Lübeck: Neues Wohnen auf historischer Fläche
Prunkvolle Gutshäuser, historisch wertvolle Gemäuer und jahrhundertealtes Fachwerk: In Norddeutschland gibt es Tausende schutzwürdige Baudenkmäler, von denen aber viele verfallen. Der Grund: Oft können weder die privaten Eigentümer, noch die klammen Kommunen das Geld aufbringen, das für die Instandhaltung nötig ist. Dabei wären die Besitzer durch das Denkmalschutzgesetz dazu eigentlich verpflichtet. Die "NDR Info Perspektiven" berichten über einen alternativen Weg: Mitten in der Lübecker Altstadt wird nach Plänen historischer Giebelhäuser in einem Viertel neu gebaut.
Bagger sind dabei, eine Baugrube nach der anderen auszuheben. Die ersten Bodenplatten liegen auch schon. In dem Gründungsviertel zwischen Marienkirche und Untertrave - der Keimzelle Lübecks, die zum UNESCO-Welterbe gehört - entstehen in den kommenden Monaten der Altstadt angepasste Giebelhäuser - mit Fassaden nach historischem Vorbild.
Eine lebendige Mischung aus Einfamilienhäusern, Mietwohnungen, Wohnprojekten, Läden, Büros und einem Café verspricht sich Stadtplanerin Annette Bartels-Fließ von dem Gründungsviertel: "Das Besondere an Lübeck ist, dass wir nicht das gesamte Grundstück an einen Investor meistbietend vergeben haben, sondern dass wir das Grundstück entsprechend der historischen Parzelle aufgeteilt haben in 38 einzelne Parzellen. Und diese 38 einzelnen Parzellen haben wir dann an einzelne Bauherren vergeben." Mit Erfolg: Alle Grundstücke waren schnell weg.
Ein neues Zuhause für 300 Menschen
Rund 300 Menschen sollen ab dem Jahr 2020 im Lübecker Gründungsviertel leben. Die Bauherren für die Gebäude kommen aus ganz Deutschland: aus dem Lübecker Umland, aus Hamburg, Berlin und München. Sigrid Fischer und ihre Baugemeinschaft Ü60 gehören zu den ersten, die mit dem Bau begonnen haben. Die pensionierte Lehrerin aus Einhaus am Ratzeburger See will im Zentrum der Hansestadt einen neuen Lebensabschnitt einläuten: Sie will zusammen mit ihrem Mann und zwei befreundeten Ehepaaren altersgerecht wohnen: "Das Besondere für mich ist tatsächlich das Feeling. Als ich die Baustelle - eigentlich war es nur ein Sandhaufen - das erste Mal sah, stand ich vor der Marienkirche, habe runtergeschaut und gedacht: 'Wow! Und hier sollst Du mal wohnen.' Das hat mich schwer beeindruckt."
Modernes Wohnen in historischer Umgebung
Dass sie ihren zukünftigen Garten um eine denkmalgeschützte Grundmauer aus dem zwölften Jahrhundert herum bauen muss, stört Fischer und ihre Baugemeinschaft nicht. Im Gegenteil: "Da sitzt du da im Garten, hast deinen Cocktail mit Freunden in der Hand und da unten sind diese historischen Stätten. Das fand ich schon großartig. Dass damit Einschnitte verbunden sind, ist klar. Das macht das Ganze auch nicht günstiger, aber man kann dadurch, dass man von Null auf bauen kann, eben tatsächlich die technische Modernität nutzten. Das hat man beim Umbau eines Altstadthauses auf keinen Fall."
Lübecker Konzept kann Vorbildcharakter haben
Nicht nur die Bauherren sind begeistert vom Gründungsviertel. Das Lübecker Bauprojekt hat deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. Es sei eine einmalige Chance der Stadtreparatur, sagen Architekturkritiker. Andere Städte könnten sich daran ein Beispiel nehmen. Sicher ist das keine Lösung, die für alle Städte mit historisch wertvollen Baustrukturen machbar und finanzierbar ist, aber für einige Kommunen doch eine mögliche Option.
Das sieht auch der Architekt Reiner Nagel so, der Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur in Potsdam ist. Er kennt aber auch kritische Stimmen: "Es gibt deutschlandweit eine Debatte, die sagt: Rekonstruktion sei kein adäquates Mittel, Städte in die Zukunft zu führen. Das ist eine rückwärtsgewandte Haltung. Und die Antwort ist: Hier wird nicht im Detail rekonstruiert, sondern hier wird das - angelehnt an den historischen regionalen Baustil Lübecks - übertragen in eine neue Bauweise, die an die alte angelehnt ist."
Modernes Wohnen auf historischem Grund nach traditionellem Vorbild: Das Lübecker Konzept in der Altstadt scheint aufzugehen.