Freie Stellen für Uni-Absolventen treffen auf hohe Erwartungen
Junge Menschen können sich inzwischen nahezu aussuchen, wo sie arbeiten wollen, so groß ist der Nachwuchsmangel. Rund 5.500 offene Stellen gibt es allein in Schleswig-Holstein für Akademikerinnen und Akademiker. Doch auf deren neue Bedürfnisse gilt es sich einzustellen.
"Für mich und meine Generation ist es wichtiger im Jetzt zu leben, als auf ein zukünftiges Leben mit Kindern und Eigenheim hinzuarbeiten", sagt Jette Nickel. Sie erlebte, wie Corona langfristige Pläne zerstörte. Lieber auf die Gegenwart als auf die Zukunft setzen, lautet nun ihre Devise. Die 21-Jährige beendet im Winter ihr BWL-Studium, danach möchte sie in die Berufswelt einsteigen. Ihre Chancen, einen Job zu finden sind so gut wie nie: Laut Gerald Weber von der Bundesagentur für Arbeit gab es im April dieses Jahres in SH 5.500 offene Stellen für Akademikerinnen und Akademiker. Jette möchte aber auch nicht irgendeinen Job, sie hat klare Vorstellungen. Nach ihrem Besuch auf einer Kieler Jobmesse ist ihr klar: Es braucht mehr als Süßigkeiten oder Obstkörbe.
Neue Generation will neue Arbeitswelt
Ihren zukünftigen Berufsalltag stellt sich Jette anders vor als gesellschaftlich vorgelebt. "Ich will nicht nur eine Personalnummer in irgendeiner Akte werden", sagt sie. Jette möchte eine Arbeit, die "Spaß macht und in der es flache Hierarchien und eine lockere, entspannte Stimmung gibt". Auch sollte der eigene Einsatz wertgeschätzt werden, findet sie. Jettes Haltung spiegelt die ihrer Generation, auch Generation Z genannt, wider. Ältere Generationen mögen den Kopf über diese Anspruchshaltung schütteln, aber Fakt ist: Nicht nur führen diese "Ansprüche" zu einer besseren Work-Life-Balance, sondern auch Unternehmen profitieren vom neuen Wind, der durch die Flure weht - Das Schlagwort ist New Work.
Jobmessen gibt es genug
Der Pressesprecher des schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministeriums Harald Haase betont, dass "Jobmessen ein enorm wichtiger Baustein bei der Rekrutierung von Fachkräften" seien. Und Jobmessen gibt es einige in Schleswig-Holstein, angefangen von der "Talent Transfair" in Kiel über "vocatium" in Lübeck bis hin zur "nordjob-Bau" in Neumünster.
Jette hat sich fürs erste vorgenommen, auf der "Talent Transfair" der Uni Kiel und der FH Kiel nach Unternehmen zu suchen, die zu ihr passen könnten. Bei einem Stand bleibt sie stehen. Es ist der von Bo Jesper Gerth. Zusammen mit Jugendfreund Lukas Schnödewind hat dieser die Firma TRI-C gegründet. Sie entwickeln individuelle Armschalen aus Carbon, die vor allem Triathleten helfen sollen, besonders aerodynamisch zu radeln. Für den 25-Jährigen ist klar, dass in seinem Unternehmen flache Hierarchien, flexible Arbeitszeiten und freundschaftliches Miteinander zur Unternehmensphilosophie dazugehören.
"Ein Leben lang bei einem Arbeitgeber? Das ist vorbei"
"Den obligatorischen Obstkorb, mit dem große Unternehmen Mitarbeitende werben wollen, brauchen wir deshalb erst gar nicht", sagt Gerth. Er sieht in dem Wandel von Arbeitsmentalität viele Chancen - selbst beim Thema Fluktuation. "Loyalität ist ja gerade in Deutschland lange wichtig gewesen, da haben ganze Familien ihr Leben lang für ein Unternehmen gearbeitet", blickt Gerth zurück, und meint: "Das ist vorbei". Für ihn als zukünftigen Arbeitgeber? "Kein Problem. Hauptsache, unsere Mitarbeitenden bringen Lust mit, sich einzubringen und Leistung zu bringen. Wie lange sie bleiben, ist dann eher zweitrangig." Auch kämen Menschen, die schon woanders gearbeitet hätten, mit neuen Ideen herein - was ein Vorteil ist, wie er findet.
Lieber Infos zum Anfassen als Süßigkeiten
"Leider habe ich an vielen Ständen den Unternehmensvertretern die Informationen zu ihrem Betrieb aus der Nase ziehen müssen", sagt Jette Nickel. Nicht so bei Gerth. "Da lag statt Süßigkeiten, wie bei den anderen Unternehmen, deren Produkt, die Armschiene, auf dem Tisch. Und auf meine Fragen wurde richtig eingegangen."
Es scheint eine vergeudete Chance für andere Unternehmen zu sein, denn die Situation auf dem Arbeitsmarkt versetzt potenzielle Arbeitnehmer wie Jette heute in eine extrem gute Verhandlungsposition. Das sieht man nicht nur an den freien Stellen. Auch sind Akademikerinnen und Akademiker unterdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. In SH betrug die Arbeitslosenquote 2021 laut Bundesagentur für Arbeit insgesamt 5,6 Prozent, die von AkademikerInnen lag bei 2,5 Prozent.