Norderstedt: Hilfsprojekt für adipöse Kinder
Während der Pandemie haben viele Kinder und Jugendliche zugenommen. Das Langzeitprogramm Moby Kids hilft ihnen, das Problem in den Griff zu kriegen - und ist dabei besonders nachhaltig.
Die Pandemie hat viele Menschen seelisch und körperlich belastet. Durch den anhaltenden Bewegungsmangel etwa haben viele Kinder zugenommen. Das ist das Ergebnis einer groß angelegten Elternbefragung der Deutschen Adipositas Gesellschaft und des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums: Jedes sechste Kind in Deutschland hat zugenommen in der Corona-Zeit. Fast die Hälfte bewegt sich weniger als vor der Pandemie. Rund ein Viertel isst mehr Süßes. All das zeigen die Umfrageergebnisse. Am stärksten betroffen sind die Zehn- bis Zwölfjährigen, besonders jene aus einkommensschwachen Familien.
Kein persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem
Von einer Adipositas, also von krankhaftem Übergewicht, spricht man bei einer "über das Normalmaß hinausgehenden Vermehrung des Körperfetts". Starkes Übergewicht kann schon bei kleinen Kindern zu Bluthochdruck, einer Fettleber oder Diabetes Typ 2 führen. Außerdem werden Menschen, die von Übergewicht betroffen sind, noch immer gesellschaftlich stigmatisiert.
Die Verantwortung dafür tragen die Betroffenen in den seltensten Fällen selbst. Nach Ansicht der Deutschen Adipositas Gesellschaft handelt es sich vielmehr um ein gesellschaftliches und auch um ein politisches Problem. Expertinnen und Experten fordern daher als Sofortmaßnahmen eine Besteuerung von Zuckergetränken, Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel und eine Stärkung der Adipositas-Therapie, die in Deutschland chronisch unterfinanziert sei.
Moby Kids: Langzeitprogramm gegen Übergewicht
In und um Hamburg, und mittlerweile deutschlandweit, hat sich das Unternehmen Moby Kids dem Problem angenommen. In einem Langzeitprogramm lernen Kinder und Jugendliche mit Übergewicht einen gesunden Umgang mit den Themen Ernährung und Bewegung. Auch in Norderstedt gibt es das Angebot, an dem der zwölfjährige Finn teilnimmt: "Vorher habe ich mich richtig unsportlich gefühlt, weil ich auch fast gar keinen Sport gemacht habe. Seitdem ich viel Sport mache, fühle ich mich einfach besser."
Sport, Ernährungs- und Verhaltensschule in einem
Finn geht in die sechste Klasse. Fast ein Jahr lang hat er jeden Dienstag den Kurs bei Bewegungstrainer Kuno Konopka in Norderstedt besucht. Das heißt 90 Minuten lang Federball spielen, Sit-ups machen und Trampolin springen - in einer kleinen Gruppe aus acht Kindern: "Die Kinder, die hierher kommen, sind über die Bewegung motiviert", erklärt Konopka. "Ich biete viele Dinge an, die den Kindern Spaß machen und bei denen sie Erfolge haben, auf die sie aufbauen können. Diese Motivation nehmen sie dann zur Ernährungsschulung und zum Verhaltenstraining mit." Denn neben dem Fitnesskurs lernen die Kinder auch, wie man sich gesund ernährt. Und das, obwohl das gemeinsame Kochen zeitweise einer Online-Schulung weichen musste.
Folgen der Corona-Maßnahmen zeigen sich
Der Corona-Trott hat Finn hart getroffen: "Es war so langweilig, die ganze Zeit allein zu Hause zu sitzen. Man konnte nicht mit seinen Freunden raus und es gab nur Homeschooling." Finn treibt gerne Sport. Fußball, Karate, Tischtennis - er hat schon alle möglichen Hobbys ausprobiert. Wäre Corona nicht gewesen, hätte er auch weiter Tischtennis gespielt, sagt er, und wäre vielleicht auch gar nicht bei Moby Kids. Mit sechs Jahren hatte Finn sich beim Rumspringen auf dem Sofa den Fuß gebrochen. Quasi zufällig wurde dabei seine Rheuma-Erkrankung entdeckt. Den Fuß musste er schonen und Medikamente nehmen, erzählt sein Vater Björn. Die Folge war eine Gewichtszunahme. Und dann kam auch noch Corona. "Mein Sohn ist dadurch leider in so einen Trott verfallen: Durch die mangelnde Bewegung ist er natürlich immer mehr aufgegangen. Wir haben jedes Mal vom Kinderarzt einen auf den Deckel gekriegt - und dann haben wir nach Alternativen gesucht."
Schwieriges Thema: Übernahme der Kosten
Das ambulante Therapieprogramm richtet sich an Kinder zwischen acht und 17 Jahren, die von Übergewicht oder einer Adipositas betroffen sind. Der Kurs kostet 2.375 Euro. In Finns Fall übernimmt die Krankenkasse den Großteil davon. Strukturell sei die Finanzierung aber ein großes Problem, sagt Sporttrainer Kuno Konopka: "Die Politik hat damals betont, dass solche Institutionen Unterstützung brauchen. Dann hat sie sich rausgenommen und gesagt, die Krankenkassen müssen es machen." Die Krankenkassen wiederum hätten aber auf die Sozialgesetzbücher verwiesen. Für eine Übernahme der Kosten müssten dort bestimmte Bedingungen erfüllt werden, ansonsten sei eine Unterstützung ausgeschlossen. Die hohen Anforderungen seien kaum zu erfüllen.
Laut Experten und Expertinnen vorbildliches Programm
Doch was sind die Alternativen für betroffene Familien? Da wären die teils einmaligen Ernährungsberatungen á 45 Minuten. Allein der gruppendynamische Effekt spricht dagegen für das nachhaltig ausgerichtete Langzeitprogramm. Und gerade die Kleinen bringt der spielerische Aufbau schneller ans Ziel, bestätigt auch Kinderärztin Susann Weihrauch-Blueher von der Deutschen Adipositas Gesellschaft. Sie hofft jetzt auf eine Art Marshall-Plan: "Bei dieser Art von Disease-Management-Programm wird die standardisierte Betreuung von Patienten mit chronischen Erkrankungen gewährleistet. Das wäre aus unserer Sicht wirklich die Chance, eine flächendeckende Betreuung, Versorgung und auch Therapie für diese Patientengruppe zu ermöglichen."
Finn jedenfalls hat seinen Platz bei den Moby Kids gefunden. Bald ist das Programm für ihn zu Ende: "Danach will ich das mit dem Sport noch weiterführen. Wenn man schon so was macht, dann muss man es auch nutzen."