War Lübecker Privatschule ein Schlupfloch für Schulverweigerer?
Das Bildungsministerium in Kiel schließt eine Privatschule in Lübeck wegen angeblich eklatanter Zustände. Laut Ministerium haben Schüler und Lehrer regelmäßig geschwänzt. Wurde die Schulpflicht dort systematisch umgangen?
Es ist ruhig vor dem alten Lübecker Gut Mori am westlichen Rand der Stadt. Ungewöhnlich für ein Grundstück, auf dem eine Schule ansässig ist. Nur selten laufen Kinder über den gepflegten Vorplatz des Anwesens. Doch das sei auch in den vergangenen Wochen so gewesen, berichten Anwohner NDR Schleswig-Holstein. Und in Zukunft dürfte es noch stiller werden: Das Kieler Bildungsministerium hat der Freien Dorfschule Lübeck, die Räume in dem gemeinschaftlich genutzten Gebäude angemietet hat, offiziell die Genehmigung entzogen und damit deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. Das Ministerium reagiert damit auf Hinweise zu gravierenden Defiziten im Schulbetrieb, die es seit Beginn des laufenden Schuljahres 22/23 erhalten hatte.
Viele Schüler wohnten offenbar "unüblich weit weg"
"Es hat sich ergeben, dass in verschiedenen Bereichen hier Zustände herrschen, die nicht hinnehmbar sind und die auch mit unserem Schulgesetz so nicht vereinbar sind", sagte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) NDR Schleswig-Holstein. Konkret hätten bei angemeldeten als auch bei 14 unangekündigten Kontrollen durch das zuständige Schulamt mehr als die Hälfte der 55 gemeldeten Schülerinnen und Schüler unentschuldigt gefehlt. Zudem sollen viele der gemeldeten Schüler unüblich weit weg gewohnt und sich außerhalb der zuständigen Schulämter befunden haben.
Wollten Eltern die Schulpflicht umgehen?
"Hier drängt sich der Verdacht auf, dass Eltern ihre Kinder an dieser Schule angemeldet haben, um die Schulpflicht zu umgehen", sagte Prien. Man habe seit Corona bundesweit ein Problem mit Absentismus, also dem unrechtmäßigen Fernbleiben vom Unterricht: "Wir dürfen eben nicht zulassen, dass Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken wollen, das erreichen, indem sie ausweichen auf Schulen freier Trägerschaft."
Bei Kontrollen waren nur zwei Lehrer in der Schule
Auch bei der Anzahl der vorgeschriebenen Lehrkräfte sowie deren Unterrichtsgenehmigungen habe es erhebliche Zweifel gegeben. Lediglich zwei Lehrkräfte seien anwesend gewesen, obwohl laut Plan deutlich mehr hätten vor Ort sein müssen. Zudem seien Klassenbücher nicht entsprechend geführt worden, Atteste und andere Nachweise hätten gefehlt. Die Dokumentation sei mangelhaft, beanstandet das Ministerium und hat die Schule jetzt geschlossen. Das Aus für die Freie Dorfschule bedeutet für die Schülerinnen und Schüler, dass sie innerhalb einer Woche eine neue Schule finden müssen.
Schulleitung wehrt sich gegen Vorwürfe
Die Schulleitung wehrte sich gegen die Vorwürfe. In einem Statement, das auf der Internetseite der Schule veröffentlicht wurde, heißt es: "Den Widerruf stützt das Ministerium auf falsche Angaben. So geht man nur von einer Vormittagsgruppe aus." Außerdem würden die Schulräume als unzureichend bezeichnet, obwohl genau diese Räume genehmigt worden seien. Nun wolle die Schule rechtlich gegen die Schließung vorgehen und sich mitunter auf ein genehmigtes digitales Lernkonzept berufen. "Wir haben digitales Lernen erfolgreich in der Pandemie umgesetzt und tun dies bis heute."
In einer weiteren Erklärung auf der Internetseite betonte die Schule, dass die Schülerinnen und Schüler den Unterricht nicht geschwänzt hätten, auch wenn sie nicht vor Ort in der Schule waren: "Ich kann auch online präsent sein. Ich kann auch da überprüfbar präsent sein. Auch digitales Lernen ist präsentes Lernen. Wenn ich online lerne, dann schwänze ich nicht." Gleichzeitig räumte die Schule Fehler bei der Dokumentation der Anwesenheit ein. Das wolle man nun ändern. Zudem forderte die Schule eine stärkere Anerkennung von "zeitgemäßen Lernformen".
FDP hat Fragen an das Ministerium
Auch für Bildungsministerin Prien wird die Schulschließung noch länger ein Thema sein. So kündigte der bildungspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Christopher Vogt, an, die Schließung der Privatschule zum Thema im Bildungsausschuss machen zu wollen: "Wenn die Vorwürfe des Ministeriums zutreffend sein sollten, stellt sich beispielsweise die Frage, warum das Ministerium erst so spät tätig geworden ist." Man wolle die Ministerin im Bildungsausschuss befragen, zumal die Schulleitung dem Bildungsministerium heftig widersprechen würde.
Gegründet wurde die Freie Dorfschule Lübeck 2015. Eigenen Angaben zufolge verfolgt sie das Konzept einer Dorfschule, in der jahrgangsübergreifend und praxisnah unterrichtet wird und sich am Lehrplan freier Waldorfschulen orientiert. Die Schulkinder werden auf die Prüfungen für den Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss, ehemals Hauptschulabschluss, sowie den Mittleren Schulabschluss vorbereitet. Die Prüfungen müssen die Kinder allerdings an öffentlichen Einrichtungen ablegen.