Urteil im Stutthof-Prozess bestätigt: Frühere KZ-Sekretärin Irmgard F. schuldig
Im Fall der ehemaligen Sekretärin am KZ Stutthof hat der Bundesgerichtshof in Leipzig entschieden: Das Urteil des Landgerichts Itzehoe ist rechtskräftig. Die Verteidigung hatte zuvor Revision dagegen eingelegt.
Zwei Jahre Bewährungsstrafe wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen sowie Beihilfe zum versuchten Mord in fünf Fällen - das Urteil gegen die ehemaligen Sekretärin am Konzentrationslager Stutthof, Irmgard F., ist rechtskräftig. Die Richterinnen und Richter des 5. Strafsenats am Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig haben am Dienstag die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe verworfen.
Verteidiger: Keine Hoffnung auf Freispruch gemacht
Ein Anwalt der Nebenkläger sagte, das Urteil habe gezeigt, dass man sich auch mit einer Schreibmaschine schuldig machen könne. Der Anwalt der 99-Jährigen ist nach eigenen Angaben nicht überrascht, dass die Revision verworfen wurde. Er habe seiner Mandantin auch keine Hoffnung auf einen Freispruch gemacht.
Beihilfe zum Mord in mehr als Zehntausend Fällen
Das Landgericht Itzehoe hatte im Dezember 2022 die inzwischen 99 Jahre alte Quickbornerin verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass sie mit ihrer Schreibtätigkeit für den Kommandanten des Lagers unter anderem dazu beigetragen hatte, dass Gefangene in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau transportiert und dort durch Vergasung getötet worden waren. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und Durchführung der Tötungshandlungen notwendig gewesen, so das Gericht. Außerdem warf ihr die Anklage in weiteren Fällen Beihilfe zu versuchtem Mord vor. Dabei geht es um KZ-Häftlinge, die das Lager überlebt haben.
Der Anwalt von Irmgard F., Wolf Molkentin, legte daraufhin Revision gegen das Urteil ein, da seinen Angaben zufolge wichtige Rechtsfragen nicht beantwortet wurden. Es sei demnach unklar, ob sie die Mordtaten ihres Vorgesetzten willentlich unterstützt hatte. Er plädierte deshalb auf Freispruch für seine Mandantin.
BGH: Irmgard F. wusste über Geschehen im Lager Bescheid
Der 5. Strafsenat widersprach der Argumentation und stützte nach mehrstündiger Hauptverhandlung am 31. Juli das vorherige Urteil des Landgerichts Itzehoe. Wie der BGH in einer Pressemitteilung am Dienstag erläutert, sei die damalige Urteilsbegründung rechtsfehlerfrei gewesen. Die Bundesrichter gingen aufgrund der Feststellungen des Landgerichts Itzehoe davon aus, dass Irmgard F. sehr genau über das Geschehen im Lager Bescheid wusste. Sie blickte demnach von ihrem Arbeitsplatz über einen Teil des Geländes, sah den Schornstein des Krematoriums, wusste um den elenden Zustand der Gefangenen. Die Sekretärin habe zudem von Beginn ihrer Tätigkeit an erkannt, dass die Haupttäter um Lagerkommandant Hoppe verbrecherisch handelten. Durch ihre treuen Dienste habe sie sich mit ihnen solidarisiert, sodass ihre Handlungen nicht mehr neutral gewesen seien.
"Wichtig ist, dass ihre Schuld bestätigt worden ist. Das ist ein wichtiges Signal an die ganze Gesellschaft, wie auch jede einzelne Person von uns, dass jeder Verantwortung tragen muss. Diese junge Dame war bei einem KZ eine Sekretärin. Da hat sie ihren Job aufgenommen, im Bewusstsein, was grundsätzlich dort passiert." Igor Wolodarski, Vorsitzender Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein Igor Wolodarski hat das Urteil des Bundesgerichtshofs begrüßt. Es gehe nicht darum, eine 99-jährige Frau ins Gefängnis zu bringen, aber es gehe um die Mitschuld und die Verantwortung jedes einzelnen, so Wolodarski.
Jugendstrafe 80 Jahre nach den Taten
Irmgard F. hatte von 1943 bis 1945 im KZ Stutthof bei Danzig als einzige Stenotypistin gearbeitet. Da sie zum Tatzeitpunkt zwischen 18 und 19 Jahre alt, wurde gegen sie eine Jugendstrafe verhängt. Nach Kriegsende war sie nach Schleswig-Holstein gezogen und hatte dort weiter als Schreibkraft gearbeitet. Die Rentnerin lebt in einem Altenheim im Kreis Pinneberg.