Arbeitsmoral: Sind Junge faul?
Immer öfter ist von Seiten der Wirtschaft zu vernehmen, Jüngere hätten weniger Lust auf Arbeit. Panorama hat mit jungen Menschen in unterschiedlichen Branchen gesprochen.
Der Generationenkonflikt hat Hochkonjunktur - zumindest, wenn es um die Arbeitseinstellung geht. Gerade von Seiten der Wirtschaft ist seit Monaten zu vernehmen, jüngere Menschen hätten immer weniger Lust auf Arbeit. So forderte Steffen Kampeter von der CDU als Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände zuletzt "mehr Bock auf Arbeit". Ansonsten stehe es schlecht um die Zukunft Deutschlands.
Selbst Simone Schmollack, eine Redakteurin der linksliberalen Tageszeitung "taz", sieht das ähnlich: Sie habe mit vielen Personalern gesprochen und die seien entsetzt von der Arbeitseinstellung junger Bewerber: "Da sitzen junge Menschen, die sagen, eine Vollzeitstelle wollen sie gar nicht haben. Montags gar nicht arbeiten. Da komme ich aus dem Wochenende. Freitags würde ich auch nicht arbeiten, da gehe ich ins Wochenende. Dienstag kann ich mir vorstellen, Donnerstag, Mittwoch muss ich aber schon wieder früher gehen, weil ich da Yogakurs habe." Es riecht nach dem ewigen Vorwurf der Alten an die Jungen: Früher war alles besser, die Jugend von heute ist faul und verkommen. Was ist dran?
Beruf immer unwichtiger
Studien zeigen, dass "Bock auf Arbeit" tatsächlich abzunehmen scheint. Der Anteil derjenigen, die ihre Lohnarbeit beenden würden, wenn sie es sich finanziell leisten könnten, nimmt zu. 2019 waren es 41 Prozent, 2022 schon 56 Prozent der Befragten. Gerade für junge Erwerbstätige scheint die Lohnarbeit immer weniger wichtig. 2020 meinten noch 69 Prozent, sie könnten sich ein Leben ohne einen Beruf nicht vorstellen, 2022 waren es nur noch 58 Prozent.
Panorama hat mit jungen Menschen in unterschiedlichen Branchen gesprochen. Die Krankenpflegerin Leonie Hesse ist 27 Jahre alt und arbeitet in einem Krankenhaus in Göttingen. Auf eigenen Wunsch ging sie in Teilzeit, denn Freizeit habe für sie eine höhere Priorität als Arbeit. Eine Vollzeitstelle könne sie sich gar nicht mehr vorstellen. Auch Manuel Heeg hat lieber mehr Freizeit als mehr Geld. Er ist Informatiker und kriegt regelmäßig höher dotierte Angebote als bei seinem jetzigen Arbeitgeber. Doch der bietet ihm bald eine 4-Tage-Woche zu gleichem Gehalt und die Möglichkeit, zu 100% im Homeoffice zu arbeiten.
Die neue Macht der Arbeitnehmer
Beruht der vermeintliche Generationenkonflikt ausschließlich auf einer Veränderung der Mentalität? Letztlich ist es vor allem auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt, die Arbeitnehmer heute in eine bessere Verhandlungsposition versetzt. Der Mangel an Arbeitskräften verschiebt die Machtverhältnisse: 2010 gab es noch etwa 800.000 offene Stellen, heute liegt die Zahl bei fast zwei Millionen. Das führt zu einer guten Verhandlungsposition für Arbeitnehmer, besonders für die, die neu in den Markt kommen.
Auf Arbeitgeberseite sorgt das natürlich für Unmut, wie die Soziologin Nicole Mayer-Ahuja erklärt: "Es gibt immer ein Stück weit die Tendenz, von strukturellen Problemen des Arbeitsmarktes abzulenken und die Probleme zu individualisieren, zu sagen, es liegt an individuellem Verhalten." Es geht also nicht um einen Konflikt Jung gegen Alt, nicht um Tugend und Moral, sondern um einen Widerspruch zwischen den Interessen der Beschäftigten und denen der Unternehmen - und wer da stärker ist, bestimmen Angebot und Nachfrage.