Warum Lena Tomkowiak aus Kiel keine typische Gewichtheberin ist
Im vergangenen Herbst ist sie deutsche Meisterin im Gewichtheben geworden. Jetzt möchte Lena Tomkowiak Gewichtheben im Norden bekannter machen und dadurch Vorurteile abbauen.
Kleine Rückschau: Lena Tomkowiak justiert ihren Gürtel und atmet tief ein. 100 Kilogramm Stahl: vier bunte Gewichtsscheiben und eine Hantelstange. Wenn sie die über ihren Kopf bringt und hält, hat sie einen persönlichen Meilenstein geschafft. Sie greift die Hantelstange, wuchtet die 100 Kilo erst auf ihre Schultern, hält inne, konzentriert sich, atmet. Dann der Ausfallschritt und die Hantelstange landet über ihrem Kopf, sie stellt sich gerade hin. In ihrem Gesicht lässt sich lesen, wie anstrengend das gerade ist, wie lange sie für diesen Moment gearbeitet hat. Drei Sekunden hält sie die 100 Kilo, dann rast das Gewicht auf den Boden. Durch Lenas Gesicht rasen ihre Gefühle: Anspannung, Freude, Erleichterung. Alles auf einmal.
Das war vor zwei Jahren - und auch heute denkt sie daran noch gerne zurück. "Letztendlich ist es auch eine Zahl, aber irgendwie macht es doch was mit einem, wenn es erstmal dreistellig ist und eine neue Farbkombi auf der Hantel liegt." Vor allem sei sie super stolz, weil sie weiß, wie viel sie dafür gearbeitet hat, erzählt die 29 Jahre alte Kielerin beim Training. Vergangenes Jahr im Herbst ist Lena Tomkowiak zum zweiten Mal Deutsche Meisterin geworden.
Gewichtheben: Randsportart in Nordeutschland
Einen Trainer in Kiel hat sie nicht. Lena Tomkowiak hebt in der ersten Bundesliga. Weil Gewichtheben im Norden eher eine Randsportart ist, und es hier keine Erstliga-Vereine gibt, gehört sie einem süddeutschen Verein an. Ihr Trainer dort schickt ihr wöchentlich Trainingspläne - sie schickt ihm Videos vom Training. Die beiden besprechen sich dann online. "Und dann kann er was dazu sagen, was ich dann hoffentlich nächstes Mal besser machen kann." Klar wäre es besser, wenn sie direktes Feedback bekäme, sagt Lena. An diesem Tag bekommt sie das von ihrem Mann Sascha, er schaut beim Training zu.
Die beiden sind Inhaber der Athletenschmiede Kiel. Hier bieten sie in Kursen und freiem Training die Trendsportart Crossfit an. Damit hat Lena auch angefangen. Crossfit ist vielfältig: Klimmzüge, Seilspringen, Medizinbälle werfen, aber auch Gewichtheben. "Lena hatte noch nie großartig Spaß an cardiolastigen Crossfit Workouts", sagt ihr Mann Sascha Tomkowiak. "Und deswegen haben wir relativ schnell gemerkt, dass sie sehr, sehr gut ist im Gewichtheben und auch sehr schnell Fortschritte macht." Lena hat sich vor der nächsten Gewichtserhöhung auf eine Holzbox gesetzt, trinkt einen Schluck Wasser. Sie ist fokussiert. "Beim Crossfit ist ja das Ziel, alles gut zu können, aber nichts perfekt. Das kann man ja nicht, weil dafür ist es zu viel. Und deswegen hat mich das dann gereizt, in dem einen Sport gut zu werden."
Vorurteil: Du siehst ja gar nicht wie eine Gewichtheberin aus
Lena Tomkowiak hebt in der 59 Kilo-Gewichtsklasse. Wenn sie erzählt, dass sie Gewichtheberin ist, hört sie oft: "So siehst du gar nicht aus!" Die Menschen erwarten Muskelpakete. Lena Tomkowiak glaubt, dass das an einem der bekanntesten Deutschen Gewichtheber liegt - Matthias Steiner, Olympiasieger von 2008. "Der war halt zufälligerweise ein Superschwergewicht und deswegen haben die Leute das vielleicht im Kopf. Aber es gibt zehn Gewichtsklassen im Gewichtheben," sagt Lena Tomkowiak. Weil immer mehr Menschen Gewichtheben als Sport für sich entdecken, hofft sie, dass dieses Vorurteil verschwindet.
Ihr Ziel: Eine Europameisterschaft
So ein bisschen haben Lena und Sascha Tomkowiak schon dafür gesorgt, dass das Gewichtheben immer weniger eine Randsportart ist - mit ihrer Athetenschmiede Kiel. Die hat nämlich unter anderem eine Sparte für das olympische Gewichtheben. Die Sportler heben zwar noch in der zweiten Bundesliga - aber mit 130 Mitgliedern ist es schon einer der großen Vereine in Deutschland. Im Herbst veranstalten Lena und Sascha in Kiel einen Bundesliga-Wettbewerb und hoffen, es in die erste Bundesliga zu schaffen. Was Lena besonders freut: Im Verein sind viele junge Menschen - und mehr Frauen als Männer.
Erste Bundesliga, zwei mal Deutsche Meisterin: Jetzt blickt Lena Tomkowiak Richtung Europameisterschaft. Aber eine Qualifikation ist in Deutschland gar nicht so einfach, sagt sie. Die Normen würden immer weiter erhöht werden. Das bedeutet: In beiden Gewichtshebe-Disziplinen, Reißen und Stoßen, müssen die Athletinnen und Athleten bestimmte Gewichte schaffen. In Lenas 59 Kilo-Klasse sind es kombiniert 201 Kilo. Davon sei sie noch ein Stück entfernt. Aber sie arbeitet jeden Tag an ihrem Ziel. Für den nächsten persönlichen Meilenstein: Die Teilnahme an einer Europameisterschaft.