Prozess wegen sexueller Gewalt: Mädchen 86 Mal missbraucht
Montagvormittag hat der Prozess gegen den 48 Jahre alten Tim K. aus Tornesch vor dem Landgericht Itzehoe begonnen. Er wird beschuldigt, die Tochter einer Freundin sexuell missbraucht zu haben.
Der Angeklagte hatte die Mutter des Opfers in einer Mutter-Kind-Kur kennengelernt und sich mit ihr angefreundet. So schildert es Staatsanwältin Anita Kuhr in der 26-seitigen Anklageschrift. Die Mutter hatte ihm offenbar ihre dreijährige Tochter von da an immer wieder anvertraut. Der Missbrauch fand wohl vor allem in der Wohnung des Angeklagten statt.
"Das ist schon ein sehr, sehr massiver Fall von sexueller Gewalt an Kindern", sagt Bernd Priebe vom Elmshorner Verein Wendepunkt. Der Verein ist zwar nicht mit dem Fall betraut, kann aber die Dimension gut einschätzen. Priebe arbeitet seit 17 Jahren in der Beratungsstelle, und zwar als Sexualpädagoge und Tätertherapeut, um Übergriffe wie diese möglichst zu verhindern. Zu ihm kommen Kinder und Jugendliche, die übergriffig geworden sind und Männer, die nach Haftstrafen unter Auflagen eine Therapie machen müssen.
Der mutmaßliche Täter war mit der Mutter seines Opfers befreundet
Dass das Opfer offenbar von einem Vertrauten der Mutter missbraucht wurde, wundert Bernd Priebe nicht. Seiner Erfahrung nach ist es die absolute Ausnahme, dass sexuelle Gewalt gegenüber Kindern von einem völlig Fremden ausgeht. Diese eher seltenen Fälle seien nur besonders präsent in den Medien, "aber die überwiegende Zahl von Missbrauchsfällen, von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen finden im sozialen Nahfeld, in der Familie, in pädagogischen Kontexten und so weiter statt." Das müsse man sich klar machen.
Täter müssten schließlich Zugriff auf die Kinder haben und das ginge vor allem da, wo ein Vertrauensverhältnis zu den Erziehungsberechtigten des Kindes und zum Kind selber besteht. Meistens sei es der Onkel, der Großvater, die Großmutter oder eben der Freund der Familie, so wie diesem Fall.
Foto- und Videos bezeugen: Missbrauch dauerte sechs Jahre an
Der Missbrauch im Fall des Mädchens begann 2014. Staatsanwältin Anita Kuhr: "Der Tatzeitraum zieht sich dabei über mehrere Jahre hinweg und begann, als das Kind drei Jahre alt war bis zu dessen neunten Lebensjahr." Die Beweislage ist eindeutig, da der Angeklagte von seinen Taten Fotos und Videos gemacht hat. Sie bezeugen 86 Taten. Die Staatsanwältin schildert dem Gericht auch Taten, bei denen der 48-Jährige das Kind vergewaltigt hat. In einem Fall ist auch ein weiteres Kind betroffen. Möglicherweise bleibt den Kindern durch die Bild-Beweise eine Zeugenaussage erspart. Die Mütter der Kinder treten im Verfahren als Nebenklägerinnen auf und werden an einem der kommenden Prozesstage als Zeuginnen aussagen.
Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit abgelehnt
Die Verteidigung hatte zu Beginn des ersten Prozesstages einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit gestellt. Der Vorsitzende Richter Dominik Groß lehnte den Antrag allerdings ab. Der Angeklagte müsse aushalten, dass die Inhalte des Verfahren der Öffentlichkeit bekannt werden. Auch wenn es hier um intimste Dinge gehen werde. Allein die persönlichen Einlassungen des Angeklagten würden unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, so der Richter.
Weiterer Anklagepunkt: Besitz von Kinderpornografie
Als Beamte die Wohnung des Angeklagten am 7. Februar 2023 durchsuchten, soll er neben den selbst hergestellten Bildern und Videos etwa 300.000 weitere Dateien mit kinder- und jugendpornografischem Material besessen haben.
Begriffe wie Kinderpornografie und Missbrauch problematisch
Bernd Priebe von Wendepunkt e. V. sieht Begriffe wie Kinderpornografie oder sexueller Missbrauch kritisch. Bei der Herstellung von Pornografie sei die Teilnahme in der Regel freiwillig. Dafür kann bei Videos oder Fotos auf denen sexuelle Handlungen mit Kindern gezeigt würden, nicht die Rede sein. Der Begriff "Missbrauch" schließe ein, dass es im Umkehrschluss so etwas wie einen zulässigen Gebrauch von Kindern geben könne. Auch das sei falsch. Deswegen redeten er und seine Kolleginnen und Kollegen von "sexueller Gewalt", weil sexuelle Handlungen mit Kindern nichts anderes sind, so Priebe, als sexuelle Gewalt.