Urteil im Stutthof-Prozess bestätigt: Frühere KZ-Sekretärin Irmgard F. schuldig

Stand: 20.08.2024 16:40 Uhr

Im Fall der ehemaligen Sekretärin am KZ Stutthof hat der Bundesgerichtshof in Leipzig entschieden: Das Urteil des Landgerichts Itzehoe ist rechtskräftig. Die Verteidigung hatte zuvor Revision dagegen eingelegt.

Zwei Jahre Bewährungsstrafe wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen sowie Beihilfe zum versuchten Mord in fünf Fällen - das Urteil gegen die ehemaligen Sekretärin am Konzentrationslager Stutthof, Irmgard F., ist rechtskräftig. Die Richterinnen und Richter des 5. Strafsenats am Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig haben am Dienstag die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe verworfen.

Verteidiger: Keine Hoffnung auf Freispruch gemacht

Ein Anwalt der Nebenkläger sagte, das Urteil habe gezeigt, dass man sich auch mit einer Schreibmaschine schuldig machen könne. Der Anwalt der 99-Jährigen ist nach eigenen Angaben nicht überrascht, dass die Revision verworfen wurde. Er habe seiner Mandantin auch keine Hoffnung auf einen Freispruch gemacht.

Max Bauer © ARD Foto: ARD
AUDIO: Kommentar: Stutthof-Urteil ist Auftakt für neue Aufarbeitungsphase (3 Min)

Beihilfe zum Mord in mehr als Zehntausend Fällen

Das Landgericht Itzehoe hatte im Dezember 2022 die inzwischen 99 Jahre alte Quickbornerin verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass sie mit ihrer Schreibtätigkeit für den Kommandanten des Lagers unter anderem dazu beigetragen hatte, dass Gefangene in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau transportiert und dort durch Vergasung getötet worden waren. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und Durchführung der Tötungshandlungen notwendig gewesen, so das Gericht. Außerdem warf ihr die Anklage in weiteren Fällen Beihilfe zu versuchtem Mord vor. Dabei geht es um KZ-Häftlinge, die das Lager überlebt haben.

Der Anwalt von Irmgard F., Wolf Molkentin, legte daraufhin Revision gegen das Urteil ein, da seinen Angaben zufolge wichtige Rechtsfragen nicht beantwortet wurden. Es sei demnach unklar, ob sie die Mordtaten ihres Vorgesetzten willentlich unterstützt hatte. Er plädierte deshalb auf Freispruch für seine Mandantin.

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Besuchende gehen am Eingang des Stutthof Museums in Sztutowo (Polen) vorbei. © dpa-Bildfunk Foto: Piotr Wittman/PAP/dpa

Stutthof-Prozess - eine Chronologie der Ereignisse

Irmgard F. hatte von 1943 bis 1945 im KZ Stutthof bei Danzig als Schreibkraft gearbeitet. Dort soll die Sekretärin in der Kommandantur von den Vorgängen im Lager gewusst haben. NDR Schleswig-Holstein gibt einen Überblick über den Prozess. mehr

BGH: Irmgard F. wusste über Geschehen im Lager Bescheid

Der 5. Strafsenat widersprach der Argumentation und stützte nach mehrstündiger Hauptverhandlung am 31. Juli das vorherige Urteil des Landgerichts Itzehoe. Wie der BGH in einer Pressemitteilung am Dienstag erläutert, sei die damalige Urteilsbegründung rechtsfehlerfrei gewesen. Die Bundesrichter gingen aufgrund der Feststellungen des Landgerichts Itzehoe davon aus, dass Irmgard F. sehr genau über das Geschehen im Lager Bescheid wusste. Sie blickte demnach von ihrem Arbeitsplatz über einen Teil des Geländes, sah den Schornstein des Krematoriums, wusste um den elenden Zustand der Gefangenen. Die Sekretärin habe zudem von Beginn ihrer Tätigkeit an erkannt, dass die Haupttäter um Lagerkommandant Hoppe verbrecherisch handelten. Durch ihre treuen Dienste habe sie sich mit ihnen solidarisiert, sodass ihre Handlungen nicht mehr neutral gewesen seien.

"Wichtig ist, dass ihre Schuld bestätigt worden ist. Das ist ein wichtiges Signal an die ganze Gesellschaft, wie auch jede einzelne Person von uns, dass jeder Verantwortung tragen muss. Diese junge Dame war bei einem KZ eine Sekretärin. Da hat sie ihren Job aufgenommen, im Bewusstsein, was grundsätzlich dort passiert." Igor Wolodarski, Vorsitzender Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein Igor Wolodarski hat das Urteil des Bundesgerichtshofs begrüßt. Es gehe nicht darum, eine 99-jährige Frau ins Gefängnis zu bringen, aber es gehe um die Mitschuld und die Verantwortung jedes einzelnen, so Wolodarski.

Jugendstrafe 80 Jahre nach den Taten

Irmgard F. hatte von 1943 bis 1945 im KZ Stutthof bei Danzig als einzige Stenotypistin gearbeitet. Da sie zum Tatzeitpunkt zwischen 18 und 19 Jahre alt, wurde gegen sie eine Jugendstrafe verhängt. Nach Kriegsende war sie nach Schleswig-Holstein gezogen und hatte dort weiter als Schreibkraft gearbeitet. Die Rentnerin lebt in einem Altenheim im Kreis Pinneberg.

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Ein Mikrofon steht auf einem Tisch in einem Prozesssaal © NDR Foto: NDR Screenshot

Urteil gegen ehemalige KZ-Sekretärin rechtskräftig

Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil gegen eine inzwischen 99-Jährige bestätigt. Es geht um Beihilfe zum Massenmord in 10.505 Fällen. extern

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NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 20.08.2024 | 17:00 Uhr

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