auf der Hinfahrt. In unserem Wacken-Mobil saß auch ihr Sohn. Zwar erwachsen, für mich aber eben auch Kind von zwei Menschen, die ich kenne. Bei einer wenig melodischen Nummer von Sänger John Baizley bin ich gedanklich gerade etwas weg von Baroness. Meine Blicke wandern zu zwei Kindern, die auf dem Boden sitzen, hinter ihnen ihre Eltern - zumindest lassen das die Umarmungen, Gesten und Blicke vermuten.
Ich muss nicht lange darüber nachdenken, wie viele Kinder ich auf diesem Festival schon gesehen habe. Es waren vielleicht zwei Dutzend. Hier sind 85.000 Menschen. Nun bin ich nicht jeden Winkel dieses Wacken Open Airs abspaziert - aber schon so viel, dass es im Verhältnis mehr Kinder sein müssten, um davon auszugehen, dass das Festival in Wacken auch ein Ort für ganz junge Metal-Fans ist. Oder zumindest für solche, die es mal werden wollen - oder sollen.
Ab sechs Jahren dürfen Kinder in Begleitung zum Wacken Open Air. Ein paar Foren-Einträge haben mich vor meiner Anreise annehmen lassen, dass Kinder hier nicht gerne gesehen sind. Auch die Freundin aus dem Wohnmobil erzählte mir, dass sie hier mit Kind im Arm schon richtig angegiftet worden sei - dabei hätten sie in einer Ferienwohnung im Dorf übernachtet und nicht auf dem Camping-Gelände. Andere nehmen ihren Sohn mit, seit er zehn Jahre alt ist, bauen auf dem Festival-Gelände einen Ring aus Menschen um ihn und können sich nichts Besseres vorstellen.
Jeder, wie er oder sie mag. Als ich Hagen, neun Jahre alt, und seinen Vater Hannes in den ersten Wacken-Tagen traf, erzählten sie mir, dass Hagen unbedingt sein erstes Wacken-Festival erleben wollte. Ein böses Wort sei ihnen noch nicht zu Ohren gekommen. Friedliche Atmosphäre. Hagen schien glücklich.
Wenn ich jetzt nicht im Internet-Forum schaue, sondern von Angesicht zu Angesicht mit Wacken-Besuchern über das Thema spreche und höre, dass das Wacken-Festival "das familiärste Festival" sei, das es gibt", dann denke ich an den stolz lachenden Hagen - glaube aber auch, dass dieser Krach hier nicht für jedes Kind etwas ich.
Ich bin kein Kind mehr, mag den Krach ganz gerne, am Freitagabend auch den von Baroness. Arne Helms, Reporter
Gene Simmons: "Musikalisch das Beste der vergangenen Jahre"
Hier ein Moment, den ich am Freitagnachmittag leider verpasst habe: Der Auftritt von Gene Simmons, bekannt als ehemaliger Co-Leadsänger von Kiss. Die ikonischen Zungen sind legendär. In diesem Jahr ist Simmons solo beim Wacken Open Air. Ein Kollege erzählt mir, dass er musikalisch lange nichts Besseres gehört habe. Perfekte Gitarristen, mega Klang und ein Gene Simmons, der seinen Musikern Raum gibt, um sich zu entfalten. Kein großes Ego. Ich beneide den Kollegen um seinen Konzert-Moment. Arne Helms, Reporter
Betontod: "Fäuste in der Luft, Füße auf dem Polizeiauto"
Punk sein, das ist nicht nur ein Lifestyle mit bunten Haaren und viel Bier, sondern auch eine politische Einstellung - gegen Hierarchien, gegen Autoritäten, gegen Rhythmus. Und so singt Betontod-Frontmann Oliver Meister "Wir brauchen keinen, der für uns denkt", während er auf einem umgedrehten Polizeiauto steht und die Fäuste in die Luft reckt. Ob sich die Band das Auto bei der Polizeistation auf dem Festivalgelände ausgeliehen hat? Diese Frage beantwortet sich von selbst, als ein paar Lieder später eine Person, die so aussieht, als ob sie direkt aus dem Schwarzen Block kommt, ein Anarcho-Zeichen auf das Auto sprüht.
So politisch ist aber nicht das gesamte Konzert. Ein paar Sauflieder gibt es auch zu hören, um die Punk-Klischees zu erfüllen. "Mit Dir schmeckt jede Dose Bier nach Freiheit" klingt fast schon wieder poetisch. Eins der letzten Lieder erkenne ich wieder. "Wir müssen aufhören weniger zu trinken, wir brauchen viel mehr Alkohol". Das hat mir mal ein Punkrock-Fan auf einem viel kleineren Festival als dem Wacken Open Air gezeigt. Dessen Bruder war übrigens Polizist.
Genauso ein Paradox: Dass Betontod, die sich gegen Konsum positionieren, auf solch einer großen Bühne spielen, während neben mir Wacken-Besucher darüber diskutieren, welches T-Shirt sie sich noch am Merch-Stand holen. Diese Band gehört eigentlich in kleine alternative Clubs oder auf Demonstrationen. Aber da könnte man nicht auf einem Polizeiauto stehend performen. Pauline Reinhardt, Reporterin
Scorpions: "Sie passen zu Wacken! Ein beeindruckendes Solo!"
"Die Scorpions passen nicht zu Wacken." Das habe ich einige Fans sagen hören. Aber als um kurz nach 23 Uhr "Wind Of Change" läuft, liegen sich die Metalheads in den Armen und singen mit. Jonas Salto, Reporter
"Als die Scorpions angefangen haben Musik zu machen, war die Menschheit noch nicht auf dem Mond", sagt ein Kollege zu mir. Das Alter sieht man der Band an, besonders Sänger Klaus Meine steht etwas steif auf der Bühne. Umso beeindruckender und unerwarteter ist das gut drei Minuten lange Schlagzeugsolo von Mikkey Dee, dem früheren Schlagzeuger von Motörhead. Pauline Reinhardt, Reporterin
Alligatoah: "Als das Büro zerstört ist, nicken die Metal-Köpfe"
Zweite Konzert-Hälfte. Neben mir baut sich ein Zwei-Menschen-Turm auf, damit die Dame oben besser sehen kann. Wacklige Geschichte. Dann hält das Ding. Jubel bei den Herumstehenden. Sie haben es gepackt - und Alligatoah vorne auf der Bühne, bummelig 200 Meter enfernt, jetzt auch.
Anfangs wirkt das Publikum am Donnerstagabend nur neugierig auf diesen 34-Jährigen Ex-Rapper, der im Frühjahr ein Metal-Album rausgebracht hat. Je mehr es gegen 21 Uhr geht, je mehr nicken aber im Takt der deutschen Texte die Köpfe. "So raus" singt Alligatoah, so raus ist er aus der Rap-Ecke.
Wer Empfang hat (ich gehöre nicht dazu) bekommt vom Veranstalter offenbar eine Push-Meldung aufs Smartphone, dass der Platz vor der Louder-Bühne aufgebraucht sei. Alles voll. Im roten Rollkragen und roter Hose, die Felloptik abgelegt, zerlegt Alligatoah derweil die Büromöbel, die ihm auf der Bühne als Kulisse dienen.
Bei den ersten Mini-Regentropfen während dieses Festivals schwenkt der gebürtige Niedersachse noch mal auf alte Songs um, covered "Daylight" von den No Angels. Die Metal-Dame auf dem Zwei-Menschen-Turm neben mir stimmt da schon längst in jeden Song mit ein. Arne Helms, Reporter
Sweet: "In den 1970ern war ich noch lange nicht geplant"
Die Sonne kennt keine Gnade am Donnerstagmittag. Aber bei Sweet geht es melodiös zu - und der hymnische Hard- beziehungsweise Glamrock passt gut unter die Mittagssonne. Sowohl Hitze als auch Musik lassen die Zeit ein wenig still stehen. Kein Wunder: Als Sweet in den 70ern ihre größten Hits hatten - "Fox on the Run" oder "Ballroom Blitz" zum Beispiel - war ich noch lange nicht geplant. Eine schöne Zeitreise. Jörn Zahlmann, Reporter
Amalgam: "Ich bin gleichermaßen fasziniert wie verstört"
Amalgam klingen ungefähr so wie sie aussehen: brachial, finster, psychedelisch. Prügel für die Ohren. Vor der kleineren W.E.T-Stage bahnen sich unerbittliche Soundwände aus der Unterwelt ihren Weg in rund 300 Metal-Hirne. Death, Thrash, Doom - an diesem Donnerstag in der Mittagssonne ist alles dabei. Ich bin gleichermaßen fasziniert wie verstört - und muss gleich erst mal fest in den Arm genommen werden. Jörn Zahlmann, Reporter
In Extremo: "In der Dämmerung sagt einer: 'Das ist schon geil'"
Mittwoch, In Extremo, 22:05 Uhr auf der Faster-Stage Die Sonne ist gerade untergegangen und Zehntausende Fans stehen an diesem ersten Abend vor der Bühne auf dem Holy Ground. Die Bühne ist noch leer, als Pyrotechnik an der Stage hochschießt. Dann ertönt eine Melodie von einem Dudelsack-Spieler, In Extremo legen los. In der Dämmerung höre ich einen Besucher neben mir mit Blick auf die Bühne gerichtet sagen: "Das ist schon geil." Und genau das denke ich in diesem Moment auch. Jonas Salto, Reporter
Flogging Molly: "Ein Konzert wie ein Pub-Besuch in Irland"
Flogging Molly, das heißt Folk Punk aus Irland, das heißt ein Konzert wie ein Pub-Besuch. Das Gefühl stellt sich schon vor dem Auftritt der Band ein, als ein Mann sein Trinkhorn am Eingang zum Infield abgeben muss. Dort spielt Flogging Molly am Mittwochabend zur Goldenen Stunde auf der Faster-Bühne.
Und schnell wird es tatsächlich, nicht Headbangen-schnell oder Pogen-schnell, sondern Arme-schwingen-schnell und Beim-Nachbarn-einhaken-schnell. "Dankeschön Schatzis" und "Prost" sagt Sänger und Frontmann Dave King mehrmals während des Konzerts - wie ein betrunkener Ire zu Besuch in einer deutschen Kneipe, der ein paar landestypische Vokabeln ausprobieren will.
An diesem Abend spielt Flogging Molly auch viele neue Songs, die aber alle ähnlich klingen: Nach Folk, also Fidel und Flöte, und nach Punk, also mit Texten für die Freiheit und gegen die katholische Erziehung, unter der Dave King als Kind gelitten hat. Die irischen Wurzeln der Band zeigen sich in der Einstellung: Dave King will auf die positive Seite des Lebens schauen, trotz allem, was in der Welt passiert. Pauline Reinhardt, Reporterin
Bülent Ceylan & Band: "Angst, dass Ihr nicht lieb zu Papa seid"
Bülent Ceylan eröffnet am Mittwoch die große Faster-Bühne. Ohne Comedy-Programm, aber mit Metal im Gepäck. "Kennt ihr nicht von mir, oder?", fragt er in die Menge. Irgendwo da draußen, verrät er, steht seine Familie. "Die hatten ein bisschen Angst, dass Ihr nicht lieb zu Papa seid", sagt Ceylan, weil man von ihm nur Comedy erwarte.
Ist nicht so an diesem Tag. "Ich freue mich echt, vor Euch als Metal-Familie spielen zu können", sagt er. Die Metalheads feiern Ceylan, der als Special-Guest tatsächlich noch Peter Maffay aus dem Hut zaubert. Von dem erwartet nun keiner Comedy. Dominik Dührsen, Reporter
Adoramus beim Metal-Gottesdienst: "'Amen' aus Hunderten Kehlen"
Am Mittwochnachmittag erklingen die Kirchenglocken im Dorf. An der Tür stehen noch ein paar Metalheads mit Bier in der Hand. Erst mal austrinken, kein Alkohol in der Kirche erlaubt. Ich bin beim Gottesdienst, begleitet von der Metalchurchband Adoramus aus der Schweiz. Ein Konzert im Kirchengewand. Zur Begrüßung spricht nicht die Pastorin, sondern die Band spielt. Christliche Musik mit lauter Gitarre. Klarer Klang, deutsche Lyrics. Kirchen können Konzerte, der Sound ist top.
Leute wippen mit und zeigen die Pommesgabel. "Freut Euch, Ihr seid in Wacken", ruft die Pastorin wirkungsmächtig in die Menge. Sie ist ein bisschen aufgeregt, das merke ich ihr an - macht den Moment aber total sympathisch. Sie kann auch Entertainerin: "Wenn ich Amen sage, will ich ein lautes Amen von Euch hören." Die Menge übt einmal. Dann läuft es. "Amen" tönt es aus Hunderten Kehlen. Echter Metal-Spirit. Pauline Reinhardt, Reporterin
Wacken Firefighters: "Völlig losgelöst, wow, seeehr cooler Auftakt"
Es war eher ruhig bei den Proben der Wacken Firefighters vor einer Woche. Am Mittwochmittag liegen jetzt Vorfreude und Anspannung in der Luft, Schweißperlen auf der Stirn des einen und der anderen. Passt das Set? Die Firefighters sind der erste Act am Eröffnungstag, und das seit dem Jahr 2000. "Wacken, Wacken, Feuerwehr" rufen die knapp 5.000 vor der Wackinger Stage schon weit vor 12 Uhr.
Und sie werden belohnt. Genau wie ich… Völlig losgelöst, Highway to Hell, Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben. Schlager, Pop, Metal. Und dass dann noch Saxophonist und Fan-Einheizer André Schnura, eines der Gesichter der Fußball-EM in Deutschland, bei ein paar Songs dabei ist: Wow! Passt! Ins Mikro sprechen wollte Schnura übrigens nicht. Sympathische Begründung: Er habe das noch nie gemacht und wolle "den richtigen Zeitpunktk" abwarten. Seeehr cooler Auftakt. Wacken - geht los! Tobias Gellert, Reporter