Mashood Khan: Vom Intensivtäter zum Sozialpädagogen

Stand: 14.01.2024 05:00 Uhr

Mashood Khan war Gangmitglied. Er wurde mehrfach von der Polizei festgenommen wegen Körperverletzung, Raub oder Hehlerei. Heute ist der Norderstedter Sozialpädagoge und erreicht viele Jugendliche, die selbst straffällig geworden sind.

Die Kamera läuft, Mashood Khan erzählt von seiner Zeit als Gangmitglied in Norderstedt. Und bricht unvermittelt mitten im Satz ab. "Das ist wichtig", sagt er und geht schnellen Schrittes ein paar Meter weg von uns, holt zu einem Jugendlichen auf. Die beiden sprechen kurz. "Mit ihm arbeite ich jetzt schon länger", entschuldigt er sich bei uns. "Wenn er jetzt den Eindruck hat, dass ich ihn ignoriere, verliere ich wieder sein Vertrauen." Mashood Khan ist Sozialpädagoge. Auch außerhalb der Bürozeiten. Und mit dem Wunsch nach Vertrauen, nach Anerkennung hat er seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht.

Gangster auf der Suche nach Anerkennung

Mashood Khan, 35 Jahre alt, ist in Henstedt Ulzburg im Kreis Segeberg geboren, er wächst die ersten fünf Jahre seines Lebens ein paar Kilometer weiter in der Gemeinde Nahe auf. Dann zieht seine Familie nach Norderstedt um - und Mashood rutscht schon in jungen Jahren in die Kriminalität. "Die Schule lief nicht und meine Familie war dann natürlich auch nicht glücklich mit mir", berichtet er. Er verlässt die Hauptschule ohne Abschluss. "Ich habe Zugehörigkeit gesucht und die auf der Straße irgendwann gefunden. Wir haben uns dann mit diesen Blocks identifiziert, auch mit der Postleitzahl, 22846 für Norderstedt, haben dann eine Gang gegründet", erzählt er. Und die Gangmitglieder hätten sich ihre Anerkennung mit Straftaten geholt. Körperverletzung, Hehlerei, Raubüberfälle - das erste Mal verhaftet wird Mashood mit 14 Jahren.

Dicke Freunde: Ex-Intensivtäter und Ex-Polizist

Der zuständige Polizist damals: Wolfgang Banse. Der heutige Rentner war für die Erst- und Zweittäter zuständig, lud sie auf sein Revier vor, ordnete soziale Arbeitsstunden an und er führte sogenannte "normenverdeutlichende" Gespräche mit den meist jungen Täterinnen und Tätern. "Die kamen dann meistens schon mit Bauchschmerzen an, haben eingesehen, dass das der falsche Weg ist und dann habe ich die meisten davon nie wieder gesehen", berichtet er. Bei Mashood war das anders. "Er gehörte leider zu den anderen fünf Prozent, das wurden dann die sogenannten Intensivtäter. Und das hat mir als Sachbearbeiter leidgetan, ja wehgetan." Mashood kommt danach immer wieder mit der Polizei in Kontakt, über viele Jahre. Wolfgang Banse ist für ihn aber nicht mehr zuständig.

Mashood Khan steht mit einem Diplom in der Hand an einem Grab. © Privat
Mashood Khans Vater starb 2015. Das war ein Wendepunkt in Khans Leben. Er holte seine Abschlüsse nach und studierte - um den Vater doch noch stolz zu machen.

Es herrscht jahrelang Funkstille zwischen den beiden. "Bis dann knapp 20 Jahre später mein Sohnemann mich auf einen norddeutschen Rapper aufmerksam gemacht hat und mir sagte: Du musst dir das Lied anhören. Den kennst du, das ist Mashood. 'Wie Mashood?' - hab‘ ich gefragt, 'Mashood Khan?'" Und tatsächlich, genau der war es. Ein paar Internet-Recherchen von Wolfgang Banse machten klar: Mashood ist mittlerweile Sozialpädagoge und Anti-Gewalt-Trainer. Der frühere Schulabbrecher hatte alle Abschlüsse nachgeholt und einen Bachelor in Sozialer Arbeit gemacht. Wolfgang Banse griff zum Telefonhörer. An das Gespräch erinnert sich auch Mashood noch gut. "Mein erster Impuls war: 'Oh Gott, was hab‘ ich angestellt?' Aber dann hab‘ ich mir klargemacht, dass ich ja nicht mehr kriminell bin", erinnert er sich und lacht.

Die beiden treffen sich auf einen Kaffee. "Und es hat einfach gleich gepasst: Er ist Leiter des kriminalpräventiven Rats Norderstedt und ich betreue straffällige Jugendliche. Inzwischen sind wir gute Freunde geworden mit dem gleichen Ziel. Und natürlich auf einer anderen Ebene als damals. Damals war ich, ich sag mal, sein "Klient", der in der Polizeiwache vor ihm saß", so Mashood. Heute, betont er, sitze er ihm aber als studierter Sozialpädagoge gegenüber.

Plötzlich Sozialpädagoge: Was ist passiert?

Der Weg dahin war allerdings tragisch. Bei einem Zusammenstoß mit einer rivalisierenden Gang verlor sein bester Freund fast das Leben. "Wir geraten in Streit und plötzlich liegt er auf dem Boden und sein Bauch war aufgeschlitzt. Und ich dachte: Was mach‘ ich denn jetzt?" Sein Freund überlebte durch eine Notoperation, Mashood dachte anders über sein kriminelles Leben nach. Eine Reaktion: Er meldete sich bei einer Abendschule an, die Hauptschule hatte er zuvor ohne Abschluss verlassen. Und er machte wieder mehr Musik. "Ich verarbeite mit Rap meine Probleme", erzählt Mashood. "Rap ist meine Therapie, mein Psychologe, es ist meine Art und Weise, mich der Welt mitzuteilen." Für seinen Rap erhält er Anerkennung, laut Mashood ist es das erste Mal, dass er dafür keine Gewalt anwenden muss.

Papa wäre stolz

2015 sei dann der endgültige Wendepunkt in seinem Leben gewesen: Sein Vater stirbt, wird als Fußgänger von einem Lkw erfasst, nur wenige Hundert Meter neben seinem Zuhause. Zuerst reagiert Mashood mit Unglaube, erst Tage später realisiert er den Verlust: "Mir ist klar geworden, dass dieser Mann ja eigentlich nach Deutschland gekommen ist, damit wir eine bessere Zukunft haben. Und daraus hatte ich nichts gemacht." Mashoods Eltern waren 1987 aus Pakistan geflohen, sein Vater habe "Tag und Nacht gearbeitet", erzählt er. In einer Schokoladenfabrik. "Und als er noch gelebt hat, konnte er nie irgendwie stolz auf mich sein, weil ich nie etwas Gutes erreicht hatte zu der Zeit. Und deshalb wollte ich ihm zumindest jetzt noch zeigen: Hey, ich hab’s geschafft."

Mashood holt alle Schulabschlüsse an der Abendschule in Hamburg nach. Die steht direkt neben dem Untersuchungsgefängnis. "Es war klar: Entweder Schule oder ich lande da. Jeden Tag habe ich das Gefängnis aus der Schule gesehen." Mit 28 hat er das Fachabitur in der Tasche. Und schließt ein Studium der Sozialen Arbeit an, macht vor gut zwei Jahren den Bachelor-Abschluss. "Und ich finde: Ich habe meinen Papa stolz gemacht. Irgendwann werde ich ihn wiedersehen hoffentlich und dann kann er mir auf die Schulter klopfen."

Heute Vorbild für die Jugend

Seit 2019 gibt Mashood als Sozialpädagoge Workshops für Jugendliche, zum Beispiel zum Thema gewaltfreier Rap. Und gibt dabei seine Geschichte an Jugendliche weiter, die zum Teil schon selbst straffällig geworden sind. "Na klar ist er ein Vorbild für mich", sagt einer der Kursteilnehmer. "Ich habe schon viel Scheiß gebaut, bin in der Schule und privat mit vielen Leuten aneinandergeraten, habe Gewalt angewendet", gibt er unumwunden zu. "Dass so einer wie Mashood, der jetzt auch nicht die beste Kindheit hatte, es geschafft hat, zeigt, dass es geht." Die Jugendlichen hören ihm zu - und trauen sich, mit ihm über ihre Probleme zu sprechen. "Er hat’s rausgeschafft aus dem Loch. Das ist sehr gut und auch der Grund, warum sich viele Leute mit ihm identifizieren und sich ihm eher anvertrauen können als irgendeinem Lehrer", ergänzt eine andere Teilnehmerin.

Vom Intensivtäter zum Sozialpädagogen. Auf diesen Wandel ist Mashood stolz. Jetzt will er Jugendlichen helfen, ihren Weg zu finden. Möglichst, ohne vorher auf die schiefe Bahn zu geraten.

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