Tierische Freundschaft zwischen Rehbock und Jägerin
In Stohl zieht ein ungewöhnlicher Bewohner durch die Straßen des kleinen Dorfes. Rehbock Rick besucht regelmäßig seine Ziehmutter Jana Tobian und staubt dabei am liebsten ein Stück Gurke ab.
Regenwolken ziehen über die Felder von Stohl, einem kleinen Dorf im Dänischen Wohld (Kreis Rendsburg-Eckernförde). Die Natur befindet sich längst im Winterschlaf. Die meisten Menschen bleiben zuhause und genießen die vorweihnachtliche Stimmung. Landwirtin und Jägerin Jana Tobian hingegen hat auch im Winter alle Hände voll zu tun. Zurzeit nimmt der Neubau eines Kuhstalls ihre Zeit in Anspruch. An ihrer Seite ist immer wieder ein ungewöhnlicher Begleiter.
Als die 34-Jährige im vergangenen Juni das erste Mal von einem verwaisten Rehkitz hörte, stand sie vor einer schweren Entscheidung: Entweder sie musste das hilflose Tier töten oder es selbst aufziehen.
"Ohne seine Mutter wäre das kleine Fellknäuel nicht lebensfähig gewesen und verhungert. Als ich in seine großen braunen Augen schaute, wusste ich, dass ich mich richtig entschieden habe", erzählt Tobian von ihrer ersten Begegnung mit Rick, wie sie das Rehkitz liebevoll taufte.
Rehkitze brauchen alle zwei Stunden warme Milch
Die Anfangszeit war nicht immer leicht für die Landwirtin. Alle zwei Stunden musste Rick gefüttert werden, auch in der Nacht. Die 34-Jährige lebt in einem kleinen Dorf mitten in der Natur. In der Stadt wäre eine solche Aufzucht aus Tierschutzgründen gar nicht möglich gewesen.
"Sie hat als Landwirtin und Jägerin Erfahrung mit wilden Tieren und verfügt über das nötige Fachwissen. Darum war sie die perfekte Ziehmutter für das Rehkitz”, erklärt Sorka Eixmann von der Kitzrettung Dänischer Wohld. Wer ein verwaistes Rehkitz im Feld findet, müsse den zuständigen Jäger informieren und sollte das Tier auf gar keinen Fall anfassen, sagt Eixmann weiter.
Rick ist inzwischen zu einem stattlichen Rehbock herangewachsen. Besonders auffällig an ihm ist das fehlende Geweih. Ziehmutter Tobian ließ Rick rechtzeitig kastrieren, was dazu geführt hat, dass er kein Gehörn ausbilden konnte und nicht aggressiv wurde. Den Kontakt zu seiner Ziehmutter sucht er nach wie vor. Dabei ist sein Revier groß.
Er kann sich frei auf den Feldern und in den Gärten der Nachbarn bewegen. Keine Zäune oder Grenzen schränken ihn bei seinen Abenteuern ein. Diese Freiheit ist für seine Entwicklung wichtig, aber nicht immer ungefährlich. Trotz seines reflektierenden Halsbandes hat Ziehmutter Tobian Angst, dass er von einem Auto erfasst werden könnte. Die Erleichterung ist jedes Mal groß, wenn Rick wieder vor der Tür steht. Wenn er vormittags nicht auftaucht, macht sie sich schon Sorgen.
Wildunfälle nehmen in der dunklen Jahreszeit zu
"Wir lassen ihn nächstes Jahr chippen, damit wir immer nachverfolgen können, wo er sich gerade aufhält. Außerdem interessiert es mich zu sehen, wo er sich so überall herumtreibt", erzählt die 34-Jährige. Ihre Angst ist nicht unberechtigt. Im vergangenen Jahr kam es laut Polizei zu mehr als 12.000 Wildunfällen auf den Straßen in Schleswig-Holstein.
Das Findelkind ist längst zum Teil der Familie geworden und muss sich dabei genau wie Dackeldame Xilly an die Hausregeln halten. Wer reinkommen will, muss sich vorher die Pfoten putzen lassen. So lässt Rick die Prozedur über sich ergehen und steuert danach zielstrebig die Küche an.
“Die Zeit der warmen Milch ist zum Glück vorbei. Jetzt kann sich Rick selbst um seine Nahrung kümmern. Aber Gurkenscheiben und Haferflocken staubt er trotzdem regelmäßig im Haus ab”, erzählt die Jägerin, während sie Rick ein Stück Gurke hinhält, das er dankend annimmt. Ein weiteres Findelkind muss danach versorgt werden. Ferkel Piglett quiekt vor Hunger. Dackeldame Silly stellt sich schützend vor sie, während Rick das Geschehen neugierig beobachtet.
Rick kann nicht mehr ausgewildert werden
Auswildern komme nach einer menschlichen Aufzucht nicht mehr infrage. Auch in einem Wildtiergehege wäre Rehbock Rick unglücklich. Zäune schränkten die freiheitsliebenden Tiere in ihrem natürlichen Bewegungsdrang ein, stellt Sorka Eixmann von der Kitzrettung Dänischer Wohld klar. In freier Wildbahn wäre das Revier von Rick ungefähr 16 Hektar groß.
Rick kann bei Familie Tobian kommen und gehen, wann er möchte und bleibt weiterhin eine ganz besondere Attraktion im kleinen Dorf. Wenn das Wetter zu ungemütlich ist, steht er vor der Tür seiner Ziehmutter, wird reingelassen und macht es sich gemeinsam mit Dackeldame Xilly im warmen Haus gemütlich.